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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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auch nur wenige, denen nicht das Gewissen geschlagen hätte, als diese Mahnung
von allerhöchster Stelle erging. Auch mit der körperlichen Ausbildung sollte
sich die Schule noch mehr befassen, als es bisher geschieht, da vor allem der
Körper gesund sein muß, wenn ein gesunder Sinn drin wohnen soll. Daß
anderseits manches als entbehrlich in der Folgezeit wegbleiben kann, kann nicht
bestritten werden: mag beispielsweise der lateinische Aufsatz fallen, wenn er
wirklich erfahrungsgemäß in den meisten Fällen nur eine mühelose Zusammen¬
stellung von Redensarten ist, denn dann erreicht er seinen Zweck allerdings
nicht. Freilich, wer sich ernstliche Mühe giebt, einen lateinischen Aufsatz zu
schreiben, dem bringt eine solche Arbeit mehr Nutzen als fast jede andre
Geistesübung. Mag man ferner immerhin künftig mehr Wert auf den deutschen
Aufsatz legen, man vergesse nur nicht, daß die Fertigung einer Übersetzung
aus einer fremden, am besten einer der toten Sprachen, wenn nur die möglichste
Treue einerseits, die Reinheit und Schönheit des deutschen Stils anderseits
angestrebt wird, die Sicherheit in der Anwendung des deutschen Ausdruckes
mehr fördert als eine frei verfaßte Stilübung. Also solche und ähnliche
Änderungen im Lehrplan wird sich das Gymnasium gefallen lasten müssen.
Aber damit ist nicht gesagt, daß. es sein Zweck sei, für einen Fachberuf vor¬
zubereiten. Es soll nur die allgemeine Grundlage abgeben für den, der
sich einem gelehrten Fachstudium zu widmen gedenkt. Auf jener unrichtigen
Anschauung beruht es, wenn man sich z. B. vonseiten der Naturforscher
darüber beklagt, die Gymnasiasten brächten zu wenig Kenntnisse in den Natur¬
wissenschaften auf die Universität mit. Sie kommen eben dahin, um sie sich
anzueignen, und wer dies Fach nicht studiren will, der lernt wohl auf den
meisten Gymnasien zur Genüge davon. Mit demselben Recht könnte sich der
Nationalökonvm beschweren, daß seine Hörer, wenn sie vom Gymnasium
kommen, nicht genug Englisch verstünden, oder der Theologe, daß die Kenntnis
des Hebräischen noch zu wünschen übrig lasse. Und was sollte Wohl der
Jurist oder gar der Orientalist sagen?

Die Schulkonferenz, deren Berufung für die streitenden Parteien eine Art
Waffenstillstand bedeutete, hat ihre Arbeit beendet. Das von ihr geschaffene
Fundament auszubauen wird die Aufgabe der nächsten Zukunft fein. Aber
wie sich dieser Ausbau auch gestalten möge, der eigentliche Kern der Gym¬
nasien, die humanistische Grundlage, kann unangetastet bleiben, immer voraus¬
gesetzt, daß die Art des Unterrichts allen berechtigten Anforderungen entspricht,
ja sie muß sogar unter dieser Voraussetzung unangetastet bleiben. Die Griechen
bilden die Grundlage unsrer geistigen Kultur, die Rainer vermitteln zwischen
ihnen und uns. Es ist, nachdem die Kulturbcdentung des klassischen Alter¬
tums so lauge und so vielfach Gegenstand der Erörterung gewesen ist, über¬
flüssig, hier die Unsumme der Einzelheiten, die uns daran mahnen, abermals
zu verzeichnen, die tausend und abertausend Fäden, die uns mit dem Altertum


auch nur wenige, denen nicht das Gewissen geschlagen hätte, als diese Mahnung
von allerhöchster Stelle erging. Auch mit der körperlichen Ausbildung sollte
sich die Schule noch mehr befassen, als es bisher geschieht, da vor allem der
Körper gesund sein muß, wenn ein gesunder Sinn drin wohnen soll. Daß
anderseits manches als entbehrlich in der Folgezeit wegbleiben kann, kann nicht
bestritten werden: mag beispielsweise der lateinische Aufsatz fallen, wenn er
wirklich erfahrungsgemäß in den meisten Fällen nur eine mühelose Zusammen¬
stellung von Redensarten ist, denn dann erreicht er seinen Zweck allerdings
nicht. Freilich, wer sich ernstliche Mühe giebt, einen lateinischen Aufsatz zu
schreiben, dem bringt eine solche Arbeit mehr Nutzen als fast jede andre
Geistesübung. Mag man ferner immerhin künftig mehr Wert auf den deutschen
Aufsatz legen, man vergesse nur nicht, daß die Fertigung einer Übersetzung
aus einer fremden, am besten einer der toten Sprachen, wenn nur die möglichste
Treue einerseits, die Reinheit und Schönheit des deutschen Stils anderseits
angestrebt wird, die Sicherheit in der Anwendung des deutschen Ausdruckes
mehr fördert als eine frei verfaßte Stilübung. Also solche und ähnliche
Änderungen im Lehrplan wird sich das Gymnasium gefallen lasten müssen.
Aber damit ist nicht gesagt, daß. es sein Zweck sei, für einen Fachberuf vor¬
zubereiten. Es soll nur die allgemeine Grundlage abgeben für den, der
sich einem gelehrten Fachstudium zu widmen gedenkt. Auf jener unrichtigen
Anschauung beruht es, wenn man sich z. B. vonseiten der Naturforscher
darüber beklagt, die Gymnasiasten brächten zu wenig Kenntnisse in den Natur¬
wissenschaften auf die Universität mit. Sie kommen eben dahin, um sie sich
anzueignen, und wer dies Fach nicht studiren will, der lernt wohl auf den
meisten Gymnasien zur Genüge davon. Mit demselben Recht könnte sich der
Nationalökonvm beschweren, daß seine Hörer, wenn sie vom Gymnasium
kommen, nicht genug Englisch verstünden, oder der Theologe, daß die Kenntnis
des Hebräischen noch zu wünschen übrig lasse. Und was sollte Wohl der
Jurist oder gar der Orientalist sagen?

Die Schulkonferenz, deren Berufung für die streitenden Parteien eine Art
Waffenstillstand bedeutete, hat ihre Arbeit beendet. Das von ihr geschaffene
Fundament auszubauen wird die Aufgabe der nächsten Zukunft fein. Aber
wie sich dieser Ausbau auch gestalten möge, der eigentliche Kern der Gym¬
nasien, die humanistische Grundlage, kann unangetastet bleiben, immer voraus¬
gesetzt, daß die Art des Unterrichts allen berechtigten Anforderungen entspricht,
ja sie muß sogar unter dieser Voraussetzung unangetastet bleiben. Die Griechen
bilden die Grundlage unsrer geistigen Kultur, die Rainer vermitteln zwischen
ihnen und uns. Es ist, nachdem die Kulturbcdentung des klassischen Alter¬
tums so lauge und so vielfach Gegenstand der Erörterung gewesen ist, über¬
flüssig, hier die Unsumme der Einzelheiten, die uns daran mahnen, abermals
zu verzeichnen, die tausend und abertausend Fäden, die uns mit dem Altertum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/175>, abgerufen am 25.08.2024.