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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

die feinste Adlernase zwischen zwei dunkeln Sonnen, den schmalen, zarten Mund,
das lieblich gerundete Kinn, den vollen und doch so zierlichen Wuchs, ich sah
diese Reize lauge noch, nachdem ihre Besitzerin den Laden verlassen hatte,
und neu eingetretene Kunden verwundert vor mir standen, daß ich, sonst
die Gewandtheit, die Gesprächigkeit, das Leben selbst, ein steinernes Bild ge¬
worden schien.

Mit Schrecken siel mir plötzlich ein, daß die Dame mich nicht bezahlt
hatte. Herr Entenfraß war verreist; wie sollte ich vor ihm bestehen, dem er
alles anzuvertrauen gewohnt war! Es war keine Kleinigkeit, was die Waren,
die sie gekauft und mitgenommen hatte, betrugen; es war eine Summe von
mehr als tausend Thalern. Meine einzige Hoffnung war, die schöne Perserin
werde sich erinnern, daß sie mich nicht bezahlt habe, und das Geld entweder
selbst bringen oder schicken, ehe Herr Entenfraß zurückgekommen sein würde.

Und wirklich hatte ich mich nicht getäuscht. Acht Tage nachher kam sie
wieder mit ihren beiden Begleitern. Ihre Stimme klang mir nun doppelt
wie die süßeste Musik, da sie sich entschuldigte, in der Zerstreuung das Be¬
zahlen vergessen zu haben; sie nahm noch mehrere Waren heraus, dann be¬
zahlte sie diese und die vorigen mit. Und wieder nahm sie den Schleier ub,
ehe sie ging; und wieder stand ich regungslos wie eine Bildsäule. Der Markt¬
helfer, der mich erinnerte, das Geld einzustreichen, das leicht, ohne daß ich es
gemerkt haben würde, jemand hätte hinwegnehmen können, mußte mich wecken
wie aus dem tiefsten Schlafe.

Von Madame Flötenspiel kam eine Einladung auf den Abend. So dank¬
bare Gesinnungen ich gegen sie hegte, so war in meiner Seele ihr Bild durch
das der Fremden dennoch völlig in den Hintergrund gedrängt. Alle meine
Gedanken, alle meine Empfindungen schwärmten wie Bienen um die Blume
jener wundervollen Reize. Ob ich sie wiedersehen würde? Ob und wie sie
meiner dächte? Diese und tausend ähnliche Fragen wandten trotz alles Wider-
strebens meine Gedanken immer von neuem von meinem Geschäfte ab, daß ich
froh war, wie die Stunde des Gewölbeschlusses schlug. Kaum konnte ich vor
Unruhe die gewühlte Toilette machen, die Leipzigs Damen an mir zu be¬
wundern gewohnt waren. Ohne eigentlich zu wissen, wohin ich wollte, verließ
ich meine Wohnung, so in Träumen, daß erst der ungeheuere Lärm, aus dem
Rasseln des Dampfkaroussells, dem Brüllen der Löwen, dem Aborgeln
schauderhafter Mordthaten und unzähligen andern Elementen gemischt, mich
lehrte, daß der Weg, den ich unwillkürlich verfolgt hatte, unter die Buden
führe, in die lärmende Stadt der Vagabunden, die mit Anfang der Messe
wie ein Pilz aufschießt und vier Wochen darauf wie in die Luft zerstoben
scheint.

Friede sei mit euch! sprach eine Frauenstimme zu mir; ich sah aus und
erblickte -- denkt euch mein Staunen, meine Freude -- die Begleiterin des


Grenzboten IV 1M0 67
Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

die feinste Adlernase zwischen zwei dunkeln Sonnen, den schmalen, zarten Mund,
das lieblich gerundete Kinn, den vollen und doch so zierlichen Wuchs, ich sah
diese Reize lauge noch, nachdem ihre Besitzerin den Laden verlassen hatte,
und neu eingetretene Kunden verwundert vor mir standen, daß ich, sonst
die Gewandtheit, die Gesprächigkeit, das Leben selbst, ein steinernes Bild ge¬
worden schien.

Mit Schrecken siel mir plötzlich ein, daß die Dame mich nicht bezahlt
hatte. Herr Entenfraß war verreist; wie sollte ich vor ihm bestehen, dem er
alles anzuvertrauen gewohnt war! Es war keine Kleinigkeit, was die Waren,
die sie gekauft und mitgenommen hatte, betrugen; es war eine Summe von
mehr als tausend Thalern. Meine einzige Hoffnung war, die schöne Perserin
werde sich erinnern, daß sie mich nicht bezahlt habe, und das Geld entweder
selbst bringen oder schicken, ehe Herr Entenfraß zurückgekommen sein würde.

Und wirklich hatte ich mich nicht getäuscht. Acht Tage nachher kam sie
wieder mit ihren beiden Begleitern. Ihre Stimme klang mir nun doppelt
wie die süßeste Musik, da sie sich entschuldigte, in der Zerstreuung das Be¬
zahlen vergessen zu haben; sie nahm noch mehrere Waren heraus, dann be¬
zahlte sie diese und die vorigen mit. Und wieder nahm sie den Schleier ub,
ehe sie ging; und wieder stand ich regungslos wie eine Bildsäule. Der Markt¬
helfer, der mich erinnerte, das Geld einzustreichen, das leicht, ohne daß ich es
gemerkt haben würde, jemand hätte hinwegnehmen können, mußte mich wecken
wie aus dem tiefsten Schlafe.

Von Madame Flötenspiel kam eine Einladung auf den Abend. So dank¬
bare Gesinnungen ich gegen sie hegte, so war in meiner Seele ihr Bild durch
das der Fremden dennoch völlig in den Hintergrund gedrängt. Alle meine
Gedanken, alle meine Empfindungen schwärmten wie Bienen um die Blume
jener wundervollen Reize. Ob ich sie wiedersehen würde? Ob und wie sie
meiner dächte? Diese und tausend ähnliche Fragen wandten trotz alles Wider-
strebens meine Gedanken immer von neuem von meinem Geschäfte ab, daß ich
froh war, wie die Stunde des Gewölbeschlusses schlug. Kaum konnte ich vor
Unruhe die gewühlte Toilette machen, die Leipzigs Damen an mir zu be¬
wundern gewohnt waren. Ohne eigentlich zu wissen, wohin ich wollte, verließ
ich meine Wohnung, so in Träumen, daß erst der ungeheuere Lärm, aus dem
Rasseln des Dampfkaroussells, dem Brüllen der Löwen, dem Aborgeln
schauderhafter Mordthaten und unzähligen andern Elementen gemischt, mich
lehrte, daß der Weg, den ich unwillkürlich verfolgt hatte, unter die Buden
führe, in die lärmende Stadt der Vagabunden, die mit Anfang der Messe
wie ein Pilz aufschießt und vier Wochen darauf wie in die Luft zerstoben
scheint.

Friede sei mit euch! sprach eine Frauenstimme zu mir; ich sah aus und
erblickte — denkt euch mein Staunen, meine Freude — die Begleiterin des


Grenzboten IV 1M0 67
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/537>, abgerufen am 23.07.2024.