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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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gefühl mancher ZcntrumSglieder in einer Sache, die ja allerdings von Rom
ans nicht so genau beurteilt werden konnte. Aber das sind seltene Fälle, und
es wird nicht bezweifelt werden dürfen, daß im ganzen die Hierarchie selbst
durchweg einheitlich denkt und handelt, und da auch die Orden wieder in
großer Zahl wirksam geworden sind, auch wo sie eine Zeit lang vertrieben
waren, so erstreckt sich die hierarchische Organisation jetzt tiefer als je in die
Volksmassen hinein. Die Hauptfrage ist daher immer, ob in dem Volke
selbst und in seiner sozialen und politischen Organisation Gründe vorhanden
sind, die uns sür die Entwicklung der Kultur hoffen oder fürchten lassen.
Gewiß gehört diese Frage nicht zu denen, deren Veantwortnng auf der Hand
liegt. Ziemlich allgemein ist jedoch die Ansicht, daß die Hierarchie lieber mit
absoluten Herrschern oder mit zügellosen Demokratien, als mit konstitutionellen,
geordneten Verfassungsstaaten zu thun hat. "Der Papst sucht die Könige, er
findet die Völker; sein Nuntius sucht den Beichtvater, er findet ein verant¬
wortliches Ministerium." (Hase.) Mit dem absolutistische" Osterreich konnte
man (1855) ein schönes Konkordat abschließen, aber im verjüngten Österreich
(1868) sagte man, "es sei unmöglich, daß der Staat sich seiner Rechte in
Bezug auf die Ausübung der Justizgewalt und ans die Gesetzgebung in Sachen
des Unterrichts zu Gunsten einer von ihm völlig unabhängigen Macht ent¬
äußern oder sich des Rechtes begeben könnte, das natürlichste aller politischen
Rechte, das der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, ohne Rücksicht
auf die Konfession, der sie angehören, im vollsten Umfang zu verwirklichen."
Kein Wunder, daß der Papst die aus solchen Vordersätzen fließenden Gesetze
für fluchwürdig, greuelhaft und immerdar nngiltig erklärte. Ebenso natürlich,
wenn damals geschrieben wurde: Die Fürsten haben früher die Papstkirchc
unterstützt, jetzt wollen sie nicht mehr oder sie könne" nicht, die Kirche wird
sich daher genötigt sehen, die Demokratie zu laufen. Aber damit hatte Papst
Pius IX. auch schlimme Erfahrungen gemacht; er zog es daher meist vor, sich
den konstitutionellen Schranken zu fügen, wie z.B. in Sachen der badischen
Konvention (1860), wo die Volksvertretung die staatliche Unterwerfung unter
Rom allein verhinderte. Aber seitdem wir zu der konstitutionellen Verfassung
auch noch die gleiche und allgemeine Wahlberechtigung hie und da hinzugefügt
haben, hat sich auch hier wieder eine Änderung ergeben. Es lohnt sich seitdem
vollkommen, daß die Leiter der Gemeinden ihre Hirtenpslicht durch viele Ge¬
schlechter hindurch mit Treue und Eifer erfüllt haben. Jetzt gehen die Hirten
voran, und die Schafe folgen ihnen zum Wahllokale, den richtigen Stimmzettel
in der Hand. Sie sind geübt, in geistlichen und hochpolitischen Dingen nicht
dein eignen Urteil, das sie ja nicht haben können, sondern dem Urteil ihres
Kciplans zu folgen, der ihr Gewissen zunächst darstellt. So setzt die Hierarchie
die politischen Interessen der Kirche in den Massen durch, wie wir es gerade
in den Staaten sehen, in denen die Hierarchie einer nichtkatholischen Mehrheit


gefühl mancher ZcntrumSglieder in einer Sache, die ja allerdings von Rom
ans nicht so genau beurteilt werden konnte. Aber das sind seltene Fälle, und
es wird nicht bezweifelt werden dürfen, daß im ganzen die Hierarchie selbst
durchweg einheitlich denkt und handelt, und da auch die Orden wieder in
großer Zahl wirksam geworden sind, auch wo sie eine Zeit lang vertrieben
waren, so erstreckt sich die hierarchische Organisation jetzt tiefer als je in die
Volksmassen hinein. Die Hauptfrage ist daher immer, ob in dem Volke
selbst und in seiner sozialen und politischen Organisation Gründe vorhanden
sind, die uns sür die Entwicklung der Kultur hoffen oder fürchten lassen.
Gewiß gehört diese Frage nicht zu denen, deren Veantwortnng auf der Hand
liegt. Ziemlich allgemein ist jedoch die Ansicht, daß die Hierarchie lieber mit
absoluten Herrschern oder mit zügellosen Demokratien, als mit konstitutionellen,
geordneten Verfassungsstaaten zu thun hat. „Der Papst sucht die Könige, er
findet die Völker; sein Nuntius sucht den Beichtvater, er findet ein verant¬
wortliches Ministerium." (Hase.) Mit dem absolutistische» Osterreich konnte
man (1855) ein schönes Konkordat abschließen, aber im verjüngten Österreich
(1868) sagte man, „es sei unmöglich, daß der Staat sich seiner Rechte in
Bezug auf die Ausübung der Justizgewalt und ans die Gesetzgebung in Sachen
des Unterrichts zu Gunsten einer von ihm völlig unabhängigen Macht ent¬
äußern oder sich des Rechtes begeben könnte, das natürlichste aller politischen
Rechte, das der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, ohne Rücksicht
auf die Konfession, der sie angehören, im vollsten Umfang zu verwirklichen."
Kein Wunder, daß der Papst die aus solchen Vordersätzen fließenden Gesetze
für fluchwürdig, greuelhaft und immerdar nngiltig erklärte. Ebenso natürlich,
wenn damals geschrieben wurde: Die Fürsten haben früher die Papstkirchc
unterstützt, jetzt wollen sie nicht mehr oder sie könne« nicht, die Kirche wird
sich daher genötigt sehen, die Demokratie zu laufen. Aber damit hatte Papst
Pius IX. auch schlimme Erfahrungen gemacht; er zog es daher meist vor, sich
den konstitutionellen Schranken zu fügen, wie z.B. in Sachen der badischen
Konvention (1860), wo die Volksvertretung die staatliche Unterwerfung unter
Rom allein verhinderte. Aber seitdem wir zu der konstitutionellen Verfassung
auch noch die gleiche und allgemeine Wahlberechtigung hie und da hinzugefügt
haben, hat sich auch hier wieder eine Änderung ergeben. Es lohnt sich seitdem
vollkommen, daß die Leiter der Gemeinden ihre Hirtenpslicht durch viele Ge¬
schlechter hindurch mit Treue und Eifer erfüllt haben. Jetzt gehen die Hirten
voran, und die Schafe folgen ihnen zum Wahllokale, den richtigen Stimmzettel
in der Hand. Sie sind geübt, in geistlichen und hochpolitischen Dingen nicht
dein eignen Urteil, das sie ja nicht haben können, sondern dem Urteil ihres
Kciplans zu folgen, der ihr Gewissen zunächst darstellt. So setzt die Hierarchie
die politischen Interessen der Kirche in den Massen durch, wie wir es gerade
in den Staaten sehen, in denen die Hierarchie einer nichtkatholischen Mehrheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/261>, abgerufen am 23.07.2024.