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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Rosegger als Dramatiker

der Lüge Made durch dieses 5lunstmittel des Kontrastes äußerlich sichtbar
machte und darum dramatisch, das ist der schlagendste Beweis für seine dra¬
matische Begabung. Denn hier ist alles Leben und Handlung, nicht Gerede
und nicht RefleMu. Nebenbei sei bemerkt, wie kunstvoll der Dichter im Laufe
der drei Akte schrittweise die Teilnahme für seinen nunmehr wirklich tragischen
Verbrecher steigert, indem er erst im dritten Akte das ganze Elend von Straßls
Vergangenheit und jetziger Häuslichkeit aufdeckt. Er fällt nicht mit der Thür
ins Hans, geht also der Gefahr der Sentimentalität aus dem Wege, wie er
anch eben damit das Interesse an dem Stücke trotz der schwachen Handlung
stets wach erhält. Es stehen wirklich lebendige Meuschen aus der Bühne,
denen wir im innersten Herzen nachfühlen müssen. Was geht uns Städter
die Tragik des Wildschütze" an? so fragt mau sich wohl einen Augen¬
blick, aber nicht länger, denn schon hat nus der Dichter in seinen Bann ge¬
zogen.

Die eigentliche Schönheit des Roseggerschen Stückes besteht aber in der
diesen Empfindung der Situation, deren Stimmungsgehalt vollständig heraus¬
gearbeitet ist. Der erste Akt ist in dieser Hinsicht vortrefflich. Mit unmittel¬
barer Kraft versetzt er uns in die Welt des Waldes, wo sich Rvseggers
Phantasie am meisten heimisch fühlt. Die Poesie des Waldes mit seiner Stille
und seiner düstern Einsamkeit, das Verhältnis des Försters zu den armen
Teufeln, die sich verstohlen vom Walde nähren, die elementare Wirkung eines
Verbrechens auf die elementare Menschennatur: Martha ist allein neben dem
angeschossenen Gatten, sie saßt zunächst gar nicht die Größe des Unglücks, sie
glaubt uicht an den Tod, sie begütigt den Ächzenden, bis nach und nach sein
Leib erkaltet und sie das Gräßliche gewahr wird, und das alles in der ge¬
waltigen Einsamkeit; dann die furchtsamen Wäldler, die einzeln herbeikommen --
ein steirischer Trottel schreit mächtig in das schaurige Echo der Bäume die
Mordthat hinein; endlich die Aufnahme, die sie bei all deu Feinde" des
Getöteten findet: halb Schadenfreude, halb Bangen, wenig Mitleid, viel
Heuchelei: diese ganze Szene ist voll markiger, ganz eigentümlicher Poesie.
Ein andres Stimmungs- und Sittenbild hat der dritte Akt. Sommer¬
landschaft, Felder in üppigen Halmen, Gvttesruhe, nud davor das Elend der
Straßlschen Hütte, die gemeine Härte des Ortsvorstehers, der die Armut, die
uicht dem Dorfe zuständig ist, mit riicksichtsloser Roheit nustreiben will. Diese
Szenen sind dramatisch nicht minder wirksam, als die bewegte Gerichtsszene;
ja sie sind umso wertvoller, als die Poesie in ihnen originaler ist. Der
Schwurgerichtssaal bietet ja schon im prosaischen Leben dramatische Wirkung
in Fülle und ist von den Bühnendichtern schon zur Genüge ausgenutzt worden.

In dem dritten Akte erinnert Rosegger ein wenig an Raimund, der im
"Alpenkönig und Menschenfeind" mit gleichem Realismus ländliches Elend aus
die Bühne gebracht hat. Und noch tiefer geht die Verwandtschaft, denn


Rosegger als Dramatiker

der Lüge Made durch dieses 5lunstmittel des Kontrastes äußerlich sichtbar
machte und darum dramatisch, das ist der schlagendste Beweis für seine dra¬
matische Begabung. Denn hier ist alles Leben und Handlung, nicht Gerede
und nicht RefleMu. Nebenbei sei bemerkt, wie kunstvoll der Dichter im Laufe
der drei Akte schrittweise die Teilnahme für seinen nunmehr wirklich tragischen
Verbrecher steigert, indem er erst im dritten Akte das ganze Elend von Straßls
Vergangenheit und jetziger Häuslichkeit aufdeckt. Er fällt nicht mit der Thür
ins Hans, geht also der Gefahr der Sentimentalität aus dem Wege, wie er
anch eben damit das Interesse an dem Stücke trotz der schwachen Handlung
stets wach erhält. Es stehen wirklich lebendige Meuschen aus der Bühne,
denen wir im innersten Herzen nachfühlen müssen. Was geht uns Städter
die Tragik des Wildschütze» an? so fragt mau sich wohl einen Augen¬
blick, aber nicht länger, denn schon hat nus der Dichter in seinen Bann ge¬
zogen.

Die eigentliche Schönheit des Roseggerschen Stückes besteht aber in der
diesen Empfindung der Situation, deren Stimmungsgehalt vollständig heraus¬
gearbeitet ist. Der erste Akt ist in dieser Hinsicht vortrefflich. Mit unmittel¬
barer Kraft versetzt er uns in die Welt des Waldes, wo sich Rvseggers
Phantasie am meisten heimisch fühlt. Die Poesie des Waldes mit seiner Stille
und seiner düstern Einsamkeit, das Verhältnis des Försters zu den armen
Teufeln, die sich verstohlen vom Walde nähren, die elementare Wirkung eines
Verbrechens auf die elementare Menschennatur: Martha ist allein neben dem
angeschossenen Gatten, sie saßt zunächst gar nicht die Größe des Unglücks, sie
glaubt uicht an den Tod, sie begütigt den Ächzenden, bis nach und nach sein
Leib erkaltet und sie das Gräßliche gewahr wird, und das alles in der ge¬
waltigen Einsamkeit; dann die furchtsamen Wäldler, die einzeln herbeikommen —
ein steirischer Trottel schreit mächtig in das schaurige Echo der Bäume die
Mordthat hinein; endlich die Aufnahme, die sie bei all deu Feinde» des
Getöteten findet: halb Schadenfreude, halb Bangen, wenig Mitleid, viel
Heuchelei: diese ganze Szene ist voll markiger, ganz eigentümlicher Poesie.
Ein andres Stimmungs- und Sittenbild hat der dritte Akt. Sommer¬
landschaft, Felder in üppigen Halmen, Gvttesruhe, nud davor das Elend der
Straßlschen Hütte, die gemeine Härte des Ortsvorstehers, der die Armut, die
uicht dem Dorfe zuständig ist, mit riicksichtsloser Roheit nustreiben will. Diese
Szenen sind dramatisch nicht minder wirksam, als die bewegte Gerichtsszene;
ja sie sind umso wertvoller, als die Poesie in ihnen originaler ist. Der
Schwurgerichtssaal bietet ja schon im prosaischen Leben dramatische Wirkung
in Fülle und ist von den Bühnendichtern schon zur Genüge ausgenutzt worden.

In dem dritten Akte erinnert Rosegger ein wenig an Raimund, der im
„Alpenkönig und Menschenfeind" mit gleichem Realismus ländliches Elend aus
die Bühne gebracht hat. Und noch tiefer geht die Verwandtschaft, denn


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[0103] Rosegger als Dramatiker der Lüge Made durch dieses 5lunstmittel des Kontrastes äußerlich sichtbar machte und darum dramatisch, das ist der schlagendste Beweis für seine dra¬ matische Begabung. Denn hier ist alles Leben und Handlung, nicht Gerede und nicht RefleMu. Nebenbei sei bemerkt, wie kunstvoll der Dichter im Laufe der drei Akte schrittweise die Teilnahme für seinen nunmehr wirklich tragischen Verbrecher steigert, indem er erst im dritten Akte das ganze Elend von Straßls Vergangenheit und jetziger Häuslichkeit aufdeckt. Er fällt nicht mit der Thür ins Hans, geht also der Gefahr der Sentimentalität aus dem Wege, wie er anch eben damit das Interesse an dem Stücke trotz der schwachen Handlung stets wach erhält. Es stehen wirklich lebendige Meuschen aus der Bühne, denen wir im innersten Herzen nachfühlen müssen. Was geht uns Städter die Tragik des Wildschütze» an? so fragt mau sich wohl einen Augen¬ blick, aber nicht länger, denn schon hat nus der Dichter in seinen Bann ge¬ zogen. Die eigentliche Schönheit des Roseggerschen Stückes besteht aber in der diesen Empfindung der Situation, deren Stimmungsgehalt vollständig heraus¬ gearbeitet ist. Der erste Akt ist in dieser Hinsicht vortrefflich. Mit unmittel¬ barer Kraft versetzt er uns in die Welt des Waldes, wo sich Rvseggers Phantasie am meisten heimisch fühlt. Die Poesie des Waldes mit seiner Stille und seiner düstern Einsamkeit, das Verhältnis des Försters zu den armen Teufeln, die sich verstohlen vom Walde nähren, die elementare Wirkung eines Verbrechens auf die elementare Menschennatur: Martha ist allein neben dem angeschossenen Gatten, sie saßt zunächst gar nicht die Größe des Unglücks, sie glaubt uicht an den Tod, sie begütigt den Ächzenden, bis nach und nach sein Leib erkaltet und sie das Gräßliche gewahr wird, und das alles in der ge¬ waltigen Einsamkeit; dann die furchtsamen Wäldler, die einzeln herbeikommen — ein steirischer Trottel schreit mächtig in das schaurige Echo der Bäume die Mordthat hinein; endlich die Aufnahme, die sie bei all deu Feinde» des Getöteten findet: halb Schadenfreude, halb Bangen, wenig Mitleid, viel Heuchelei: diese ganze Szene ist voll markiger, ganz eigentümlicher Poesie. Ein andres Stimmungs- und Sittenbild hat der dritte Akt. Sommer¬ landschaft, Felder in üppigen Halmen, Gvttesruhe, nud davor das Elend der Straßlschen Hütte, die gemeine Härte des Ortsvorstehers, der die Armut, die uicht dem Dorfe zuständig ist, mit riicksichtsloser Roheit nustreiben will. Diese Szenen sind dramatisch nicht minder wirksam, als die bewegte Gerichtsszene; ja sie sind umso wertvoller, als die Poesie in ihnen originaler ist. Der Schwurgerichtssaal bietet ja schon im prosaischen Leben dramatische Wirkung in Fülle und ist von den Bühnendichtern schon zur Genüge ausgenutzt worden. In dem dritten Akte erinnert Rosegger ein wenig an Raimund, der im „Alpenkönig und Menschenfeind" mit gleichem Realismus ländliches Elend aus die Bühne gebracht hat. Und noch tiefer geht die Verwandtschaft, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/103>, abgerufen am 25.08.2024.