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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Mimschen

mir nur, Krausköpfchen, sagte sie, wo dit dich jetzt herumtreibst. Seht nur,
welch ernsthaftes Gesicht er macht, damit ich die Lüge glauben soll, die er
vorbringen will! Und er weiß es nur zu gut, daß ich mir uoch schlimmeres
von ihm gefallen lasse, als solche Falschheit, wenn ich ihn nur sehen kann.
Er weiß zu gut, wie ich mich vor zehn Jahren in ein kleines Krausköpfcheu
verliebte, in ein irreflatterudes, verwaistes Vöglein, daß ichs ein den Busen
nahm und wärmte und ihm mein Herzblut gegeben hätte, wenn dem Schalk
damit gedient war; um fliegt mirs fort und sieht nicht mehr nach mir!

Bei den letzten Worten hatte sie die vergebliche Bemühung, ihre Em¬
pfindungen unter dem launigen Wesen zu verstecken, aufgegeben, und nun rächten
sich jene für den Zwang, den sie ihnen angethan hatte, durch Verdoppelung
ihrer Gewalt.

Ich habe kein besseres Herz gekannt, als das der Madame Flötenspiel;
zudem macht es doppelte Wirkung ans uns, sehen wir einen Menschen so recht
traurig, den wir nur froh gesehen haben und von dessen Persönlichkeit Nur
kaum die heitere Laune trennen können; vorzüglich aber war es der Vorwurf,
der für mich sowohl in ihren Äußerungen, als eben in der Art, mit der sie
gethan wurden, lag, was mich ans das heftigste erschütterte.

Ihre Äußerungen, entgegnete ich und mühte mich nicht, meine Bewegung
zu verbergen, lassen mich besorgen, daß Sie mich des schändlichen Lasters fähig
halten, das ich mir denken kann.

Wer sagt das? sprach Madame Flötenspiel. Hab' ich gesagt, ich hielte
Sie eines Lasters fähig? Hab' ich Ihnen hilfreich werden dürfen, so muß mir
das eine Freude bleiben, aber ein Recht giebt mirs nicht über Sie, es müßte
denn das Recht sein, daß ich mirs nicht von Ihnen wehren lasse, Ihre Mutter
ferner zu bleiben. Können Sie einen Vorwurf in dem, was ich sagte, finden,
da Sie wissen, daß ich Sie auf keine Weise kränken will?

Ich war im Begriffe, zu antworten. Madame Flötenspiel, die kein trauriges
Gesicht sehen konnte, versuchte nochmals jenen scherzenden Ton. Die Herzens¬
güte, die sich darin zeigte, vermehrte nur meine Bewegung.

Glaubst du denn, Kransköpfchen, sagte sie, indem sie mich am Haare
zupfte, ich wüßte nichts von der Prinzessin am Zeitzer Thor?

Ich Unseliger nahm in meiner Verwirrung diese Worte, mit denen sie,
wie man zu sagen Pflegt, auf den Busch schlug, für baren Ernst, und so mußte
ich glauben, sie kenne das ganze Verhältnis. Wissen Sie -- wollte ich voll
Erstaunen fragen. Alles, unterbrach sie mich. Aber ich Hütte auf ihrem
Gesichte lesen müssen, daß sie überrascht war, wenn nicht ein böser Genius
mich blind und taub gemacht hätte, nur -- leider! -- uicht stumm. Glauben
Sie mir, rief ich, alles will ich thun, was Sie wünschen; ich weiß, wie viel
ich Ihnen schulde; nur von Sonne des Lebens zu lassen verlangen Sie
nicht von mir! Nur das -- ach! einen Augenblick zu spät kam ich zur Be-


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Mimschen

mir nur, Krausköpfchen, sagte sie, wo dit dich jetzt herumtreibst. Seht nur,
welch ernsthaftes Gesicht er macht, damit ich die Lüge glauben soll, die er
vorbringen will! Und er weiß es nur zu gut, daß ich mir uoch schlimmeres
von ihm gefallen lasse, als solche Falschheit, wenn ich ihn nur sehen kann.
Er weiß zu gut, wie ich mich vor zehn Jahren in ein kleines Krausköpfcheu
verliebte, in ein irreflatterudes, verwaistes Vöglein, daß ichs ein den Busen
nahm und wärmte und ihm mein Herzblut gegeben hätte, wenn dem Schalk
damit gedient war; um fliegt mirs fort und sieht nicht mehr nach mir!

Bei den letzten Worten hatte sie die vergebliche Bemühung, ihre Em¬
pfindungen unter dem launigen Wesen zu verstecken, aufgegeben, und nun rächten
sich jene für den Zwang, den sie ihnen angethan hatte, durch Verdoppelung
ihrer Gewalt.

Ich habe kein besseres Herz gekannt, als das der Madame Flötenspiel;
zudem macht es doppelte Wirkung ans uns, sehen wir einen Menschen so recht
traurig, den wir nur froh gesehen haben und von dessen Persönlichkeit Nur
kaum die heitere Laune trennen können; vorzüglich aber war es der Vorwurf,
der für mich sowohl in ihren Äußerungen, als eben in der Art, mit der sie
gethan wurden, lag, was mich ans das heftigste erschütterte.

Ihre Äußerungen, entgegnete ich und mühte mich nicht, meine Bewegung
zu verbergen, lassen mich besorgen, daß Sie mich des schändlichen Lasters fähig
halten, das ich mir denken kann.

Wer sagt das? sprach Madame Flötenspiel. Hab' ich gesagt, ich hielte
Sie eines Lasters fähig? Hab' ich Ihnen hilfreich werden dürfen, so muß mir
das eine Freude bleiben, aber ein Recht giebt mirs nicht über Sie, es müßte
denn das Recht sein, daß ich mirs nicht von Ihnen wehren lasse, Ihre Mutter
ferner zu bleiben. Können Sie einen Vorwurf in dem, was ich sagte, finden,
da Sie wissen, daß ich Sie auf keine Weise kränken will?

Ich war im Begriffe, zu antworten. Madame Flötenspiel, die kein trauriges
Gesicht sehen konnte, versuchte nochmals jenen scherzenden Ton. Die Herzens¬
güte, die sich darin zeigte, vermehrte nur meine Bewegung.

Glaubst du denn, Kransköpfchen, sagte sie, indem sie mich am Haare
zupfte, ich wüßte nichts von der Prinzessin am Zeitzer Thor?

Ich Unseliger nahm in meiner Verwirrung diese Worte, mit denen sie,
wie man zu sagen Pflegt, auf den Busch schlug, für baren Ernst, und so mußte
ich glauben, sie kenne das ganze Verhältnis. Wissen Sie — wollte ich voll
Erstaunen fragen. Alles, unterbrach sie mich. Aber ich Hütte auf ihrem
Gesichte lesen müssen, daß sie überrascht war, wenn nicht ein böser Genius
mich blind und taub gemacht hätte, nur — leider! — uicht stumm. Glauben
Sie mir, rief ich, alles will ich thun, was Sie wünschen; ich weiß, wie viel
ich Ihnen schulde; nur von Sonne des Lebens zu lassen verlangen Sie
nicht von mir! Nur das — ach! einen Augenblick zu spät kam ich zur Be-


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[0582] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Mimschen mir nur, Krausköpfchen, sagte sie, wo dit dich jetzt herumtreibst. Seht nur, welch ernsthaftes Gesicht er macht, damit ich die Lüge glauben soll, die er vorbringen will! Und er weiß es nur zu gut, daß ich mir uoch schlimmeres von ihm gefallen lasse, als solche Falschheit, wenn ich ihn nur sehen kann. Er weiß zu gut, wie ich mich vor zehn Jahren in ein kleines Krausköpfcheu verliebte, in ein irreflatterudes, verwaistes Vöglein, daß ichs ein den Busen nahm und wärmte und ihm mein Herzblut gegeben hätte, wenn dem Schalk damit gedient war; um fliegt mirs fort und sieht nicht mehr nach mir! Bei den letzten Worten hatte sie die vergebliche Bemühung, ihre Em¬ pfindungen unter dem launigen Wesen zu verstecken, aufgegeben, und nun rächten sich jene für den Zwang, den sie ihnen angethan hatte, durch Verdoppelung ihrer Gewalt. Ich habe kein besseres Herz gekannt, als das der Madame Flötenspiel; zudem macht es doppelte Wirkung ans uns, sehen wir einen Menschen so recht traurig, den wir nur froh gesehen haben und von dessen Persönlichkeit Nur kaum die heitere Laune trennen können; vorzüglich aber war es der Vorwurf, der für mich sowohl in ihren Äußerungen, als eben in der Art, mit der sie gethan wurden, lag, was mich ans das heftigste erschütterte. Ihre Äußerungen, entgegnete ich und mühte mich nicht, meine Bewegung zu verbergen, lassen mich besorgen, daß Sie mich des schändlichen Lasters fähig halten, das ich mir denken kann. Wer sagt das? sprach Madame Flötenspiel. Hab' ich gesagt, ich hielte Sie eines Lasters fähig? Hab' ich Ihnen hilfreich werden dürfen, so muß mir das eine Freude bleiben, aber ein Recht giebt mirs nicht über Sie, es müßte denn das Recht sein, daß ich mirs nicht von Ihnen wehren lasse, Ihre Mutter ferner zu bleiben. Können Sie einen Vorwurf in dem, was ich sagte, finden, da Sie wissen, daß ich Sie auf keine Weise kränken will? Ich war im Begriffe, zu antworten. Madame Flötenspiel, die kein trauriges Gesicht sehen konnte, versuchte nochmals jenen scherzenden Ton. Die Herzens¬ güte, die sich darin zeigte, vermehrte nur meine Bewegung. Glaubst du denn, Kransköpfchen, sagte sie, indem sie mich am Haare zupfte, ich wüßte nichts von der Prinzessin am Zeitzer Thor? Ich Unseliger nahm in meiner Verwirrung diese Worte, mit denen sie, wie man zu sagen Pflegt, auf den Busch schlug, für baren Ernst, und so mußte ich glauben, sie kenne das ganze Verhältnis. Wissen Sie — wollte ich voll Erstaunen fragen. Alles, unterbrach sie mich. Aber ich Hütte auf ihrem Gesichte lesen müssen, daß sie überrascht war, wenn nicht ein böser Genius mich blind und taub gemacht hätte, nur — leider! — uicht stumm. Glauben Sie mir, rief ich, alles will ich thun, was Sie wünschen; ich weiß, wie viel ich Ihnen schulde; nur von Sonne des Lebens zu lassen verlangen Sie nicht von mir! Nur das — ach! einen Augenblick zu spät kam ich zur Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/582>, abgerufen am 23.07.2024.