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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Weise die Demokratie oder die südstaatliche Ritterlichkeit vor einer Versamm¬
lung der Freien und Aufgeklärten geschildert hätte, würde er auf der Stelle
geleert und gefedert worden sein." Und über eine Senatssitzung wahrend
des Zerwürfnisses mit England: "Es ist verächtlich, daß diese Leute gar kein
Gefühl zeigen für die Verantwortlichkeit von Staatsmännern und aus Prah¬
lerei nach einem Seekriege schreien mit einer Macht, die über mehr als vier¬
hundert Kriegsschiffe gebietet, während wir deren fünfundzwanzig bis dreißig
besitzen."

Im Herbst 1861 schickte Lincoln Motleh als Gesandten nach Wien, wo
er sich der sehr günstigen Gesinnung für die Nordstaaten erfreute, aber die
Londoner Gesellschaft vermißte. Er zieht wiederholt Parallelen. Seine natür¬
liche Anlage zur Langweiligkeit sei in der Wiener Atmosphäre zu schneller
Entwicklung gelaugt. "Die englische Gesellschaft ist viel interessanter, weil
jeder, der etwas Bemerkenswertes gethan hat, darin angetroffen wird. Aber
selbst wenn ein Österreicher Shakespeare, Galileo, Nelson und Naffael in einer
Person wäre, so könnte er nicht in die gute Gesellschaft von Wien zugelassen
werden, wenn er nicht sechzehn Ahnen aufzuweisen hat hhätte^, da nur Geburts¬
adel Zutritt verschafft." Das erklärt vielleicht die kindische Jagd nach Adels¬
titeln in Österreich. Mit dem Ritter- oder Freiherrndiplom auch gleich eine
Anzahl Ahnen zu verleihen, ist allerdings nicht mehr gebräuchlich, aber -- gar
so streug muß die Grenzsperre doch nicht sein, da, wie wir ans andern Briefen
Mvtlehs ersehen, die Herren von Rothschild zur Wiener "Gesellschaft" gehören.
Er knüpft aber später auch ernste Betrachtungen an die Exklusivität und Ober¬
flächlichkeit der regierenden Schicht an. "Schon tanzen, gut reiten, reizende
Manieren und zweiunddreißig Ahnen haben, genügt doch nicht, um in unsern
entarteten Tagen die Welt zu regieren; und so erklärt sich Königgrätz und
der Prager Friedensschluß." Die große Bedeutung des Theaters im Wiener
Leben mutet ihn auch fremdartig an, doch kann er nicht umhin, dem Burg-
theater sein Kompliment zu macheu. Das (alte) Haus nennt er wohl "den
schäbigste" alten Nnmpelkasteu," den man sich vorstellen könne, "gebaut wie
ein Omnibus." schlecht beleuchtet, aber es hat doch "etwas Vornehmes mit
seinem bewunderungswürdigen Spiel und den Logen, in denen lauter Erz¬
herzöge, Prinzen und Gesandte sitzen. Du kannst -- schreibt er einer seiner
Töchter -- pomphaft vergoldete, funkelnagelneue Theater überall finden, in
Paris und in Buffnlo, aber schwerlich eines darunter mit einer solchen Schau¬
spielertruppe und solchen Zuschauern." Die Wiener, die jetzt much ein pomp¬
haft vergoldetes, funkelnagelneues Schauspielhaus besitzen, scheinen sich in der
That nach dem schäbigen alten Nnmpelkasteu zurückzusehnen.

Entzückt ist Motley von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der
Kaiserin, und er berichtet eine artige kleine Geschichte von einem Hofdiner.
Die Kaiserin unterbrach ihr Gespräch mit ihm plötzlich durch den^lnsruf:


Greuzbvwi 1 1.891 M

Weise die Demokratie oder die südstaatliche Ritterlichkeit vor einer Versamm¬
lung der Freien und Aufgeklärten geschildert hätte, würde er auf der Stelle
geleert und gefedert worden sein." Und über eine Senatssitzung wahrend
des Zerwürfnisses mit England: „Es ist verächtlich, daß diese Leute gar kein
Gefühl zeigen für die Verantwortlichkeit von Staatsmännern und aus Prah¬
lerei nach einem Seekriege schreien mit einer Macht, die über mehr als vier¬
hundert Kriegsschiffe gebietet, während wir deren fünfundzwanzig bis dreißig
besitzen."

Im Herbst 1861 schickte Lincoln Motleh als Gesandten nach Wien, wo
er sich der sehr günstigen Gesinnung für die Nordstaaten erfreute, aber die
Londoner Gesellschaft vermißte. Er zieht wiederholt Parallelen. Seine natür¬
liche Anlage zur Langweiligkeit sei in der Wiener Atmosphäre zu schneller
Entwicklung gelaugt. „Die englische Gesellschaft ist viel interessanter, weil
jeder, der etwas Bemerkenswertes gethan hat, darin angetroffen wird. Aber
selbst wenn ein Österreicher Shakespeare, Galileo, Nelson und Naffael in einer
Person wäre, so könnte er nicht in die gute Gesellschaft von Wien zugelassen
werden, wenn er nicht sechzehn Ahnen aufzuweisen hat hhätte^, da nur Geburts¬
adel Zutritt verschafft." Das erklärt vielleicht die kindische Jagd nach Adels¬
titeln in Österreich. Mit dem Ritter- oder Freiherrndiplom auch gleich eine
Anzahl Ahnen zu verleihen, ist allerdings nicht mehr gebräuchlich, aber — gar
so streug muß die Grenzsperre doch nicht sein, da, wie wir ans andern Briefen
Mvtlehs ersehen, die Herren von Rothschild zur Wiener „Gesellschaft" gehören.
Er knüpft aber später auch ernste Betrachtungen an die Exklusivität und Ober¬
flächlichkeit der regierenden Schicht an. „Schon tanzen, gut reiten, reizende
Manieren und zweiunddreißig Ahnen haben, genügt doch nicht, um in unsern
entarteten Tagen die Welt zu regieren; und so erklärt sich Königgrätz und
der Prager Friedensschluß." Die große Bedeutung des Theaters im Wiener
Leben mutet ihn auch fremdartig an, doch kann er nicht umhin, dem Burg-
theater sein Kompliment zu macheu. Das (alte) Haus nennt er wohl „den
schäbigste» alten Nnmpelkasteu," den man sich vorstellen könne, „gebaut wie
ein Omnibus." schlecht beleuchtet, aber es hat doch „etwas Vornehmes mit
seinem bewunderungswürdigen Spiel und den Logen, in denen lauter Erz¬
herzöge, Prinzen und Gesandte sitzen. Du kannst — schreibt er einer seiner
Töchter — pomphaft vergoldete, funkelnagelneue Theater überall finden, in
Paris und in Buffnlo, aber schwerlich eines darunter mit einer solchen Schau¬
spielertruppe und solchen Zuschauern." Die Wiener, die jetzt much ein pomp¬
haft vergoldetes, funkelnagelneues Schauspielhaus besitzen, scheinen sich in der
That nach dem schäbigen alten Nnmpelkasteu zurückzusehnen.

Entzückt ist Motley von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der
Kaiserin, und er berichtet eine artige kleine Geschichte von einem Hofdiner.
Die Kaiserin unterbrach ihr Gespräch mit ihm plötzlich durch den^lnsruf:


Greuzbvwi 1 1.891 M
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/161>, abgerufen am 23.07.2024.