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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Rembrandt, Breughel, Dürer als Erzieher

Spruch erfahren. Die Wissenschaft kann uns dabei nicht helfen. "schlichter
Volkscharakter, reich "üaucirt und vielseitig vertieft und zum Ausgangspunkte
aller Bildung gemacht, würde dem heutigen deutschen Geistesleben einen vor¬
nehmen Stempel aufdrücken; aus ihm würde eine Saat von -- Persönlich¬
keiten hervorgehen; und nur solche können gebildet sein . . . Der Begriff und die
Bethätigung echter Vornehmheit fehlt dem heutigen Deutschen durchgängig; . . .
und alle Wissenschaft, ob deutsch oder uicht, ist schon ihrem eignen innern
Wesen uach unvoruehm. Der Gelehrte, selbst wenn er tüchtig ist, ist als
solcher stets ein geistiger Parvenü, der echte Künstler ist es niemals; zum
Gelehrten kann man sich machen, zum Künstler muß man geboren sein.
?oew im8olor. Darum steht auch der Künstler dem Herzen des Volkes weit
näher als der Gelehrte; darum vermag er erzieherisch auf das Volk einzuwirken
weit mehr als der Gelehrte" (S. 65). "Alle großen Künstler loben den In¬
dividualismus -- durch ihre Werke" (S. 21!)). "Es wäre daher zu wünschen,
daß die Herrschaft der Mittelmäßigkeiten in Deutschland aufhöre; daß dieselben^!)
sich dem "nahrhaft Großen wieder unterordnen mögen, daß sie bescheiden werden,
daß sie sich erziehen lassen . . . Alle nulle" der Welt sind, was ihren Gehalt
und Wert anlangt, gleich einer einzigen Null, hat Leonardo erklärt; dies gilt
selbstverständlich auch von den vielen Nullen im heutigen Deutschland! Würde
ihnen der große Einer des Individualismus vorgesetzt, so würde sich das
geistige Nationalvermögen der Deutschen überraschend vermehren. Er kann
ihnen nur vorgesetzt werden dadurch, daß eiuzelue geistige Individualitäten
-- sei es aus der Vergangenheit oder Gegenwart, sei es Rembrandt oder ein
andrer -- wieder führend an die Spitze treten" (S. 218). "Rittertum und
Minnesänger waren in Süddeutschland zu Hause; die Reformation und die
deutsche Schriftsprache stammen aus Mitteldeutschland; das Zeitalter der Kunst
und vorzüglich der bildenden Kunst wird wahrscheinlich in Norddeutschland
erblühen. Der Schwerpunkt des deutschen geistigen Lebens bewegt sich offenbar
von Süden nach Norden; Rembrandt als künstlerisches Vorbild genommen,
ist nur eine Etappe auf diesem Wege . . . Die Kostümmalerei, die nachgeahmte
Renaissance und das Kunstgewerbe von hente sind uns im wesentlichen aus
dem deutschen Kunstsüden mit seinein Zentralpunkt München zugekommen;
diese mehr Mode" als Richtungen des deutschen öffentlichen Lebens stellen
ein letztes Aufflackern der bisherigen geistigen Hegemonie des Südens gegen¬
über der künftigen des Nordens dar" (S. 201). "Die blinkende Spitze des
preußischen Helmes wird immer innerhalb des deutschen politischen Lebens der
leitende Nicht- und Augenpunkt bleiben; aber es ist zu wünschen, daß in das
geistige deutsche Leben etwas von den Schimmer des nationalen Goldhelmes
falle, den die holländischen Mädchen tragen" (S. 197).

Lassen wir uns nicht verblüffen durch das Geflimmer dieser irrlichterirendeu
Sentenzen, sondern übersetze" wir sie in schlichtes Deutsch, so erhalte" wir-


Rembrandt, Breughel, Dürer als Erzieher

Spruch erfahren. Die Wissenschaft kann uns dabei nicht helfen. „schlichter
Volkscharakter, reich ȟaucirt und vielseitig vertieft und zum Ausgangspunkte
aller Bildung gemacht, würde dem heutigen deutschen Geistesleben einen vor¬
nehmen Stempel aufdrücken; aus ihm würde eine Saat von — Persönlich¬
keiten hervorgehen; und nur solche können gebildet sein . . . Der Begriff und die
Bethätigung echter Vornehmheit fehlt dem heutigen Deutschen durchgängig; . . .
und alle Wissenschaft, ob deutsch oder uicht, ist schon ihrem eignen innern
Wesen uach unvoruehm. Der Gelehrte, selbst wenn er tüchtig ist, ist als
solcher stets ein geistiger Parvenü, der echte Künstler ist es niemals; zum
Gelehrten kann man sich machen, zum Künstler muß man geboren sein.
?oew im8olor. Darum steht auch der Künstler dem Herzen des Volkes weit
näher als der Gelehrte; darum vermag er erzieherisch auf das Volk einzuwirken
weit mehr als der Gelehrte" (S. 65). „Alle großen Künstler loben den In¬
dividualismus — durch ihre Werke" (S. 21!)). „Es wäre daher zu wünschen,
daß die Herrschaft der Mittelmäßigkeiten in Deutschland aufhöre; daß dieselben^!)
sich dem »nahrhaft Großen wieder unterordnen mögen, daß sie bescheiden werden,
daß sie sich erziehen lassen . . . Alle nulle» der Welt sind, was ihren Gehalt
und Wert anlangt, gleich einer einzigen Null, hat Leonardo erklärt; dies gilt
selbstverständlich auch von den vielen Nullen im heutigen Deutschland! Würde
ihnen der große Einer des Individualismus vorgesetzt, so würde sich das
geistige Nationalvermögen der Deutschen überraschend vermehren. Er kann
ihnen nur vorgesetzt werden dadurch, daß eiuzelue geistige Individualitäten
— sei es aus der Vergangenheit oder Gegenwart, sei es Rembrandt oder ein
andrer — wieder führend an die Spitze treten" (S. 218). „Rittertum und
Minnesänger waren in Süddeutschland zu Hause; die Reformation und die
deutsche Schriftsprache stammen aus Mitteldeutschland; das Zeitalter der Kunst
und vorzüglich der bildenden Kunst wird wahrscheinlich in Norddeutschland
erblühen. Der Schwerpunkt des deutschen geistigen Lebens bewegt sich offenbar
von Süden nach Norden; Rembrandt als künstlerisches Vorbild genommen,
ist nur eine Etappe auf diesem Wege . . . Die Kostümmalerei, die nachgeahmte
Renaissance und das Kunstgewerbe von hente sind uns im wesentlichen aus
dem deutschen Kunstsüden mit seinein Zentralpunkt München zugekommen;
diese mehr Mode» als Richtungen des deutschen öffentlichen Lebens stellen
ein letztes Aufflackern der bisherigen geistigen Hegemonie des Südens gegen¬
über der künftigen des Nordens dar" (S. 201). „Die blinkende Spitze des
preußischen Helmes wird immer innerhalb des deutschen politischen Lebens der
leitende Nicht- und Augenpunkt bleiben; aber es ist zu wünschen, daß in das
geistige deutsche Leben etwas von den Schimmer des nationalen Goldhelmes
falle, den die holländischen Mädchen tragen" (S. 197).

Lassen wir uns nicht verblüffen durch das Geflimmer dieser irrlichterirendeu
Sentenzen, sondern übersetze» wir sie in schlichtes Deutsch, so erhalte« wir-


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[0610] Rembrandt, Breughel, Dürer als Erzieher Spruch erfahren. Die Wissenschaft kann uns dabei nicht helfen. „schlichter Volkscharakter, reich »üaucirt und vielseitig vertieft und zum Ausgangspunkte aller Bildung gemacht, würde dem heutigen deutschen Geistesleben einen vor¬ nehmen Stempel aufdrücken; aus ihm würde eine Saat von — Persönlich¬ keiten hervorgehen; und nur solche können gebildet sein . . . Der Begriff und die Bethätigung echter Vornehmheit fehlt dem heutigen Deutschen durchgängig; . . . und alle Wissenschaft, ob deutsch oder uicht, ist schon ihrem eignen innern Wesen uach unvoruehm. Der Gelehrte, selbst wenn er tüchtig ist, ist als solcher stets ein geistiger Parvenü, der echte Künstler ist es niemals; zum Gelehrten kann man sich machen, zum Künstler muß man geboren sein. ?oew im8olor. Darum steht auch der Künstler dem Herzen des Volkes weit näher als der Gelehrte; darum vermag er erzieherisch auf das Volk einzuwirken weit mehr als der Gelehrte" (S. 65). „Alle großen Künstler loben den In¬ dividualismus — durch ihre Werke" (S. 21!)). „Es wäre daher zu wünschen, daß die Herrschaft der Mittelmäßigkeiten in Deutschland aufhöre; daß dieselben^!) sich dem »nahrhaft Großen wieder unterordnen mögen, daß sie bescheiden werden, daß sie sich erziehen lassen . . . Alle nulle» der Welt sind, was ihren Gehalt und Wert anlangt, gleich einer einzigen Null, hat Leonardo erklärt; dies gilt selbstverständlich auch von den vielen Nullen im heutigen Deutschland! Würde ihnen der große Einer des Individualismus vorgesetzt, so würde sich das geistige Nationalvermögen der Deutschen überraschend vermehren. Er kann ihnen nur vorgesetzt werden dadurch, daß eiuzelue geistige Individualitäten — sei es aus der Vergangenheit oder Gegenwart, sei es Rembrandt oder ein andrer — wieder führend an die Spitze treten" (S. 218). „Rittertum und Minnesänger waren in Süddeutschland zu Hause; die Reformation und die deutsche Schriftsprache stammen aus Mitteldeutschland; das Zeitalter der Kunst und vorzüglich der bildenden Kunst wird wahrscheinlich in Norddeutschland erblühen. Der Schwerpunkt des deutschen geistigen Lebens bewegt sich offenbar von Süden nach Norden; Rembrandt als künstlerisches Vorbild genommen, ist nur eine Etappe auf diesem Wege . . . Die Kostümmalerei, die nachgeahmte Renaissance und das Kunstgewerbe von hente sind uns im wesentlichen aus dem deutschen Kunstsüden mit seinein Zentralpunkt München zugekommen; diese mehr Mode» als Richtungen des deutschen öffentlichen Lebens stellen ein letztes Aufflackern der bisherigen geistigen Hegemonie des Südens gegen¬ über der künftigen des Nordens dar" (S. 201). „Die blinkende Spitze des preußischen Helmes wird immer innerhalb des deutschen politischen Lebens der leitende Nicht- und Augenpunkt bleiben; aber es ist zu wünschen, daß in das geistige deutsche Leben etwas von den Schimmer des nationalen Goldhelmes falle, den die holländischen Mädchen tragen" (S. 197). Lassen wir uns nicht verblüffen durch das Geflimmer dieser irrlichterirendeu Sentenzen, sondern übersetze» wir sie in schlichtes Deutsch, so erhalte« wir-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/610>, abgerufen am 25.06.2024.