Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.Das Dunkel der Zukunft die Worte eines modernen ultrnmontanen Schriftstellers, es sei eine unchristliche Es ist zuweilen gesagt worden, Religionskriege seien nicht mehr möglich; Das Dunkel der Zukunft die Worte eines modernen ultrnmontanen Schriftstellers, es sei eine unchristliche Es ist zuweilen gesagt worden, Religionskriege seien nicht mehr möglich; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209497"/> <fw type="header" place="top"> Das Dunkel der Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_745" prev="#ID_744"> die Worte eines modernen ultrnmontanen Schriftstellers, es sei eine unchristliche<lb/> Überzeugung des Staates, daß auch er ein Gott verantwortliches Gewissen und<lb/> daher Pflicht und Recht habe, in kirchlichen Dingen diesem Gewissen gemäß<lb/> zu handeln, z. V. die gehaßte Freiheit der Religionsübung, der Forschung oder<lb/> der Presse zu schützen. Es ist echt liberal, wenn der moderne Staat nicht<lb/> bloß den Schulzwang übt, deu einst eine Stimme aus Landshut „ein Stück<lb/> moderner Tyrannei" nannte, sondern auch deu Religionsunterricht jedem Kinde<lb/> verbürgt, selbst wenn es ihm schwer gemacht wird, die richtigen Lehrer aus<lb/> den Bekenntnissen zu gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_746" next="#ID_747"> Es ist zuweilen gesagt worden, Religionskriege seien nicht mehr möglich;<lb/> die Religion oder vielmehr die Konfession sei den gegenwärtigen Geschlechtern<lb/> nicht mehr wichtig genug, um dafür fo zahllose Opfer zu bringen. Es mag<lb/> wahr sein, daß ausschließlich kirchliche Kriege nicht mehr in Aussicht stehen,<lb/> aber noch 1870 spielte im französischen Kriege das katholisch-päpstliche Interesse<lb/> eine nicht unbedeutende Rolle von der Höhe der Kaiserin Eugenie bis zu der<lb/> Tiefe elsässischer katholischer Bauern, wie die Aktenstücke gezeigt haben. So<lb/> wird es ähnlich wohl auch noch öfter vorkommen, denn das religiöse Ideal<lb/> eines Volkes mischt sich in alle Teile seines Lebens. Sofern aber nicht Volks¬<lb/> kriege im gröbsten Sinne gemeint sind, in denen Rache und Bcntegier die<lb/> Hauptsache sind, sondern Kriege, die auf bewußter», höhern Gründen beruhen,<lb/> wird die Kulturfrnge selbst eine immer wichtigere Rolle spielen. Schon jetzt<lb/> sind die Nationen, die den freien Gedanken und Einrichtungen zugethan sind.<lb/> England, die Vereinigten Staaten, Deutschland, Dünemark, Schweden, Nor¬<lb/> wegen und Holland, bei weitem im Vorteil, ihr Handel, ihre ausländische wirt¬<lb/> schaftliche Kultur, ihre Bevölkerungszunahme sichert ihnen eine Entwicklung, die fast<lb/> erdrückend wirken wird ohne irgend eine Gewalt. Hübbe-Schleiden berechnet nach<lb/> gute» Grundlagen die künftige Bevölkerung von 1980, soweit der angelsächsische<lb/> Stamm in Betracht kommt, auf 927 Millionen, den germanisch-holländisch¬<lb/> skandinavischen auf 190 Millionen; was können dagegen Spanien und Portugal<lb/> mit ihren 41 Millionen bedeuten, die dann auf diese Länder kommen? oder<lb/> Frankreich mit 47 Millionen, einer Zahl, die wahrscheinlich noch viel zu hoch<lb/> angesetzt ist? Alle diese Zahlen sind ja etwas phantastisch. Aber sie sind<lb/> lehrreich und tröstlich. Die sogenannte Realpolitik ist ja naturgemäß. Man<lb/> hält zusammen, weil große Lebensinteressen der Völker, insbesondre die fried¬<lb/> liche Entwicklung gesichert werden soll, in der allein mehr als das nackte<lb/> Dasein erarbeitet werden kann. Aber in eben dieser fortschreitenden Entwicklung<lb/> des materiellen Lebens gewinnen eine immer größere Zahl von Männern Liebe<lb/> zur Freiheit und persönlichen Selbständigkeit. Es gehen ihnen die Werte des<lb/> geistigen Lebens auf, ohne die das materielle Leben verödet. Wie lange es<lb/> auch dauern mag, bis sich diese Überzeugung Bahn bricht, wie oft sie auch<lb/> durch örtliche und zeitliche gewaltsame Versuche sozialer Selbsthilfe gestört</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0264]
Das Dunkel der Zukunft
die Worte eines modernen ultrnmontanen Schriftstellers, es sei eine unchristliche
Überzeugung des Staates, daß auch er ein Gott verantwortliches Gewissen und
daher Pflicht und Recht habe, in kirchlichen Dingen diesem Gewissen gemäß
zu handeln, z. V. die gehaßte Freiheit der Religionsübung, der Forschung oder
der Presse zu schützen. Es ist echt liberal, wenn der moderne Staat nicht
bloß den Schulzwang übt, deu einst eine Stimme aus Landshut „ein Stück
moderner Tyrannei" nannte, sondern auch deu Religionsunterricht jedem Kinde
verbürgt, selbst wenn es ihm schwer gemacht wird, die richtigen Lehrer aus
den Bekenntnissen zu gewinnen.
Es ist zuweilen gesagt worden, Religionskriege seien nicht mehr möglich;
die Religion oder vielmehr die Konfession sei den gegenwärtigen Geschlechtern
nicht mehr wichtig genug, um dafür fo zahllose Opfer zu bringen. Es mag
wahr sein, daß ausschließlich kirchliche Kriege nicht mehr in Aussicht stehen,
aber noch 1870 spielte im französischen Kriege das katholisch-päpstliche Interesse
eine nicht unbedeutende Rolle von der Höhe der Kaiserin Eugenie bis zu der
Tiefe elsässischer katholischer Bauern, wie die Aktenstücke gezeigt haben. So
wird es ähnlich wohl auch noch öfter vorkommen, denn das religiöse Ideal
eines Volkes mischt sich in alle Teile seines Lebens. Sofern aber nicht Volks¬
kriege im gröbsten Sinne gemeint sind, in denen Rache und Bcntegier die
Hauptsache sind, sondern Kriege, die auf bewußter», höhern Gründen beruhen,
wird die Kulturfrnge selbst eine immer wichtigere Rolle spielen. Schon jetzt
sind die Nationen, die den freien Gedanken und Einrichtungen zugethan sind.
England, die Vereinigten Staaten, Deutschland, Dünemark, Schweden, Nor¬
wegen und Holland, bei weitem im Vorteil, ihr Handel, ihre ausländische wirt¬
schaftliche Kultur, ihre Bevölkerungszunahme sichert ihnen eine Entwicklung, die fast
erdrückend wirken wird ohne irgend eine Gewalt. Hübbe-Schleiden berechnet nach
gute» Grundlagen die künftige Bevölkerung von 1980, soweit der angelsächsische
Stamm in Betracht kommt, auf 927 Millionen, den germanisch-holländisch¬
skandinavischen auf 190 Millionen; was können dagegen Spanien und Portugal
mit ihren 41 Millionen bedeuten, die dann auf diese Länder kommen? oder
Frankreich mit 47 Millionen, einer Zahl, die wahrscheinlich noch viel zu hoch
angesetzt ist? Alle diese Zahlen sind ja etwas phantastisch. Aber sie sind
lehrreich und tröstlich. Die sogenannte Realpolitik ist ja naturgemäß. Man
hält zusammen, weil große Lebensinteressen der Völker, insbesondre die fried¬
liche Entwicklung gesichert werden soll, in der allein mehr als das nackte
Dasein erarbeitet werden kann. Aber in eben dieser fortschreitenden Entwicklung
des materiellen Lebens gewinnen eine immer größere Zahl von Männern Liebe
zur Freiheit und persönlichen Selbständigkeit. Es gehen ihnen die Werte des
geistigen Lebens auf, ohne die das materielle Leben verödet. Wie lange es
auch dauern mag, bis sich diese Überzeugung Bahn bricht, wie oft sie auch
durch örtliche und zeitliche gewaltsame Versuche sozialer Selbsthilfe gestört
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |