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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß aller Brammgsparleien

schauung, daß die Ursache aller sozialen Übel im Judentum zu finden sei; wir
meinen vielmehr, daß dies eine Verwechslung der Begriffe sei, deren sich die
sozialmonarchische Partei um keinen Preis schuldig machen darf, nud daß die
Sache vielmehr nur so liege, daß an Judentum vielleicht alle die Schaden
besonders deutlich zu Tage treten, an denen die Gesellschaft ohnehin erkrankt
ist. Werden diese Schäden gehoben, so schwinden mit ihnen auch die Mängel
von selbst, die ein großer Teil unsrer jüdischen Mitbürger, wie die einsich¬
tigern Juden übrigens selber wissen, heutzutage zeigt. "Alles Hep Hep ist
mir ein Greuel -- sagt Schäffle irgendwo --, und es ist auch gänzlich un¬
nötig."

Wenn wir aber von diesen Jugendsünden absehen, wie sie jeder urwüch¬
sigen, aus der Tiefe hervorquellenden neuen Bewegung anhaften, vielleicht
anhaften müssen, damit sie sich zum Mannesalter emporringe, das aus-
zusprechen gebietet doch die Gerechtigkeit, daß hier die Zukunft und hier
Deutschland ist.

In einer Zeit, wo alles der sozialen Frage, die ja nicht nur eine Arbeiter¬
frage ist, rat- und thatlos gegenüberstand, wo selbst die besten Patrioten
keinen andern Ausweg wußten, als nach der Polizei und den Soldaten zu
rufen, in einer solchen Zeit hat es Stöcker verstanden, durch die Macht seiner
Persönlichkeit, durch die Innigkeit seiner christlichen Überzeugung, durch die
markige Kraft seiner Rede inmitten des Getriebes einer genuß- und neuerungs¬
süchtigen Großstadt eine svzialmonarchische Bewegung zu eutfacheu, die inner¬
halb weniger Jahre, aus einem Nichts hervorgehend, so stark wurde, daß sie
der freisinnigen und sozialdemokratischen Partei der Hauptstadt fast ebenbürtig
gegenüberstand, 50 000 Wähler der Reichshauptstadt zu den ihren zählte.
Freilich ist die Bewegung in den letzten Jahren wieder zurückgeflutet, vielleicht
nicht ohne Schuld unsrer Regierung, die sich nicht richtig zu ihr zu stellen
vermochte, sicherlich aber durch die Schuld der gemäßigten Bevölkernngsklasfen,
die anstatt sich ihr anzuschließen und sie dadurch vor Einseitigkeit und Über¬
treibung zu bewahren, den berechtigten .Kern darin verkannten, sie über sich
selbst hinauszuheben unterließen und durch Vefehdung die beginnende Gesun¬
dung zu verhindern bestrebt waren.

Aber so sehr sie anch bekämpft wird von Gegnern und von denen, die,
wenn sie sie recht begriffen, ihre Freunde sein sollten,, sie lebt dennoch und
wird weiter leben. Erst jüngst hat sie in Berlin ihre im Kampfe zerstreuten
Bestandteile zu einer sozialmonarchischen Partei zusammengezogen, und sie hat,
Parallel gehend mit der ihr verwandten deutsch-sozinleu Partei, im ganzen Lande
ihre Anhänger in den verschiedenartigsten Vereinigungen zu sammeln begonnen.

Die sozialmonarchische äußerste Rechte besteht schon als der Keim, ans
dem sich die große soziale Reformpartei entwickeln muß, sie hat auf der ganzen
Linie, während die alten Parteien in Thatenlosigkeit verharren, einen frischen,


Grenzboten I 1801 14
Der Zusammenschluß aller Brammgsparleien

schauung, daß die Ursache aller sozialen Übel im Judentum zu finden sei; wir
meinen vielmehr, daß dies eine Verwechslung der Begriffe sei, deren sich die
sozialmonarchische Partei um keinen Preis schuldig machen darf, nud daß die
Sache vielmehr nur so liege, daß an Judentum vielleicht alle die Schaden
besonders deutlich zu Tage treten, an denen die Gesellschaft ohnehin erkrankt
ist. Werden diese Schäden gehoben, so schwinden mit ihnen auch die Mängel
von selbst, die ein großer Teil unsrer jüdischen Mitbürger, wie die einsich¬
tigern Juden übrigens selber wissen, heutzutage zeigt. „Alles Hep Hep ist
mir ein Greuel — sagt Schäffle irgendwo —, und es ist auch gänzlich un¬
nötig."

Wenn wir aber von diesen Jugendsünden absehen, wie sie jeder urwüch¬
sigen, aus der Tiefe hervorquellenden neuen Bewegung anhaften, vielleicht
anhaften müssen, damit sie sich zum Mannesalter emporringe, das aus-
zusprechen gebietet doch die Gerechtigkeit, daß hier die Zukunft und hier
Deutschland ist.

In einer Zeit, wo alles der sozialen Frage, die ja nicht nur eine Arbeiter¬
frage ist, rat- und thatlos gegenüberstand, wo selbst die besten Patrioten
keinen andern Ausweg wußten, als nach der Polizei und den Soldaten zu
rufen, in einer solchen Zeit hat es Stöcker verstanden, durch die Macht seiner
Persönlichkeit, durch die Innigkeit seiner christlichen Überzeugung, durch die
markige Kraft seiner Rede inmitten des Getriebes einer genuß- und neuerungs¬
süchtigen Großstadt eine svzialmonarchische Bewegung zu eutfacheu, die inner¬
halb weniger Jahre, aus einem Nichts hervorgehend, so stark wurde, daß sie
der freisinnigen und sozialdemokratischen Partei der Hauptstadt fast ebenbürtig
gegenüberstand, 50 000 Wähler der Reichshauptstadt zu den ihren zählte.
Freilich ist die Bewegung in den letzten Jahren wieder zurückgeflutet, vielleicht
nicht ohne Schuld unsrer Regierung, die sich nicht richtig zu ihr zu stellen
vermochte, sicherlich aber durch die Schuld der gemäßigten Bevölkernngsklasfen,
die anstatt sich ihr anzuschließen und sie dadurch vor Einseitigkeit und Über¬
treibung zu bewahren, den berechtigten .Kern darin verkannten, sie über sich
selbst hinauszuheben unterließen und durch Vefehdung die beginnende Gesun¬
dung zu verhindern bestrebt waren.

Aber so sehr sie anch bekämpft wird von Gegnern und von denen, die,
wenn sie sie recht begriffen, ihre Freunde sein sollten,, sie lebt dennoch und
wird weiter leben. Erst jüngst hat sie in Berlin ihre im Kampfe zerstreuten
Bestandteile zu einer sozialmonarchischen Partei zusammengezogen, und sie hat,
Parallel gehend mit der ihr verwandten deutsch-sozinleu Partei, im ganzen Lande
ihre Anhänger in den verschiedenartigsten Vereinigungen zu sammeln begonnen.

Die sozialmonarchische äußerste Rechte besteht schon als der Keim, ans
dem sich die große soziale Reformpartei entwickeln muß, sie hat auf der ganzen
Linie, während die alten Parteien in Thatenlosigkeit verharren, einen frischen,


Grenzboten I 1801 14
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[0113] Der Zusammenschluß aller Brammgsparleien schauung, daß die Ursache aller sozialen Übel im Judentum zu finden sei; wir meinen vielmehr, daß dies eine Verwechslung der Begriffe sei, deren sich die sozialmonarchische Partei um keinen Preis schuldig machen darf, nud daß die Sache vielmehr nur so liege, daß an Judentum vielleicht alle die Schaden besonders deutlich zu Tage treten, an denen die Gesellschaft ohnehin erkrankt ist. Werden diese Schäden gehoben, so schwinden mit ihnen auch die Mängel von selbst, die ein großer Teil unsrer jüdischen Mitbürger, wie die einsich¬ tigern Juden übrigens selber wissen, heutzutage zeigt. „Alles Hep Hep ist mir ein Greuel — sagt Schäffle irgendwo —, und es ist auch gänzlich un¬ nötig." Wenn wir aber von diesen Jugendsünden absehen, wie sie jeder urwüch¬ sigen, aus der Tiefe hervorquellenden neuen Bewegung anhaften, vielleicht anhaften müssen, damit sie sich zum Mannesalter emporringe, das aus- zusprechen gebietet doch die Gerechtigkeit, daß hier die Zukunft und hier Deutschland ist. In einer Zeit, wo alles der sozialen Frage, die ja nicht nur eine Arbeiter¬ frage ist, rat- und thatlos gegenüberstand, wo selbst die besten Patrioten keinen andern Ausweg wußten, als nach der Polizei und den Soldaten zu rufen, in einer solchen Zeit hat es Stöcker verstanden, durch die Macht seiner Persönlichkeit, durch die Innigkeit seiner christlichen Überzeugung, durch die markige Kraft seiner Rede inmitten des Getriebes einer genuß- und neuerungs¬ süchtigen Großstadt eine svzialmonarchische Bewegung zu eutfacheu, die inner¬ halb weniger Jahre, aus einem Nichts hervorgehend, so stark wurde, daß sie der freisinnigen und sozialdemokratischen Partei der Hauptstadt fast ebenbürtig gegenüberstand, 50 000 Wähler der Reichshauptstadt zu den ihren zählte. Freilich ist die Bewegung in den letzten Jahren wieder zurückgeflutet, vielleicht nicht ohne Schuld unsrer Regierung, die sich nicht richtig zu ihr zu stellen vermochte, sicherlich aber durch die Schuld der gemäßigten Bevölkernngsklasfen, die anstatt sich ihr anzuschließen und sie dadurch vor Einseitigkeit und Über¬ treibung zu bewahren, den berechtigten .Kern darin verkannten, sie über sich selbst hinauszuheben unterließen und durch Vefehdung die beginnende Gesun¬ dung zu verhindern bestrebt waren. Aber so sehr sie anch bekämpft wird von Gegnern und von denen, die, wenn sie sie recht begriffen, ihre Freunde sein sollten,, sie lebt dennoch und wird weiter leben. Erst jüngst hat sie in Berlin ihre im Kampfe zerstreuten Bestandteile zu einer sozialmonarchischen Partei zusammengezogen, und sie hat, Parallel gehend mit der ihr verwandten deutsch-sozinleu Partei, im ganzen Lande ihre Anhänger in den verschiedenartigsten Vereinigungen zu sammeln begonnen. Die sozialmonarchische äußerste Rechte besteht schon als der Keim, ans dem sich die große soziale Reformpartei entwickeln muß, sie hat auf der ganzen Linie, während die alten Parteien in Thatenlosigkeit verharren, einen frischen, Grenzboten I 1801 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/113>, abgerufen am 23.07.2024.