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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Machtstellung

achtziger Jahre bestand, den Kreditrnbel pari mit dem Silberrubel zu setzen.
Man ist eben zu der Erkenntnis gekommen, daß es sich in solchem Falle nicht
nnr um die 780 Millionen Papierrubel, sondern um die vielen Milliarden
russischer Wertpapiere handeln müßte, und um deren Einlösung in Metall ist
selbstverständlich uicht zu denken.

Von den im Vndget aufgeführte" Ausfüllen heben wir als charakteristisch
hervor fünf Millionen Rubel uicht gezahlter Loskanfgelder vou ehemalige"
Kronbauern. Daß die Privateiseubahugesellschaften der Regierung rund 1^
Milliarde schulden, ist eine weitere lehrreiche Thatsache, auch daß die Mehr¬
zahl der Emerital- und Pensionskasseu dem Bankerott nahe stehen.

Doch wie gesagt, auf eine eingehende Kritik des russischen Budgets wollen
wir uus hier nicht einlassen. Uns interessirt mehr die wirtschaftliche Lage im
Innern des Reichs. Als Unterlage soll uns dabei eine Abhandlung des Fürsten
Drutzkoi Ssokvlninski im Januarheft des 'VVWtniK ^>vrop/ dienen. Der Verfasser,
Großgrundbesitzer im Peusaischeu Gouvernement, hat sich als Nationalökonom
und Landwirt einen anerkannten Namen gemacht. Seine Überzeugung ist,
daß die künstlich ius Leben gerufene und geschützte russische Industrie die
russische Landwirtschaft rninire. Dank den Schutzzöllen und dem künstlich
gehobenen Kurse werfe die Industrie in Rußland einen durchschnittlichen Rein¬
gewinn von 26 Prozent ab -- gewiß ein Beweis, daß es nicht unvorteilhaft ist,
in Rußland Großindustrieller zu sein. Dagegen werde die landwirtschaftliche
Krisis heute kaum noch bestritten. Von den 114 800 000 Seelen in Nußland
seien etwa 13 700 000 Städter, sodaß in runder Zahl 100 Millionen auf
die ländliche Bevölkerung fallen. Diese ganze ungeheuere Mehrzahl aber leide
schwer unter dem Sinken des Preises ihrer Erzeugnisse. "Schon vor drei
Jahren ruinirt, ist sie heute in noch größern Ruin geraten." Die Thatsache
des großen Exports der letzten drei Jahre ändere daran nichts, denn der der
Industrie zu gute kommende Nnbelkurs bedrücke die Landwirtschaft in gleichem
Verhältnis.

Eine Petition der "Kaiserlichen freien ökonomischen Gesellschaft" bringt
unter dem Kapitel "Die Thatsache der Verarmung aller Klassen der Be-
völkerung" den interessanten Nachweis, daß in den Jahren 1870 bis 1879
durchschnittlich ans den Kopf 16,98 Pud Getreide kamen, in der Zeit von
1883 bis 1889 aber nur 16,81 Pud (1 Pud gleich 40 russische Pfund).
Dabei ist auch das zu Kwas, Schnaps, Vier n. s. w. verbrauchte Getreide
mit eingerechnet. Verteilt man nun jene 16,81 Pud auf die einzelnen Tage
des Jahres, so ergiebt sich als Durchschnittsportion des Einzelnem weniger als
die Hälfte dessen, was ein Soldat, abgesehen von den Zuschlagsgelderu, täglich
erhält (die Soldatenportion ist gleich 3 Pfund gebackenen Brotes). So finde
der glänzende Export, der Rußland mit dem nötigen Golde versorge, ans Kosten
der notleidenden Bevölkerung statt. Die Sterblichkeitsziffer, die von 1779 bis


Die wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Machtstellung

achtziger Jahre bestand, den Kreditrnbel pari mit dem Silberrubel zu setzen.
Man ist eben zu der Erkenntnis gekommen, daß es sich in solchem Falle nicht
nnr um die 780 Millionen Papierrubel, sondern um die vielen Milliarden
russischer Wertpapiere handeln müßte, und um deren Einlösung in Metall ist
selbstverständlich uicht zu denken.

Von den im Vndget aufgeführte« Ausfüllen heben wir als charakteristisch
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Kronbauern. Daß die Privateiseubahugesellschaften der Regierung rund 1^
Milliarde schulden, ist eine weitere lehrreiche Thatsache, auch daß die Mehr¬
zahl der Emerital- und Pensionskasseu dem Bankerott nahe stehen.

Doch wie gesagt, auf eine eingehende Kritik des russischen Budgets wollen
wir uus hier nicht einlassen. Uns interessirt mehr die wirtschaftliche Lage im
Innern des Reichs. Als Unterlage soll uns dabei eine Abhandlung des Fürsten
Drutzkoi Ssokvlninski im Januarheft des 'VVWtniK ^>vrop/ dienen. Der Verfasser,
Großgrundbesitzer im Peusaischeu Gouvernement, hat sich als Nationalökonom
und Landwirt einen anerkannten Namen gemacht. Seine Überzeugung ist,
daß die künstlich ius Leben gerufene und geschützte russische Industrie die
russische Landwirtschaft rninire. Dank den Schutzzöllen und dem künstlich
gehobenen Kurse werfe die Industrie in Rußland einen durchschnittlichen Rein¬
gewinn von 26 Prozent ab — gewiß ein Beweis, daß es nicht unvorteilhaft ist,
in Rußland Großindustrieller zu sein. Dagegen werde die landwirtschaftliche
Krisis heute kaum noch bestritten. Von den 114 800 000 Seelen in Nußland
seien etwa 13 700 000 Städter, sodaß in runder Zahl 100 Millionen auf
die ländliche Bevölkerung fallen. Diese ganze ungeheuere Mehrzahl aber leide
schwer unter dem Sinken des Preises ihrer Erzeugnisse. „Schon vor drei
Jahren ruinirt, ist sie heute in noch größern Ruin geraten." Die Thatsache
des großen Exports der letzten drei Jahre ändere daran nichts, denn der der
Industrie zu gute kommende Nnbelkurs bedrücke die Landwirtschaft in gleichem
Verhältnis.

Eine Petition der „Kaiserlichen freien ökonomischen Gesellschaft" bringt
unter dem Kapitel „Die Thatsache der Verarmung aller Klassen der Be-
völkerung" den interessanten Nachweis, daß in den Jahren 1870 bis 1879
durchschnittlich ans den Kopf 16,98 Pud Getreide kamen, in der Zeit von
1883 bis 1889 aber nur 16,81 Pud (1 Pud gleich 40 russische Pfund).
Dabei ist auch das zu Kwas, Schnaps, Vier n. s. w. verbrauchte Getreide
mit eingerechnet. Verteilt man nun jene 16,81 Pud auf die einzelnen Tage
des Jahres, so ergiebt sich als Durchschnittsportion des Einzelnem weniger als
die Hälfte dessen, was ein Soldat, abgesehen von den Zuschlagsgelderu, täglich
erhält (die Soldatenportion ist gleich 3 Pfund gebackenen Brotes). So finde
der glänzende Export, der Rußland mit dem nötigen Golde versorge, ans Kosten
der notleidenden Bevölkerung statt. Die Sterblichkeitsziffer, die von 1779 bis


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[0252] Die wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Machtstellung achtziger Jahre bestand, den Kreditrnbel pari mit dem Silberrubel zu setzen. Man ist eben zu der Erkenntnis gekommen, daß es sich in solchem Falle nicht nnr um die 780 Millionen Papierrubel, sondern um die vielen Milliarden russischer Wertpapiere handeln müßte, und um deren Einlösung in Metall ist selbstverständlich uicht zu denken. Von den im Vndget aufgeführte« Ausfüllen heben wir als charakteristisch hervor fünf Millionen Rubel uicht gezahlter Loskanfgelder vou ehemalige« Kronbauern. Daß die Privateiseubahugesellschaften der Regierung rund 1^ Milliarde schulden, ist eine weitere lehrreiche Thatsache, auch daß die Mehr¬ zahl der Emerital- und Pensionskasseu dem Bankerott nahe stehen. Doch wie gesagt, auf eine eingehende Kritik des russischen Budgets wollen wir uus hier nicht einlassen. Uns interessirt mehr die wirtschaftliche Lage im Innern des Reichs. Als Unterlage soll uns dabei eine Abhandlung des Fürsten Drutzkoi Ssokvlninski im Januarheft des 'VVWtniK ^>vrop/ dienen. Der Verfasser, Großgrundbesitzer im Peusaischeu Gouvernement, hat sich als Nationalökonom und Landwirt einen anerkannten Namen gemacht. Seine Überzeugung ist, daß die künstlich ius Leben gerufene und geschützte russische Industrie die russische Landwirtschaft rninire. Dank den Schutzzöllen und dem künstlich gehobenen Kurse werfe die Industrie in Rußland einen durchschnittlichen Rein¬ gewinn von 26 Prozent ab — gewiß ein Beweis, daß es nicht unvorteilhaft ist, in Rußland Großindustrieller zu sein. Dagegen werde die landwirtschaftliche Krisis heute kaum noch bestritten. Von den 114 800 000 Seelen in Nußland seien etwa 13 700 000 Städter, sodaß in runder Zahl 100 Millionen auf die ländliche Bevölkerung fallen. Diese ganze ungeheuere Mehrzahl aber leide schwer unter dem Sinken des Preises ihrer Erzeugnisse. „Schon vor drei Jahren ruinirt, ist sie heute in noch größern Ruin geraten." Die Thatsache des großen Exports der letzten drei Jahre ändere daran nichts, denn der der Industrie zu gute kommende Nnbelkurs bedrücke die Landwirtschaft in gleichem Verhältnis. Eine Petition der „Kaiserlichen freien ökonomischen Gesellschaft" bringt unter dem Kapitel „Die Thatsache der Verarmung aller Klassen der Be- völkerung" den interessanten Nachweis, daß in den Jahren 1870 bis 1879 durchschnittlich ans den Kopf 16,98 Pud Getreide kamen, in der Zeit von 1883 bis 1889 aber nur 16,81 Pud (1 Pud gleich 40 russische Pfund). Dabei ist auch das zu Kwas, Schnaps, Vier n. s. w. verbrauchte Getreide mit eingerechnet. Verteilt man nun jene 16,81 Pud auf die einzelnen Tage des Jahres, so ergiebt sich als Durchschnittsportion des Einzelnem weniger als die Hälfte dessen, was ein Soldat, abgesehen von den Zuschlagsgelderu, täglich erhält (die Soldatenportion ist gleich 3 Pfund gebackenen Brotes). So finde der glänzende Export, der Rußland mit dem nötigen Golde versorge, ans Kosten der notleidenden Bevölkerung statt. Die Sterblichkeitsziffer, die von 1779 bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/252>, abgerufen am 23.07.2024.