Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Uupferstichkabinet

modernen Nachtretern übertriebene Vorliebe für die Wirkungen des stehen¬
gebliebenen Grates, jener neben den Furchen der Nadel austretenden Kupfer¬
teilchen, die eigentlich mit dem Schaber entfernt werden sollten, so wie das
Eintuschen einzelner Teile der Platte mit Ätzwasser ist vielleicht das Einzige,
was von der Technik seiner Zeitgenossen abweicht. Wir sehen namentlich in einigen
Radirungen um die Wende der fünfziger Jahre, wie in dem Dr. Faustus, der
Flucht nach Ägypten, der Grablegung Christi, technische Versuche in dieser
Richtung; ebenso in dem 1652 datirten Blättchen, das in Anlehnung an die
Komposition des Hundertguldenblattes Christus predigend zeigt und durch ein
Mißverständnis den sinnwidrigen Beinamen I-s. xvtits wnrlzs erhalten hat;
es war nämlich zu Lebzeiten Rembrandts unter dein Spitznamen "das kleine
Blättchen des La Tombe," eines Kunstliebhabers, der die Platte der Radi-
rung besaß, bekannt, und erst spätern Geschlechtern war es vorbehalten, daraus
ein "kleines Grab" zu macheu. Gerade bei diesem Blatt ist der Unterschied
zwischen Zuständen voller Grat und solchen, die mit dem Schaber überarbeitet
sind, bedeutend. Die sammetartige Wirkung eines gratigen Abdruckes auf japa¬
nischem Papier wird in England besonders hochgeschätzt und mit 1000 Franks
bezahlt, während ein Abdruck ohne Grat mock llvt ^vsttö iuouvvt,j<z -- d. h. wo
der Ärmel des Turbanträgers links nicht mehr von Grat bedeckt ist -- kaum
30 bis 40 Franks erzielt. Das mag zur Illustration für die in Sanunlerkreisen
herrschende Feinschmecker" dienen, die sich allerdings oft außerhalb der Grenzen
vernünftiger Erwägung bewegt.

Die mehr und mehr breiter werdende Behandlung, wohl mit hervorgerufen
durch die Anwendung stumpferer Nadeln lind schärfere Atzung, zeigt sich recht
deutlich in den Arbeiten des Jahres 1654, wie der Kreuzabnahme bei Fackelschein,
Christus bei den Jüngern in Emaus, der Beschueiduiig Christi u. a. Be¬
sondres Interesse bietet noch die in demselben Jahre entstandene kleine Heilige
Familie mit der Katze wegen des Umstandes, daß Rembrandt das Motiv der
bockender und ihr Kind an die Brust drückenden Madonna offenbar einem
Kupferstich Andrea Mcmtegnas entlehnt, dann aber in seiner Weise umgebildet
hat. Es lassen sich kaum zwei größere Gegensätze denken, als der unter an¬
tiken Vorbildern nach plastischer Schärfe strebende Paduaner und der durchaus
individuell-realistische und nnr auf Licht- und Farbwirkungen sinnende Holländer.
Trotzdem ist Rembrandt vielfach den Anregungen italienischer Meister, deren
Werke er eifrig sammelte, gefolgt; es ist keine müßige Reminiseenzenjügerei,
wenn man diesen Spuren nachgeht: gerade die Art, lvie ein bedeutendes Genie
die Werke seiner Vorgänger studirt, was er aus ihnen herauszulesen vermag,
giebt uns oft die wertvollsten Aufschlüsse über das Wesel, seines künstlerischen
Schaffens und seiner Entwicklung. Bei Rembrandt werden wir natürlich einer
sozusagen wörtlichen Entlehnung selten begegnen; anders bei seinen Schülern,
von denen z. B. Gerbrcmt van den Eckhout sich nicht scheute, die besonders


Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Uupferstichkabinet

modernen Nachtretern übertriebene Vorliebe für die Wirkungen des stehen¬
gebliebenen Grates, jener neben den Furchen der Nadel austretenden Kupfer¬
teilchen, die eigentlich mit dem Schaber entfernt werden sollten, so wie das
Eintuschen einzelner Teile der Platte mit Ätzwasser ist vielleicht das Einzige,
was von der Technik seiner Zeitgenossen abweicht. Wir sehen namentlich in einigen
Radirungen um die Wende der fünfziger Jahre, wie in dem Dr. Faustus, der
Flucht nach Ägypten, der Grablegung Christi, technische Versuche in dieser
Richtung; ebenso in dem 1652 datirten Blättchen, das in Anlehnung an die
Komposition des Hundertguldenblattes Christus predigend zeigt und durch ein
Mißverständnis den sinnwidrigen Beinamen I-s. xvtits wnrlzs erhalten hat;
es war nämlich zu Lebzeiten Rembrandts unter dein Spitznamen „das kleine
Blättchen des La Tombe," eines Kunstliebhabers, der die Platte der Radi-
rung besaß, bekannt, und erst spätern Geschlechtern war es vorbehalten, daraus
ein „kleines Grab" zu macheu. Gerade bei diesem Blatt ist der Unterschied
zwischen Zuständen voller Grat und solchen, die mit dem Schaber überarbeitet
sind, bedeutend. Die sammetartige Wirkung eines gratigen Abdruckes auf japa¬
nischem Papier wird in England besonders hochgeschätzt und mit 1000 Franks
bezahlt, während ein Abdruck ohne Grat mock llvt ^vsttö iuouvvt,j<z — d. h. wo
der Ärmel des Turbanträgers links nicht mehr von Grat bedeckt ist — kaum
30 bis 40 Franks erzielt. Das mag zur Illustration für die in Sanunlerkreisen
herrschende Feinschmecker» dienen, die sich allerdings oft außerhalb der Grenzen
vernünftiger Erwägung bewegt.

Die mehr und mehr breiter werdende Behandlung, wohl mit hervorgerufen
durch die Anwendung stumpferer Nadeln lind schärfere Atzung, zeigt sich recht
deutlich in den Arbeiten des Jahres 1654, wie der Kreuzabnahme bei Fackelschein,
Christus bei den Jüngern in Emaus, der Beschueiduiig Christi u. a. Be¬
sondres Interesse bietet noch die in demselben Jahre entstandene kleine Heilige
Familie mit der Katze wegen des Umstandes, daß Rembrandt das Motiv der
bockender und ihr Kind an die Brust drückenden Madonna offenbar einem
Kupferstich Andrea Mcmtegnas entlehnt, dann aber in seiner Weise umgebildet
hat. Es lassen sich kaum zwei größere Gegensätze denken, als der unter an¬
tiken Vorbildern nach plastischer Schärfe strebende Paduaner und der durchaus
individuell-realistische und nnr auf Licht- und Farbwirkungen sinnende Holländer.
Trotzdem ist Rembrandt vielfach den Anregungen italienischer Meister, deren
Werke er eifrig sammelte, gefolgt; es ist keine müßige Reminiseenzenjügerei,
wenn man diesen Spuren nachgeht: gerade die Art, lvie ein bedeutendes Genie
die Werke seiner Vorgänger studirt, was er aus ihnen herauszulesen vermag,
giebt uns oft die wertvollsten Aufschlüsse über das Wesel, seines künstlerischen
Schaffens und seiner Entwicklung. Bei Rembrandt werden wir natürlich einer
sozusagen wörtlichen Entlehnung selten begegnen; anders bei seinen Schülern,
von denen z. B. Gerbrcmt van den Eckhout sich nicht scheute, die besonders


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209372"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Uupferstichkabinet</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_393" prev="#ID_392"> modernen Nachtretern übertriebene Vorliebe für die Wirkungen des stehen¬<lb/>
gebliebenen Grates, jener neben den Furchen der Nadel austretenden Kupfer¬<lb/>
teilchen, die eigentlich mit dem Schaber entfernt werden sollten, so wie das<lb/>
Eintuschen einzelner Teile der Platte mit Ätzwasser ist vielleicht das Einzige,<lb/>
was von der Technik seiner Zeitgenossen abweicht. Wir sehen namentlich in einigen<lb/>
Radirungen um die Wende der fünfziger Jahre, wie in dem Dr. Faustus, der<lb/>
Flucht nach Ägypten, der Grablegung Christi, technische Versuche in dieser<lb/>
Richtung; ebenso in dem 1652 datirten Blättchen, das in Anlehnung an die<lb/>
Komposition des Hundertguldenblattes Christus predigend zeigt und durch ein<lb/>
Mißverständnis den sinnwidrigen Beinamen I-s. xvtits wnrlzs erhalten hat;<lb/>
es war nämlich zu Lebzeiten Rembrandts unter dein Spitznamen &#x201E;das kleine<lb/>
Blättchen des La Tombe," eines Kunstliebhabers, der die Platte der Radi-<lb/>
rung besaß, bekannt, und erst spätern Geschlechtern war es vorbehalten, daraus<lb/>
ein &#x201E;kleines Grab" zu macheu.  Gerade bei diesem Blatt ist der Unterschied<lb/>
zwischen Zuständen voller Grat und solchen, die mit dem Schaber überarbeitet<lb/>
sind, bedeutend. Die sammetartige Wirkung eines gratigen Abdruckes auf japa¬<lb/>
nischem Papier wird in England besonders hochgeschätzt und mit 1000 Franks<lb/>
bezahlt, während ein Abdruck ohne Grat mock llvt ^vsttö iuouvvt,j&lt;z &#x2014; d. h. wo<lb/>
der Ärmel des Turbanträgers links nicht mehr von Grat bedeckt ist &#x2014; kaum<lb/>
30 bis 40 Franks erzielt. Das mag zur Illustration für die in Sanunlerkreisen<lb/>
herrschende Feinschmecker» dienen, die sich allerdings oft außerhalb der Grenzen<lb/>
vernünftiger Erwägung bewegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Die mehr und mehr breiter werdende Behandlung, wohl mit hervorgerufen<lb/>
durch die Anwendung stumpferer Nadeln lind schärfere Atzung, zeigt sich recht<lb/>
deutlich in den Arbeiten des Jahres 1654, wie der Kreuzabnahme bei Fackelschein,<lb/>
Christus bei den Jüngern in Emaus, der Beschueiduiig Christi u. a. Be¬<lb/>
sondres Interesse bietet noch die in demselben Jahre entstandene kleine Heilige<lb/>
Familie mit der Katze wegen des Umstandes, daß Rembrandt das Motiv der<lb/>
bockender und ihr Kind an die Brust drückenden Madonna offenbar einem<lb/>
Kupferstich Andrea Mcmtegnas entlehnt, dann aber in seiner Weise umgebildet<lb/>
hat. Es lassen sich kaum zwei größere Gegensätze denken, als der unter an¬<lb/>
tiken Vorbildern nach plastischer Schärfe strebende Paduaner und der durchaus<lb/>
individuell-realistische und nnr auf Licht- und Farbwirkungen sinnende Holländer.<lb/>
Trotzdem ist Rembrandt vielfach den Anregungen italienischer Meister, deren<lb/>
Werke er eifrig sammelte, gefolgt; es ist keine müßige Reminiseenzenjügerei,<lb/>
wenn man diesen Spuren nachgeht: gerade die Art, lvie ein bedeutendes Genie<lb/>
die Werke seiner Vorgänger studirt, was er aus ihnen herauszulesen vermag,<lb/>
giebt uns oft die wertvollsten Aufschlüsse über das Wesel, seines künstlerischen<lb/>
Schaffens und seiner Entwicklung. Bei Rembrandt werden wir natürlich einer<lb/>
sozusagen wörtlichen Entlehnung selten begegnen; anders bei seinen Schülern,<lb/>
von denen z. B. Gerbrcmt van den Eckhout sich nicht scheute, die besonders</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Uupferstichkabinet modernen Nachtretern übertriebene Vorliebe für die Wirkungen des stehen¬ gebliebenen Grates, jener neben den Furchen der Nadel austretenden Kupfer¬ teilchen, die eigentlich mit dem Schaber entfernt werden sollten, so wie das Eintuschen einzelner Teile der Platte mit Ätzwasser ist vielleicht das Einzige, was von der Technik seiner Zeitgenossen abweicht. Wir sehen namentlich in einigen Radirungen um die Wende der fünfziger Jahre, wie in dem Dr. Faustus, der Flucht nach Ägypten, der Grablegung Christi, technische Versuche in dieser Richtung; ebenso in dem 1652 datirten Blättchen, das in Anlehnung an die Komposition des Hundertguldenblattes Christus predigend zeigt und durch ein Mißverständnis den sinnwidrigen Beinamen I-s. xvtits wnrlzs erhalten hat; es war nämlich zu Lebzeiten Rembrandts unter dein Spitznamen „das kleine Blättchen des La Tombe," eines Kunstliebhabers, der die Platte der Radi- rung besaß, bekannt, und erst spätern Geschlechtern war es vorbehalten, daraus ein „kleines Grab" zu macheu. Gerade bei diesem Blatt ist der Unterschied zwischen Zuständen voller Grat und solchen, die mit dem Schaber überarbeitet sind, bedeutend. Die sammetartige Wirkung eines gratigen Abdruckes auf japa¬ nischem Papier wird in England besonders hochgeschätzt und mit 1000 Franks bezahlt, während ein Abdruck ohne Grat mock llvt ^vsttö iuouvvt,j<z — d. h. wo der Ärmel des Turbanträgers links nicht mehr von Grat bedeckt ist — kaum 30 bis 40 Franks erzielt. Das mag zur Illustration für die in Sanunlerkreisen herrschende Feinschmecker» dienen, die sich allerdings oft außerhalb der Grenzen vernünftiger Erwägung bewegt. Die mehr und mehr breiter werdende Behandlung, wohl mit hervorgerufen durch die Anwendung stumpferer Nadeln lind schärfere Atzung, zeigt sich recht deutlich in den Arbeiten des Jahres 1654, wie der Kreuzabnahme bei Fackelschein, Christus bei den Jüngern in Emaus, der Beschueiduiig Christi u. a. Be¬ sondres Interesse bietet noch die in demselben Jahre entstandene kleine Heilige Familie mit der Katze wegen des Umstandes, daß Rembrandt das Motiv der bockender und ihr Kind an die Brust drückenden Madonna offenbar einem Kupferstich Andrea Mcmtegnas entlehnt, dann aber in seiner Weise umgebildet hat. Es lassen sich kaum zwei größere Gegensätze denken, als der unter an¬ tiken Vorbildern nach plastischer Schärfe strebende Paduaner und der durchaus individuell-realistische und nnr auf Licht- und Farbwirkungen sinnende Holländer. Trotzdem ist Rembrandt vielfach den Anregungen italienischer Meister, deren Werke er eifrig sammelte, gefolgt; es ist keine müßige Reminiseenzenjügerei, wenn man diesen Spuren nachgeht: gerade die Art, lvie ein bedeutendes Genie die Werke seiner Vorgänger studirt, was er aus ihnen herauszulesen vermag, giebt uns oft die wertvollsten Aufschlüsse über das Wesel, seines künstlerischen Schaffens und seiner Entwicklung. Bei Rembrandt werden wir natürlich einer sozusagen wörtlichen Entlehnung selten begegnen; anders bei seinen Schülern, von denen z. B. Gerbrcmt van den Eckhout sich nicht scheute, die besonders

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/139>, abgerufen am 23.07.2024.