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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ein Rückgang der Vermögensverhältnisse führte im Jahre 1656 zu einer
Zahlungseinstellung, und die Geldsorgen verließen den alternden Künstler seitdem
nie wieder. Hendrilje und Titus suchten durch den geschäftsmäßigen Vertrieb
seiner Werke den Lebensunterhalt zu sichern. Aber auch hier boten sich
Schwierigkeiten, da die öffentliche Meinung entschieden zu Ungunsten des
Meisters umgeschlagen war. Hvubraken weiß viel davon zu erzählen, daß
Schicker Rembrandts, wie Hvvgstraten, Bakker und Mach, die sich seine Mal¬
weise angeeignet hatten, mit vieler Mühe sie sich wieder abgewöhnen mußten,
als "der Welt noch vor dem Tode Rembrandts von wirklichen Kunstkennern
und infolge der Einfuhr italienischer Arbeiten die Augen geöffnet wurden, und
die helle Malweise wieder in Übung kam." Besonders seien es die Frauen
gewesen, die "an der hellen Farbe mehr Gefälle" fanden als an der braunen."

Die Manier Rembrandts hatte sich in der That verändert; er wagte,
ganz er selbst zu sein, ohne jedes Zugeständnis an den Geschmack der faden
Kunstliebhaber, die ihn denn auch bald, wie der Dichter Vorbei, als "Sohn
der Finsternis und Nachteule" verspotteten. Das hente von dem Publikum wohl
ebenso urteilslos und einseitig bewunderte "Helldunkel" in seinen Bildern und
Radirungen war es, was die Masse damals abstieß. "Er entblödete sich nicht,
sagt Honbraken, die Luft hinten in eine düstere Nacht zu verwandeln, trotzdem
daß die Figuren im Vordergrunde seiner Bilder in vollem Tageslichte stehen."
Die ersten, allerdings keineswegs blöden Meisterleistungen des "Clairobscur"
unter seinen Radirungen sind wohl die vielbewunderten Porträts aus dem
Jahre 1647: Ephraim Borns, genannt Jto Mit i>. 1a nuiixe, und der Bürger¬
meister Six. Der jüdische Arzt, der die Treppe vom Krankenzimmer herab-
steigend stehen bleibt und mit seinem klaren Auge sinnend unter der breiten
Hutkrempe hervorblickt, ist ähnlich, wie die Gestalten der Syndici in dem Ge¬
mälde des Nhksmnseums, ein Bild, dessen Bedeutung weit über das Bildnis¬
mäßige hinaus in der meisterhaften Wiedergabe des augenblicklichen Seelen-
zustandes liegt. Wie anders die Stimmung des Bürgermeisters Six, der
ebenso wie Ephraim Borns zu dem engern Freundeskreise des Meisters ge¬
hörte! Der mit vornehmer Eleganz gekleidete Beamte lehnt am Fenster seines
mit Kunstwerken geschmückten Gemachs, noch einmal die Handschrift einer
seiner Dichtungen überlesend, fern von allen Sorgen seines verantwortungs¬
vollen Berufes, sein träumerischer Blick schweift in das klassische Land seiner
Poesien; vielleicht ist es das Schicksal des Jason und seiner Gattin Kreusa,
das ihn beschäftigt, und das auch Rembrandt in Anlehnung an eine der
Dichtungen seines Freundes in einer Nadirung verewigt hat. Das geheimnis¬
volle Weben dichterischen Geistes kann nicht stimmungsvoller bis in die leblose
Umgebung hinein wiedergegeben werden, als wie es hier geschehen ist. Das
vom Fenster hereinfallende Licht erhellt nur das Haupt des Dichters, alles
übrige bleibt im Halbdunkel. Aber wie ist dieses Halbdunkel belebt! wie


Grenzboten I. 1891 17

Ein Rückgang der Vermögensverhältnisse führte im Jahre 1656 zu einer
Zahlungseinstellung, und die Geldsorgen verließen den alternden Künstler seitdem
nie wieder. Hendrilje und Titus suchten durch den geschäftsmäßigen Vertrieb
seiner Werke den Lebensunterhalt zu sichern. Aber auch hier boten sich
Schwierigkeiten, da die öffentliche Meinung entschieden zu Ungunsten des
Meisters umgeschlagen war. Hvubraken weiß viel davon zu erzählen, daß
Schicker Rembrandts, wie Hvvgstraten, Bakker und Mach, die sich seine Mal¬
weise angeeignet hatten, mit vieler Mühe sie sich wieder abgewöhnen mußten,
als „der Welt noch vor dem Tode Rembrandts von wirklichen Kunstkennern
und infolge der Einfuhr italienischer Arbeiten die Augen geöffnet wurden, und
die helle Malweise wieder in Übung kam." Besonders seien es die Frauen
gewesen, die „an der hellen Farbe mehr Gefälle» fanden als an der braunen."

Die Manier Rembrandts hatte sich in der That verändert; er wagte,
ganz er selbst zu sein, ohne jedes Zugeständnis an den Geschmack der faden
Kunstliebhaber, die ihn denn auch bald, wie der Dichter Vorbei, als „Sohn
der Finsternis und Nachteule" verspotteten. Das hente von dem Publikum wohl
ebenso urteilslos und einseitig bewunderte „Helldunkel" in seinen Bildern und
Radirungen war es, was die Masse damals abstieß. „Er entblödete sich nicht,
sagt Honbraken, die Luft hinten in eine düstere Nacht zu verwandeln, trotzdem
daß die Figuren im Vordergrunde seiner Bilder in vollem Tageslichte stehen."
Die ersten, allerdings keineswegs blöden Meisterleistungen des „Clairobscur"
unter seinen Radirungen sind wohl die vielbewunderten Porträts aus dem
Jahre 1647: Ephraim Borns, genannt Jto Mit i>. 1a nuiixe, und der Bürger¬
meister Six. Der jüdische Arzt, der die Treppe vom Krankenzimmer herab-
steigend stehen bleibt und mit seinem klaren Auge sinnend unter der breiten
Hutkrempe hervorblickt, ist ähnlich, wie die Gestalten der Syndici in dem Ge¬
mälde des Nhksmnseums, ein Bild, dessen Bedeutung weit über das Bildnis¬
mäßige hinaus in der meisterhaften Wiedergabe des augenblicklichen Seelen-
zustandes liegt. Wie anders die Stimmung des Bürgermeisters Six, der
ebenso wie Ephraim Borns zu dem engern Freundeskreise des Meisters ge¬
hörte! Der mit vornehmer Eleganz gekleidete Beamte lehnt am Fenster seines
mit Kunstwerken geschmückten Gemachs, noch einmal die Handschrift einer
seiner Dichtungen überlesend, fern von allen Sorgen seines verantwortungs¬
vollen Berufes, sein träumerischer Blick schweift in das klassische Land seiner
Poesien; vielleicht ist es das Schicksal des Jason und seiner Gattin Kreusa,
das ihn beschäftigt, und das auch Rembrandt in Anlehnung an eine der
Dichtungen seines Freundes in einer Nadirung verewigt hat. Das geheimnis¬
volle Weben dichterischen Geistes kann nicht stimmungsvoller bis in die leblose
Umgebung hinein wiedergegeben werden, als wie es hier geschehen ist. Das
vom Fenster hereinfallende Licht erhellt nur das Haupt des Dichters, alles
übrige bleibt im Halbdunkel. Aber wie ist dieses Halbdunkel belebt! wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/137>, abgerufen am 23.07.2024.