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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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John Lothrop Motley

Ministers zu betreiben. Als Gesandter hatte ich, obschon Beamter, doch das
Gefühl, ein Gentleman zu sein. Als Minister ist man Helot. Ich bin herunter¬
gekommen und weiß doch selber nicht wie." Es muß daran erinnert werden,
daß in jener Sitzung die Schleswig-holsteinische Frage besprochen wurde, und
der Abgeordnete Virchow, der eine von seinen berühmten, von der Welt¬
geschichte unhöflicherweise nie beachteten politischen Prophezeiungen vortragen
wollte, es als eine Verfassuugsverletzung erkannte, daß der Ministerpräsident
sich diesem Genusse entzogen hatte. Bismarck kehrte sofort aus dein Minister¬
zimmer zurück und gab dem Redner die beruhigende Versicherung, ihn auch
im Nebenzimmer gehört zu haben, worüber denn große Entrüstung zum Aus¬
bruche kam. In diesem Zusammenhange wirkt der Brief um so erheiternder.

Bismarck und Mottel) waren bekanntlich als Studenten in Göttingen 1832
in einen freundschaftlichen Verkehr getreten, der sich in Berlin fortsetzte. Ein
Wiedersehen erfolgte erst, als Motley 1855 auf der Reise von Brüssel nach Florenz
Frankfurt berührte und den preußischen Gesandten am Bundestage aufsuchte.
Er schildert seiner Frau ausführlich den überaus herzlichen Empfang. "Wenn
ich sein Bruder gewesen wäre, statt nur ein alter Freund, Hütte er nicht
wärmere Zuneigung und mehr Entzücken zeigen können, mich bei sich zu sehen."
Und bei einem drei Jahre später in Frankfurt abgestatteten Besuche sagt ihm
Frau v. Bismarck, seine Anwesenheit verjünge ihren Gemahl um zwanzig
Jahre. Motley setzt hinzu: "Es scheint mir lächerlich, daß jemand durch
meine Gesellschaft belebt und erheitert werden sollte; aber es hat seinen guten
Grund. Seine ganze Zeit ist so angefüllt mit der langweiligsten aller
svoizg-or^s, der Politik des deutschen Bundes, daß, wenn ein solcher mittel-
ciltriger Herr vorübergehend in einen achtzehnjährigen Jüngling verwandelt
wird mit dem entsprechenden Betragen, es kein Wunder ist, daß seine Familie
sich darüber freut." Er schildert deu ungezwungenen Verkehr im Hause, wie
er seitdem so unzähligemnle geschildert worden ist, zeigt aber auch volles Ver¬
ständnis für die Bedeutung des Mannes, dessen politische Ansichten allerdings
sehr verschiede,, seien von den seinigen, "obwohl wir nicht solche Antipoden
sind, wie du vielleicht voraussetzest." "Ich finde, daß ich ihn noch lieber
habe, als ich selbst glaubte, und doch weißt du, welch eine hohe Meinung ich
immer von seinen Talenten und seiner Gemütsart hegte. Er ist ein Mann
von sehr edlem Charakter und großer Geisteskraft. Die hervorragende Stellung,
die er jetzt als Staatsmann einnimmt, suchte ihn! Er suchte weder sie, uoch
sonst ein Amt ... ich bezweifle nicht, daß er zum Premierminister ausersehen
ist, falls seine hartnäckige Wahrhaftigkeit, die für Politiker ein Stein des An¬
stoßes werden kann, ihm nicht im Wege sein wird." Wie wenige würden
damals, 1855, dieses Urteil unterschrieben haben!

Welchen Einfluß Bismarcks Persönlichkeit auf ihn ausübte, zeigte sich
namentlich nach seinem Aufenthalt in Varzin im Jahre 1872. In Wien


John Lothrop Motley

Ministers zu betreiben. Als Gesandter hatte ich, obschon Beamter, doch das
Gefühl, ein Gentleman zu sein. Als Minister ist man Helot. Ich bin herunter¬
gekommen und weiß doch selber nicht wie." Es muß daran erinnert werden,
daß in jener Sitzung die Schleswig-holsteinische Frage besprochen wurde, und
der Abgeordnete Virchow, der eine von seinen berühmten, von der Welt¬
geschichte unhöflicherweise nie beachteten politischen Prophezeiungen vortragen
wollte, es als eine Verfassuugsverletzung erkannte, daß der Ministerpräsident
sich diesem Genusse entzogen hatte. Bismarck kehrte sofort aus dein Minister¬
zimmer zurück und gab dem Redner die beruhigende Versicherung, ihn auch
im Nebenzimmer gehört zu haben, worüber denn große Entrüstung zum Aus¬
bruche kam. In diesem Zusammenhange wirkt der Brief um so erheiternder.

Bismarck und Mottel) waren bekanntlich als Studenten in Göttingen 1832
in einen freundschaftlichen Verkehr getreten, der sich in Berlin fortsetzte. Ein
Wiedersehen erfolgte erst, als Motley 1855 auf der Reise von Brüssel nach Florenz
Frankfurt berührte und den preußischen Gesandten am Bundestage aufsuchte.
Er schildert seiner Frau ausführlich den überaus herzlichen Empfang. „Wenn
ich sein Bruder gewesen wäre, statt nur ein alter Freund, Hütte er nicht
wärmere Zuneigung und mehr Entzücken zeigen können, mich bei sich zu sehen."
Und bei einem drei Jahre später in Frankfurt abgestatteten Besuche sagt ihm
Frau v. Bismarck, seine Anwesenheit verjünge ihren Gemahl um zwanzig
Jahre. Motley setzt hinzu: „Es scheint mir lächerlich, daß jemand durch
meine Gesellschaft belebt und erheitert werden sollte; aber es hat seinen guten
Grund. Seine ganze Zeit ist so angefüllt mit der langweiligsten aller
svoizg-or^s, der Politik des deutschen Bundes, daß, wenn ein solcher mittel-
ciltriger Herr vorübergehend in einen achtzehnjährigen Jüngling verwandelt
wird mit dem entsprechenden Betragen, es kein Wunder ist, daß seine Familie
sich darüber freut." Er schildert deu ungezwungenen Verkehr im Hause, wie
er seitdem so unzähligemnle geschildert worden ist, zeigt aber auch volles Ver¬
ständnis für die Bedeutung des Mannes, dessen politische Ansichten allerdings
sehr verschiede,, seien von den seinigen, „obwohl wir nicht solche Antipoden
sind, wie du vielleicht voraussetzest." „Ich finde, daß ich ihn noch lieber
habe, als ich selbst glaubte, und doch weißt du, welch eine hohe Meinung ich
immer von seinen Talenten und seiner Gemütsart hegte. Er ist ein Mann
von sehr edlem Charakter und großer Geisteskraft. Die hervorragende Stellung,
die er jetzt als Staatsmann einnimmt, suchte ihn! Er suchte weder sie, uoch
sonst ein Amt ... ich bezweifle nicht, daß er zum Premierminister ausersehen
ist, falls seine hartnäckige Wahrhaftigkeit, die für Politiker ein Stein des An¬
stoßes werden kann, ihm nicht im Wege sein wird." Wie wenige würden
damals, 1855, dieses Urteil unterschrieben haben!

Welchen Einfluß Bismarcks Persönlichkeit auf ihn ausübte, zeigte sich
namentlich nach seinem Aufenthalt in Varzin im Jahre 1872. In Wien


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[0154] John Lothrop Motley Ministers zu betreiben. Als Gesandter hatte ich, obschon Beamter, doch das Gefühl, ein Gentleman zu sein. Als Minister ist man Helot. Ich bin herunter¬ gekommen und weiß doch selber nicht wie." Es muß daran erinnert werden, daß in jener Sitzung die Schleswig-holsteinische Frage besprochen wurde, und der Abgeordnete Virchow, der eine von seinen berühmten, von der Welt¬ geschichte unhöflicherweise nie beachteten politischen Prophezeiungen vortragen wollte, es als eine Verfassuugsverletzung erkannte, daß der Ministerpräsident sich diesem Genusse entzogen hatte. Bismarck kehrte sofort aus dein Minister¬ zimmer zurück und gab dem Redner die beruhigende Versicherung, ihn auch im Nebenzimmer gehört zu haben, worüber denn große Entrüstung zum Aus¬ bruche kam. In diesem Zusammenhange wirkt der Brief um so erheiternder. Bismarck und Mottel) waren bekanntlich als Studenten in Göttingen 1832 in einen freundschaftlichen Verkehr getreten, der sich in Berlin fortsetzte. Ein Wiedersehen erfolgte erst, als Motley 1855 auf der Reise von Brüssel nach Florenz Frankfurt berührte und den preußischen Gesandten am Bundestage aufsuchte. Er schildert seiner Frau ausführlich den überaus herzlichen Empfang. „Wenn ich sein Bruder gewesen wäre, statt nur ein alter Freund, Hütte er nicht wärmere Zuneigung und mehr Entzücken zeigen können, mich bei sich zu sehen." Und bei einem drei Jahre später in Frankfurt abgestatteten Besuche sagt ihm Frau v. Bismarck, seine Anwesenheit verjünge ihren Gemahl um zwanzig Jahre. Motley setzt hinzu: „Es scheint mir lächerlich, daß jemand durch meine Gesellschaft belebt und erheitert werden sollte; aber es hat seinen guten Grund. Seine ganze Zeit ist so angefüllt mit der langweiligsten aller svoizg-or^s, der Politik des deutschen Bundes, daß, wenn ein solcher mittel- ciltriger Herr vorübergehend in einen achtzehnjährigen Jüngling verwandelt wird mit dem entsprechenden Betragen, es kein Wunder ist, daß seine Familie sich darüber freut." Er schildert deu ungezwungenen Verkehr im Hause, wie er seitdem so unzähligemnle geschildert worden ist, zeigt aber auch volles Ver¬ ständnis für die Bedeutung des Mannes, dessen politische Ansichten allerdings sehr verschiede,, seien von den seinigen, „obwohl wir nicht solche Antipoden sind, wie du vielleicht voraussetzest." „Ich finde, daß ich ihn noch lieber habe, als ich selbst glaubte, und doch weißt du, welch eine hohe Meinung ich immer von seinen Talenten und seiner Gemütsart hegte. Er ist ein Mann von sehr edlem Charakter und großer Geisteskraft. Die hervorragende Stellung, die er jetzt als Staatsmann einnimmt, suchte ihn! Er suchte weder sie, uoch sonst ein Amt ... ich bezweifle nicht, daß er zum Premierminister ausersehen ist, falls seine hartnäckige Wahrhaftigkeit, die für Politiker ein Stein des An¬ stoßes werden kann, ihm nicht im Wege sein wird." Wie wenige würden damals, 1855, dieses Urteil unterschrieben haben! Welchen Einfluß Bismarcks Persönlichkeit auf ihn ausübte, zeigte sich namentlich nach seinem Aufenthalt in Varzin im Jahre 1872. In Wien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/154>, abgerufen am 23.07.2024.