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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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er den landesüblichen Zins und Unternehmergewinn herausschlagen soll, son¬
dern seinen Leuten satt zu essen giebt, ohne zu rechnen, wo der Tagelöhner
an Kirmes- und andern Festen des Bauern Gast ist und auch im Alter nicht
von ihm in Stich gelassen wird. Gleichviel, ob unter solchen Umstünden der
Tagelöhner ein kleines Grundstück besitzt oder zur Miete wohnt -- weil er
nicht über seinen Stand hinaufstrebt und der Bauer ihm seine Lage erträglich
macht, denkt keiner von beiden an eine Änderung. Von Jahr zu Jahr wird
das Gebiet, auf dem solche Zufriedenheit möglich ist, immer mehr eingeschränkt.

Nur unter diesen Verhältnissen, bei solcher Bescheidenheit, Anspruchs¬
losigkeit und Verträglichkeit, oder daß wirs kurz sagen, christlicher Gesinnung
beider Teile kann der Arbeiter persönlich frei und doch dem Gutsherrn, für
deu er arbeitet, treu sein. Auf gesetzlichem Wege den persönlich freien Ar¬
beiter an ein Gut binden zu wollen, das wäre eine unlösbare Aufgabe. Will
man den "freien Arbeitsvertrag" nicht beseitigen, so muß man seine Übelstände
mit in Kauf nehmen. Sie zu vermindern, giebt es nur einen Weg: Ver¬
minderung der Güter, die Lohnarbeiter brauchen, und entsprechende Verminde¬
rung der Zahl der Lohnarbeiter. Je mehr in einer Gegend die Zahl der
kleinen und mittlern Besitzer vorherrscht, die ihren Acker selbst bestellen und
ihr Vieh selbst warten, desto weniger ist dort von einer Arbeiterfrage die Rede.
Schon ans diesem Grunde muß man es bedauern, daß die ursprüngliche Idee
der preußischen Könige: Bauernbefreiung ohne Preisgebung des Baucruschntzes,
mir unvollkommen verwirklicht worden ist.

Einige andre Mängel der Ablösungsgesetze von 1811 bis 1850 und ihrer
Ausführung faßt Knapp im Rückblick des ersten Bandes in folgenden Sätzen
zusammen. "Man hätte den Vauernschntz muss strengste festhalten sollen, statt
ihn im wichtigsten Augenblick preiszugeben. Für alle Privatbauern, große
wie kleine, hätte man, soweit sie unerblichen Besitz hatten, vor allem die doch
thatsächlich meist vorhandene Vererbung zu einem Erbrecht ausbilden sollen;
dann wären, selbst bei aufgehobenem polizeilichem'Banernschntz, die unerblichen
kleinen Leute nicht so leicht verdrängt und teilweise in Tagelöhner verwandelt
worden. Für die Dienstablösung und deu Eigeutumserwerb hätte ein be¬
stimmter nicht zu langer Zeitraum festgesetzt werden sollen, wie man ur¬
sprünglich wollte; daun hätte man im Jahre 1848 nicht mehr mit Zuständen
zu rechnen gehabt, die schon am Anfange des Jahrhunderts auch amtlich ver¬
urteilt waren. Die zur Regulirung gelangten größern Baktern hat man, mit
Preisgebung eines bis dahin streng festgehaltenen Grundsatzes, in den meisten
Fällen einen großen Teil ihres Landes abtreten lassen, wodurch ihre Wirt¬
schaft schweren Störungen überantwortet wurde. Sogar die anfänglich (1811)
noch festgehaltene Bedingung, daß jedenfalls der Bauer prästativusfühig bleibe,
ist von 1816 an in den Hintergrund getreten."

Für die Gegenwart handelt es sich nun darum, dem weiter" Fortschritt


er den landesüblichen Zins und Unternehmergewinn herausschlagen soll, son¬
dern seinen Leuten satt zu essen giebt, ohne zu rechnen, wo der Tagelöhner
an Kirmes- und andern Festen des Bauern Gast ist und auch im Alter nicht
von ihm in Stich gelassen wird. Gleichviel, ob unter solchen Umstünden der
Tagelöhner ein kleines Grundstück besitzt oder zur Miete wohnt — weil er
nicht über seinen Stand hinaufstrebt und der Bauer ihm seine Lage erträglich
macht, denkt keiner von beiden an eine Änderung. Von Jahr zu Jahr wird
das Gebiet, auf dem solche Zufriedenheit möglich ist, immer mehr eingeschränkt.

Nur unter diesen Verhältnissen, bei solcher Bescheidenheit, Anspruchs¬
losigkeit und Verträglichkeit, oder daß wirs kurz sagen, christlicher Gesinnung
beider Teile kann der Arbeiter persönlich frei und doch dem Gutsherrn, für
deu er arbeitet, treu sein. Auf gesetzlichem Wege den persönlich freien Ar¬
beiter an ein Gut binden zu wollen, das wäre eine unlösbare Aufgabe. Will
man den „freien Arbeitsvertrag" nicht beseitigen, so muß man seine Übelstände
mit in Kauf nehmen. Sie zu vermindern, giebt es nur einen Weg: Ver¬
minderung der Güter, die Lohnarbeiter brauchen, und entsprechende Verminde¬
rung der Zahl der Lohnarbeiter. Je mehr in einer Gegend die Zahl der
kleinen und mittlern Besitzer vorherrscht, die ihren Acker selbst bestellen und
ihr Vieh selbst warten, desto weniger ist dort von einer Arbeiterfrage die Rede.
Schon ans diesem Grunde muß man es bedauern, daß die ursprüngliche Idee
der preußischen Könige: Bauernbefreiung ohne Preisgebung des Baucruschntzes,
mir unvollkommen verwirklicht worden ist.

Einige andre Mängel der Ablösungsgesetze von 1811 bis 1850 und ihrer
Ausführung faßt Knapp im Rückblick des ersten Bandes in folgenden Sätzen
zusammen. „Man hätte den Vauernschntz muss strengste festhalten sollen, statt
ihn im wichtigsten Augenblick preiszugeben. Für alle Privatbauern, große
wie kleine, hätte man, soweit sie unerblichen Besitz hatten, vor allem die doch
thatsächlich meist vorhandene Vererbung zu einem Erbrecht ausbilden sollen;
dann wären, selbst bei aufgehobenem polizeilichem'Banernschntz, die unerblichen
kleinen Leute nicht so leicht verdrängt und teilweise in Tagelöhner verwandelt
worden. Für die Dienstablösung und deu Eigeutumserwerb hätte ein be¬
stimmter nicht zu langer Zeitraum festgesetzt werden sollen, wie man ur¬
sprünglich wollte; daun hätte man im Jahre 1848 nicht mehr mit Zuständen
zu rechnen gehabt, die schon am Anfange des Jahrhunderts auch amtlich ver¬
urteilt waren. Die zur Regulirung gelangten größern Baktern hat man, mit
Preisgebung eines bis dahin streng festgehaltenen Grundsatzes, in den meisten
Fällen einen großen Teil ihres Landes abtreten lassen, wodurch ihre Wirt¬
schaft schweren Störungen überantwortet wurde. Sogar die anfänglich (1811)
noch festgehaltene Bedingung, daß jedenfalls der Bauer prästativusfühig bleibe,
ist von 1816 an in den Hintergrund getreten."

Für die Gegenwart handelt es sich nun darum, dem weiter» Fortschritt


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[0128] er den landesüblichen Zins und Unternehmergewinn herausschlagen soll, son¬ dern seinen Leuten satt zu essen giebt, ohne zu rechnen, wo der Tagelöhner an Kirmes- und andern Festen des Bauern Gast ist und auch im Alter nicht von ihm in Stich gelassen wird. Gleichviel, ob unter solchen Umstünden der Tagelöhner ein kleines Grundstück besitzt oder zur Miete wohnt — weil er nicht über seinen Stand hinaufstrebt und der Bauer ihm seine Lage erträglich macht, denkt keiner von beiden an eine Änderung. Von Jahr zu Jahr wird das Gebiet, auf dem solche Zufriedenheit möglich ist, immer mehr eingeschränkt. Nur unter diesen Verhältnissen, bei solcher Bescheidenheit, Anspruchs¬ losigkeit und Verträglichkeit, oder daß wirs kurz sagen, christlicher Gesinnung beider Teile kann der Arbeiter persönlich frei und doch dem Gutsherrn, für deu er arbeitet, treu sein. Auf gesetzlichem Wege den persönlich freien Ar¬ beiter an ein Gut binden zu wollen, das wäre eine unlösbare Aufgabe. Will man den „freien Arbeitsvertrag" nicht beseitigen, so muß man seine Übelstände mit in Kauf nehmen. Sie zu vermindern, giebt es nur einen Weg: Ver¬ minderung der Güter, die Lohnarbeiter brauchen, und entsprechende Verminde¬ rung der Zahl der Lohnarbeiter. Je mehr in einer Gegend die Zahl der kleinen und mittlern Besitzer vorherrscht, die ihren Acker selbst bestellen und ihr Vieh selbst warten, desto weniger ist dort von einer Arbeiterfrage die Rede. Schon ans diesem Grunde muß man es bedauern, daß die ursprüngliche Idee der preußischen Könige: Bauernbefreiung ohne Preisgebung des Baucruschntzes, mir unvollkommen verwirklicht worden ist. Einige andre Mängel der Ablösungsgesetze von 1811 bis 1850 und ihrer Ausführung faßt Knapp im Rückblick des ersten Bandes in folgenden Sätzen zusammen. „Man hätte den Vauernschntz muss strengste festhalten sollen, statt ihn im wichtigsten Augenblick preiszugeben. Für alle Privatbauern, große wie kleine, hätte man, soweit sie unerblichen Besitz hatten, vor allem die doch thatsächlich meist vorhandene Vererbung zu einem Erbrecht ausbilden sollen; dann wären, selbst bei aufgehobenem polizeilichem'Banernschntz, die unerblichen kleinen Leute nicht so leicht verdrängt und teilweise in Tagelöhner verwandelt worden. Für die Dienstablösung und deu Eigeutumserwerb hätte ein be¬ stimmter nicht zu langer Zeitraum festgesetzt werden sollen, wie man ur¬ sprünglich wollte; daun hätte man im Jahre 1848 nicht mehr mit Zuständen zu rechnen gehabt, die schon am Anfange des Jahrhunderts auch amtlich ver¬ urteilt waren. Die zur Regulirung gelangten größern Baktern hat man, mit Preisgebung eines bis dahin streng festgehaltenen Grundsatzes, in den meisten Fällen einen großen Teil ihres Landes abtreten lassen, wodurch ihre Wirt¬ schaft schweren Störungen überantwortet wurde. Sogar die anfänglich (1811) noch festgehaltene Bedingung, daß jedenfalls der Bauer prästativusfühig bleibe, ist von 1816 an in den Hintergrund getreten." Für die Gegenwart handelt es sich nun darum, dem weiter» Fortschritt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/128>, abgerufen am 03.07.2024.