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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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John Lothrop Motley

seine Satire. "Man kommt vor einem ernsten Gebäude von nankingfarbenen
Ziegeln ein und wird von einer Schar ehrsamer Lakaien empfangen, vertraut
einem derselbe,, in bescheidenem Flüsterton seinen Namen an, damit er ihn seinen
Kollegen auf dem obern Treppenabsatze zubrülle" kauu. Dann tritt man in
einen weiten Saal ein, worin soundsoviel Herren und Domen sich befinden,
mit denen mau die üblichen Redensarten über die Hitze, die Wohlgerüche der
Themse wechselt, ehe der feierliche Zug sich die Treppe hinab zum >zur^ 8into
5 mung'or bewegt. Langsam und traurig ^u>?^ setzen wir uns hin. und immer
werden genau dieselben Schüsseln in genau derselben Anordnung >Reihenfolge?!
dir unter die Nase gehalten, auch immer in demselben Moment. Ist dann die
normale Zeit von anderthalb Stunden verflossen, so rauschen die Krinolinen
wie auf Kommando, und die Damen entschweben wieder zu den höhern Re¬
gionen. Die männlichen Überlebenden thun so, als fühlten sie sich erleichtert,
rücken näher zusammen, angeblich um zu Politisiren, obgleich nie etwas gesagt
wird, und um Wem zu trinken, von dem keine Pinke konsumirt wird. Sobald
wieder die normalen zwanzig Minuten so hingebracht sind, erfolgt die feierliche
Frage: "Noch ein wenig Wein?", wird abgelehnt ^verneint?), und die Prozession
steigt so ernst wie zum Leichenbegängnis die Treppe hinauf, als hätten sie
alle sich versammelt, um einem abgeschiedenen Freunde die letzte Ehre zu er¬
weisen, und wären froh, allen Vorschriften geziemend genügt zu haben." Er¬
innert diese humoristische Beschreibung nicht an manches heitere Bild in den
Briefen seines großen Freundes? Im übrigen giebt er sich dem Zauber des
Verkehrs in der englischen vornehmen Welt widerstandslos hin, in der Stadt
wie auf den prächtigen Landsitzen, ist immer neu entzückt von den Frauen,
namentlich von den Großmüttern, die wie ihre Tochter aussehen, und traut
allen Männern das Beste zu. Dieser Glaube wird freilich, als es zum Bürger¬
krieg in Amerika kommt, etwas erschüttert, und späterhin kommt ihm auch die
Kehrseite des glänzenden Bildes deutlicher zum Bewußtsein. So schreibt er
von Strathfieldsaye, dem Landsitze der Wellingtons: "Der Park ist einer der
schönsten von den vielen sammetnen, grünbelnnbten, dem Walde abgerungenen
stattlichen Landsitzen Englands -- ParadiesM, die im moralischen und
Politisch-ökonomischen Sinne verderblich sind, und die, wie ich glaube, dereinst
in kommenden Jahrhunderten dem allgemeinen Wohle zum Opfer fallen müssen."
Und im Begriff. England zu verlassen, 1867: "So sehr ich den außerordent¬
lichen Reiz der Verfeinerung und Anmut der englischen Lebensweise, besonders
des Landlebens, ästhetisch und sinnlich zu genießen und zu würdigen weiß,
fühle ich doch zu scharf, welch eiuen enormen Preis das englische Volk dafür
zahlt, damit diese reiche Aristokratie mit ihren Parks und Schlössern, ihren
Fuchsjagden, Fischereien und Wettrennen, ihrer glänzenden unbeschränkten
Gastlichkeit, ihrer litterarischen und gelehrten Muße (!) so fett werden konnte,
als daß ich jemals in Gefahr käme, mein Urteil bestechen zu lassen. Trotz


John Lothrop Motley

seine Satire. „Man kommt vor einem ernsten Gebäude von nankingfarbenen
Ziegeln ein und wird von einer Schar ehrsamer Lakaien empfangen, vertraut
einem derselbe,, in bescheidenem Flüsterton seinen Namen an, damit er ihn seinen
Kollegen auf dem obern Treppenabsatze zubrülle« kauu. Dann tritt man in
einen weiten Saal ein, worin soundsoviel Herren und Domen sich befinden,
mit denen mau die üblichen Redensarten über die Hitze, die Wohlgerüche der
Themse wechselt, ehe der feierliche Zug sich die Treppe hinab zum >zur^ 8into
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dir unter die Nase gehalten, auch immer in demselben Moment. Ist dann die
normale Zeit von anderthalb Stunden verflossen, so rauschen die Krinolinen
wie auf Kommando, und die Damen entschweben wieder zu den höhern Re¬
gionen. Die männlichen Überlebenden thun so, als fühlten sie sich erleichtert,
rücken näher zusammen, angeblich um zu Politisiren, obgleich nie etwas gesagt
wird, und um Wem zu trinken, von dem keine Pinke konsumirt wird. Sobald
wieder die normalen zwanzig Minuten so hingebracht sind, erfolgt die feierliche
Frage: „Noch ein wenig Wein?", wird abgelehnt ^verneint?), und die Prozession
steigt so ernst wie zum Leichenbegängnis die Treppe hinauf, als hätten sie
alle sich versammelt, um einem abgeschiedenen Freunde die letzte Ehre zu er¬
weisen, und wären froh, allen Vorschriften geziemend genügt zu haben." Er¬
innert diese humoristische Beschreibung nicht an manches heitere Bild in den
Briefen seines großen Freundes? Im übrigen giebt er sich dem Zauber des
Verkehrs in der englischen vornehmen Welt widerstandslos hin, in der Stadt
wie auf den prächtigen Landsitzen, ist immer neu entzückt von den Frauen,
namentlich von den Großmüttern, die wie ihre Tochter aussehen, und traut
allen Männern das Beste zu. Dieser Glaube wird freilich, als es zum Bürger¬
krieg in Amerika kommt, etwas erschüttert, und späterhin kommt ihm auch die
Kehrseite des glänzenden Bildes deutlicher zum Bewußtsein. So schreibt er
von Strathfieldsaye, dem Landsitze der Wellingtons: „Der Park ist einer der
schönsten von den vielen sammetnen, grünbelnnbten, dem Walde abgerungenen
stattlichen Landsitzen Englands — ParadiesM, die im moralischen und
Politisch-ökonomischen Sinne verderblich sind, und die, wie ich glaube, dereinst
in kommenden Jahrhunderten dem allgemeinen Wohle zum Opfer fallen müssen."
Und im Begriff. England zu verlassen, 1867: „So sehr ich den außerordent¬
lichen Reiz der Verfeinerung und Anmut der englischen Lebensweise, besonders
des Landlebens, ästhetisch und sinnlich zu genießen und zu würdigen weiß,
fühle ich doch zu scharf, welch eiuen enormen Preis das englische Volk dafür
zahlt, damit diese reiche Aristokratie mit ihren Parks und Schlössern, ihren
Fuchsjagden, Fischereien und Wettrennen, ihrer glänzenden unbeschränkten
Gastlichkeit, ihrer litterarischen und gelehrten Muße (!) so fett werden konnte,
als daß ich jemals in Gefahr käme, mein Urteil bestechen zu lassen. Trotz


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[0157] John Lothrop Motley seine Satire. „Man kommt vor einem ernsten Gebäude von nankingfarbenen Ziegeln ein und wird von einer Schar ehrsamer Lakaien empfangen, vertraut einem derselbe,, in bescheidenem Flüsterton seinen Namen an, damit er ihn seinen Kollegen auf dem obern Treppenabsatze zubrülle« kauu. Dann tritt man in einen weiten Saal ein, worin soundsoviel Herren und Domen sich befinden, mit denen mau die üblichen Redensarten über die Hitze, die Wohlgerüche der Themse wechselt, ehe der feierliche Zug sich die Treppe hinab zum >zur^ 8into 5 mung'or bewegt. Langsam und traurig ^u>?^ setzen wir uns hin. und immer werden genau dieselben Schüsseln in genau derselben Anordnung >Reihenfolge?! dir unter die Nase gehalten, auch immer in demselben Moment. Ist dann die normale Zeit von anderthalb Stunden verflossen, so rauschen die Krinolinen wie auf Kommando, und die Damen entschweben wieder zu den höhern Re¬ gionen. Die männlichen Überlebenden thun so, als fühlten sie sich erleichtert, rücken näher zusammen, angeblich um zu Politisiren, obgleich nie etwas gesagt wird, und um Wem zu trinken, von dem keine Pinke konsumirt wird. Sobald wieder die normalen zwanzig Minuten so hingebracht sind, erfolgt die feierliche Frage: „Noch ein wenig Wein?", wird abgelehnt ^verneint?), und die Prozession steigt so ernst wie zum Leichenbegängnis die Treppe hinauf, als hätten sie alle sich versammelt, um einem abgeschiedenen Freunde die letzte Ehre zu er¬ weisen, und wären froh, allen Vorschriften geziemend genügt zu haben." Er¬ innert diese humoristische Beschreibung nicht an manches heitere Bild in den Briefen seines großen Freundes? Im übrigen giebt er sich dem Zauber des Verkehrs in der englischen vornehmen Welt widerstandslos hin, in der Stadt wie auf den prächtigen Landsitzen, ist immer neu entzückt von den Frauen, namentlich von den Großmüttern, die wie ihre Tochter aussehen, und traut allen Männern das Beste zu. Dieser Glaube wird freilich, als es zum Bürger¬ krieg in Amerika kommt, etwas erschüttert, und späterhin kommt ihm auch die Kehrseite des glänzenden Bildes deutlicher zum Bewußtsein. So schreibt er von Strathfieldsaye, dem Landsitze der Wellingtons: „Der Park ist einer der schönsten von den vielen sammetnen, grünbelnnbten, dem Walde abgerungenen stattlichen Landsitzen Englands — ParadiesM, die im moralischen und Politisch-ökonomischen Sinne verderblich sind, und die, wie ich glaube, dereinst in kommenden Jahrhunderten dem allgemeinen Wohle zum Opfer fallen müssen." Und im Begriff. England zu verlassen, 1867: „So sehr ich den außerordent¬ lichen Reiz der Verfeinerung und Anmut der englischen Lebensweise, besonders des Landlebens, ästhetisch und sinnlich zu genießen und zu würdigen weiß, fühle ich doch zu scharf, welch eiuen enormen Preis das englische Volk dafür zahlt, damit diese reiche Aristokratie mit ihren Parks und Schlössern, ihren Fuchsjagden, Fischereien und Wettrennen, ihrer glänzenden unbeschränkten Gastlichkeit, ihrer litterarischen und gelehrten Muße (!) so fett werden konnte, als daß ich jemals in Gefahr käme, mein Urteil bestechen zu lassen. Trotz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/157>, abgerufen am 23.07.2024.