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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Arbeiterbewegung

Die meisten dieser Streiks waren selbstverständlich in erster Linie Lohu-
kämpfe. In Schmolln, Chemnitz, Solingen, Hamburg wurde gestreikt, weil
die verdienten Löhne nicht für auskömmlich angesehen wurden. Es wurden
Lohnerhöhungen bis zu 20 Prozent beansprucht. In Meißen gab die Ein¬
führung eines neuen Lohntarifs, mit dem die Arbeiter nicht einverstanden
waren, in Vurkhardsdors und Schmiedeberg Lohnhcrabsetzungen den Anlaß. Bei
den Berliner Vergolderu wurde außer einer Lohnerhöhung um 10 Prozent
noch um die Erreichung einer neunstündigen Arbeitszeit gekämpst. Auf der
Zeche Vlankenbnrg gab die Entlassung von drei Arbeitern, wahrscheinlich
Delegirten, Veranlassung zur Niederlegung der Arbeit. In Erfurt wurde
den Arbeitgebern ebenfalls das Recht bestritten, Arbeiter, die zur Organisation
gehören, zu entlassen. In Eschwege wurde gestreikt, weil die Arbeitgeber von
ihren Arbeitern den Austritt ans dein Bremer Fachverein forderten. In
Hamburg verlangten umgekehrt die Arbeiter von den Fabrikanten, daß
sie nur solche Arbeiter künftig beschäftigen sollten, die zur Organisation ge¬
hören. In den meisten Fällen stand der raschen Beilegung der Streiks im
Wege, daß die Wiedereinstellnng aller ausgesperrten Arbeiter erzwungen
werden Spille.

Die Streiks sind aller Wahrscheinlichkeit nach namentlich von sozialdemo¬
kratischen Arbeitern ausgegangen. Verfügt hat jedoch die Parteileitung an¬
geblich nur den Aufstand der Töpfer. Im allgemeinen kamen die Streiks der
Parteileitung ungelegen, da die Streikkassen leer waren und von den Arbeitern
um Weihnachten nichts zu erlangen war. Doch wurde die Durchführung der
Aufstände in Bergedorf, Eschwege, Erfurt, Hamburg, nachdem sie einmal aus-
gebrochen waren, zur Parteisache erklärt und mit allen Kräften unterstützt.
Die nach Solingen gezählten llnterstntzungsgelder werden für die ganze Aus¬
standszeit auf 36000 Mark geschätzt. Die Unterstützung der in Hamburg
nnsgesperrten 3000 Personen mit 1800 Kindern soll allein wöchentlich gegen
N 000 Mark in Anspruch nehmen.

Der Ausgang der Streiks ist verschieden gewesen. Ans der Zeche
Blankenburg wurden infolge Vermittelung des königlichen Oberbergamts in
Dortmund die drei abgelegten Arbeiter von der Grubcnverwaltuug zunächst
wieder angenommen. Die Streiks der Töpfer nahmen nach einzelnen Berichten
angeblich einen glänzenden Verlauf, indem die Arbeiter ihre Forderungen durch¬
setzten. In der Zwickertschcn Fabrik in Brattnschweig einigten sich die
Streitenden bald wieder mit ihrem Brodherrn. In Chemnitz wurde die Fabrik
von Stärker geschlossen und in Eschwege ein Teil der Produktion nach aus¬
wärts verlegt. In Solingen und Erfurt kehrten die Arbeiter nach und nach
freiwillig zur Arbeit zurück. In Erfurt fehlen nur noch 230 Personen. In
Eschwege gelang es den Fabrikanten, die Parteiorganisation zu sprengen. Über
den Ausgang der übrigen Streiks wird nichts berichtet. Noch nicht beendet


Der gegenwärtige Stand der Arbeiterbewegung

Die meisten dieser Streiks waren selbstverständlich in erster Linie Lohu-
kämpfe. In Schmolln, Chemnitz, Solingen, Hamburg wurde gestreikt, weil
die verdienten Löhne nicht für auskömmlich angesehen wurden. Es wurden
Lohnerhöhungen bis zu 20 Prozent beansprucht. In Meißen gab die Ein¬
führung eines neuen Lohntarifs, mit dem die Arbeiter nicht einverstanden
waren, in Vurkhardsdors und Schmiedeberg Lohnhcrabsetzungen den Anlaß. Bei
den Berliner Vergolderu wurde außer einer Lohnerhöhung um 10 Prozent
noch um die Erreichung einer neunstündigen Arbeitszeit gekämpst. Auf der
Zeche Vlankenbnrg gab die Entlassung von drei Arbeitern, wahrscheinlich
Delegirten, Veranlassung zur Niederlegung der Arbeit. In Erfurt wurde
den Arbeitgebern ebenfalls das Recht bestritten, Arbeiter, die zur Organisation
gehören, zu entlassen. In Eschwege wurde gestreikt, weil die Arbeitgeber von
ihren Arbeitern den Austritt ans dein Bremer Fachverein forderten. In
Hamburg verlangten umgekehrt die Arbeiter von den Fabrikanten, daß
sie nur solche Arbeiter künftig beschäftigen sollten, die zur Organisation ge¬
hören. In den meisten Fällen stand der raschen Beilegung der Streiks im
Wege, daß die Wiedereinstellnng aller ausgesperrten Arbeiter erzwungen
werden Spille.

Die Streiks sind aller Wahrscheinlichkeit nach namentlich von sozialdemo¬
kratischen Arbeitern ausgegangen. Verfügt hat jedoch die Parteileitung an¬
geblich nur den Aufstand der Töpfer. Im allgemeinen kamen die Streiks der
Parteileitung ungelegen, da die Streikkassen leer waren und von den Arbeitern
um Weihnachten nichts zu erlangen war. Doch wurde die Durchführung der
Aufstände in Bergedorf, Eschwege, Erfurt, Hamburg, nachdem sie einmal aus-
gebrochen waren, zur Parteisache erklärt und mit allen Kräften unterstützt.
Die nach Solingen gezählten llnterstntzungsgelder werden für die ganze Aus¬
standszeit auf 36000 Mark geschätzt. Die Unterstützung der in Hamburg
nnsgesperrten 3000 Personen mit 1800 Kindern soll allein wöchentlich gegen
N 000 Mark in Anspruch nehmen.

Der Ausgang der Streiks ist verschieden gewesen. Ans der Zeche
Blankenburg wurden infolge Vermittelung des königlichen Oberbergamts in
Dortmund die drei abgelegten Arbeiter von der Grubcnverwaltuug zunächst
wieder angenommen. Die Streiks der Töpfer nahmen nach einzelnen Berichten
angeblich einen glänzenden Verlauf, indem die Arbeiter ihre Forderungen durch¬
setzten. In der Zwickertschcn Fabrik in Brattnschweig einigten sich die
Streitenden bald wieder mit ihrem Brodherrn. In Chemnitz wurde die Fabrik
von Stärker geschlossen und in Eschwege ein Teil der Produktion nach aus¬
wärts verlegt. In Solingen und Erfurt kehrten die Arbeiter nach und nach
freiwillig zur Arbeit zurück. In Erfurt fehlen nur noch 230 Personen. In
Eschwege gelang es den Fabrikanten, die Parteiorganisation zu sprengen. Über
den Ausgang der übrigen Streiks wird nichts berichtet. Noch nicht beendet


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[0203] Der gegenwärtige Stand der Arbeiterbewegung Die meisten dieser Streiks waren selbstverständlich in erster Linie Lohu- kämpfe. In Schmolln, Chemnitz, Solingen, Hamburg wurde gestreikt, weil die verdienten Löhne nicht für auskömmlich angesehen wurden. Es wurden Lohnerhöhungen bis zu 20 Prozent beansprucht. In Meißen gab die Ein¬ führung eines neuen Lohntarifs, mit dem die Arbeiter nicht einverstanden waren, in Vurkhardsdors und Schmiedeberg Lohnhcrabsetzungen den Anlaß. Bei den Berliner Vergolderu wurde außer einer Lohnerhöhung um 10 Prozent noch um die Erreichung einer neunstündigen Arbeitszeit gekämpst. Auf der Zeche Vlankenbnrg gab die Entlassung von drei Arbeitern, wahrscheinlich Delegirten, Veranlassung zur Niederlegung der Arbeit. In Erfurt wurde den Arbeitgebern ebenfalls das Recht bestritten, Arbeiter, die zur Organisation gehören, zu entlassen. In Eschwege wurde gestreikt, weil die Arbeitgeber von ihren Arbeitern den Austritt ans dein Bremer Fachverein forderten. In Hamburg verlangten umgekehrt die Arbeiter von den Fabrikanten, daß sie nur solche Arbeiter künftig beschäftigen sollten, die zur Organisation ge¬ hören. In den meisten Fällen stand der raschen Beilegung der Streiks im Wege, daß die Wiedereinstellnng aller ausgesperrten Arbeiter erzwungen werden Spille. Die Streiks sind aller Wahrscheinlichkeit nach namentlich von sozialdemo¬ kratischen Arbeitern ausgegangen. Verfügt hat jedoch die Parteileitung an¬ geblich nur den Aufstand der Töpfer. Im allgemeinen kamen die Streiks der Parteileitung ungelegen, da die Streikkassen leer waren und von den Arbeitern um Weihnachten nichts zu erlangen war. Doch wurde die Durchführung der Aufstände in Bergedorf, Eschwege, Erfurt, Hamburg, nachdem sie einmal aus- gebrochen waren, zur Parteisache erklärt und mit allen Kräften unterstützt. Die nach Solingen gezählten llnterstntzungsgelder werden für die ganze Aus¬ standszeit auf 36000 Mark geschätzt. Die Unterstützung der in Hamburg nnsgesperrten 3000 Personen mit 1800 Kindern soll allein wöchentlich gegen N 000 Mark in Anspruch nehmen. Der Ausgang der Streiks ist verschieden gewesen. Ans der Zeche Blankenburg wurden infolge Vermittelung des königlichen Oberbergamts in Dortmund die drei abgelegten Arbeiter von der Grubcnverwaltuug zunächst wieder angenommen. Die Streiks der Töpfer nahmen nach einzelnen Berichten angeblich einen glänzenden Verlauf, indem die Arbeiter ihre Forderungen durch¬ setzten. In der Zwickertschcn Fabrik in Brattnschweig einigten sich die Streitenden bald wieder mit ihrem Brodherrn. In Chemnitz wurde die Fabrik von Stärker geschlossen und in Eschwege ein Teil der Produktion nach aus¬ wärts verlegt. In Solingen und Erfurt kehrten die Arbeiter nach und nach freiwillig zur Arbeit zurück. In Erfurt fehlen nur noch 230 Personen. In Eschwege gelang es den Fabrikanten, die Parteiorganisation zu sprengen. Über den Ausgang der übrigen Streiks wird nichts berichtet. Noch nicht beendet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/203>, abgerufen am 23.07.2024.