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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte v-on den drei Wünschen

richtete mit dem feierliche" Ernste, den sie so sehr in ihrer Gewalt hatte, etwa
folgende Rede an mich: Lieber Theodor, ich halte es für meine Pflicht, ein
ernstes Wort mit dir zu reden, ein Wort, dessen Notwendigkeit mich so sehr
kränkt, als es dich nur irgend kranken kann, ein Wort, das ich nicht mehr
verschieben darf, wenn ich die Versicherungen der mütterlichen Fürsorge, die
ich dir oft gethan, nicht Lügen strafen will. Lieber Theodor, das Schrecklichste,
was dem Menschen begegnen kann, ist, wenn er sich sagen muß: Dn hast deine
Bestimmung verfehlt; um so schrecklicher, je weiter er über das Alter hinaus
ist, in dem man noch hoffen darf, mit Erfolg einen neuen Lebensweg ein¬
schlagen zu können. Noch bist du nicht über dieses Alter hinaus,' Lieber
Theodor, es kränkt mich, deine jugendliche Eitelkeit so zerschmettern zu müssen,
wie ich doch muß, aber ich muß dir sagen: Du hast kein Talent zu der Kunst.
Mit der rotbäckiger stumpfen Behaglichkeit, mit der du mir eben znhörst, als
ginge die Sache dich gar nichts an, wirst dn nimmer zu der Objektivität der
Darstellung hindurchdringen. Es giebt, wie du weißt, viele gute Menschen
in Leipzig. Du bist nicht häßlich und hast etwas Wackeres in deinem Ansehen;
vielleicht nimmt einer oder der andre dich als Laufjungen in den Dienst.
Hältst du dich gut, kannst du mit der Zeit Markthelfer oder Hausknecht
werden, am Ende deiner Lebensperspektive steht vielleicht, wer kann es wissen?
eine bürgerliche Nahrung. Unsre Nachbarn, der Schuhmacher Fintlein und
der Schneider Heidermcmn, sind beide willens, ihre derzeitigen Laufjungen fort¬
zujagen. Es käme nun darauf an, was du werden möchtest, Schusterjunge
oder Schueiderjunge --

Ich hatte sehr aufmerksam zugehört, so wenig ich auch den größten Teil
ihrer Rede verstand. Ach, Madame Müller, sagte ich in meiner Unschuld,
Schusterjunge mag ich nicht werden, Schneiderjnnge auch nicht, aber ein Pascha
von drei Roßschweifen möcht ich werden!

So sagte ich. Ich weiß nun nicht, glaubte Madame Müller wirklich,
ich hätte sie verhöhnen wollen, oder war sie der Gelegenheit froh, auf diese
Weise mich los zu werden: Nein, rief sie, indem sie mich zornesrot am Arm
ergriff und aus der Thür warf, die sie hinter mir verschloß; eine solche
Schlange will ich nicht länger an meinem Busen wärmen. Komm mir nie
wieder vor meine Augen, undankbare Kreatur!

Lange stand ich weinend vor der Thüre; sie öffnete sich mir nicht wieder.
Weinend stolperte ich die vier Treppen hinab. Wie ich aus dem Hausthor
ging, kam nur erst recht das Gefühl meiner nunmehrigen Verlassenheit; ich
rang meine Hände und schrie, indem ich bitterlich weinte, unaufhörlich: Ach,
Madame Müller! Ach, Madame Müller! Ich will jn gewiß kein Pascha mit
drei Roßschweifen werden; behalten Sie mich doch nur!

Während ich diese Worte unter den schmerzlichsten Thränen wiederholte,
kam eine gute Fee, Madame Flötenspiel, die Gasse daher. Nachdem sie mich


Die wahrhaftige Geschichte v-on den drei Wünschen

richtete mit dem feierliche» Ernste, den sie so sehr in ihrer Gewalt hatte, etwa
folgende Rede an mich: Lieber Theodor, ich halte es für meine Pflicht, ein
ernstes Wort mit dir zu reden, ein Wort, dessen Notwendigkeit mich so sehr
kränkt, als es dich nur irgend kranken kann, ein Wort, das ich nicht mehr
verschieben darf, wenn ich die Versicherungen der mütterlichen Fürsorge, die
ich dir oft gethan, nicht Lügen strafen will. Lieber Theodor, das Schrecklichste,
was dem Menschen begegnen kann, ist, wenn er sich sagen muß: Dn hast deine
Bestimmung verfehlt; um so schrecklicher, je weiter er über das Alter hinaus
ist, in dem man noch hoffen darf, mit Erfolg einen neuen Lebensweg ein¬
schlagen zu können. Noch bist du nicht über dieses Alter hinaus,' Lieber
Theodor, es kränkt mich, deine jugendliche Eitelkeit so zerschmettern zu müssen,
wie ich doch muß, aber ich muß dir sagen: Du hast kein Talent zu der Kunst.
Mit der rotbäckiger stumpfen Behaglichkeit, mit der du mir eben znhörst, als
ginge die Sache dich gar nichts an, wirst dn nimmer zu der Objektivität der
Darstellung hindurchdringen. Es giebt, wie du weißt, viele gute Menschen
in Leipzig. Du bist nicht häßlich und hast etwas Wackeres in deinem Ansehen;
vielleicht nimmt einer oder der andre dich als Laufjungen in den Dienst.
Hältst du dich gut, kannst du mit der Zeit Markthelfer oder Hausknecht
werden, am Ende deiner Lebensperspektive steht vielleicht, wer kann es wissen?
eine bürgerliche Nahrung. Unsre Nachbarn, der Schuhmacher Fintlein und
der Schneider Heidermcmn, sind beide willens, ihre derzeitigen Laufjungen fort¬
zujagen. Es käme nun darauf an, was du werden möchtest, Schusterjunge
oder Schueiderjunge —

Ich hatte sehr aufmerksam zugehört, so wenig ich auch den größten Teil
ihrer Rede verstand. Ach, Madame Müller, sagte ich in meiner Unschuld,
Schusterjunge mag ich nicht werden, Schneiderjnnge auch nicht, aber ein Pascha
von drei Roßschweifen möcht ich werden!

So sagte ich. Ich weiß nun nicht, glaubte Madame Müller wirklich,
ich hätte sie verhöhnen wollen, oder war sie der Gelegenheit froh, auf diese
Weise mich los zu werden: Nein, rief sie, indem sie mich zornesrot am Arm
ergriff und aus der Thür warf, die sie hinter mir verschloß; eine solche
Schlange will ich nicht länger an meinem Busen wärmen. Komm mir nie
wieder vor meine Augen, undankbare Kreatur!

Lange stand ich weinend vor der Thüre; sie öffnete sich mir nicht wieder.
Weinend stolperte ich die vier Treppen hinab. Wie ich aus dem Hausthor
ging, kam nur erst recht das Gefühl meiner nunmehrigen Verlassenheit; ich
rang meine Hände und schrie, indem ich bitterlich weinte, unaufhörlich: Ach,
Madame Müller! Ach, Madame Müller! Ich will jn gewiß kein Pascha mit
drei Roßschweifen werden; behalten Sie mich doch nur!

Während ich diese Worte unter den schmerzlichsten Thränen wiederholte,
kam eine gute Fee, Madame Flötenspiel, die Gasse daher. Nachdem sie mich


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[0533] Die wahrhaftige Geschichte v-on den drei Wünschen richtete mit dem feierliche» Ernste, den sie so sehr in ihrer Gewalt hatte, etwa folgende Rede an mich: Lieber Theodor, ich halte es für meine Pflicht, ein ernstes Wort mit dir zu reden, ein Wort, dessen Notwendigkeit mich so sehr kränkt, als es dich nur irgend kranken kann, ein Wort, das ich nicht mehr verschieben darf, wenn ich die Versicherungen der mütterlichen Fürsorge, die ich dir oft gethan, nicht Lügen strafen will. Lieber Theodor, das Schrecklichste, was dem Menschen begegnen kann, ist, wenn er sich sagen muß: Dn hast deine Bestimmung verfehlt; um so schrecklicher, je weiter er über das Alter hinaus ist, in dem man noch hoffen darf, mit Erfolg einen neuen Lebensweg ein¬ schlagen zu können. Noch bist du nicht über dieses Alter hinaus,' Lieber Theodor, es kränkt mich, deine jugendliche Eitelkeit so zerschmettern zu müssen, wie ich doch muß, aber ich muß dir sagen: Du hast kein Talent zu der Kunst. Mit der rotbäckiger stumpfen Behaglichkeit, mit der du mir eben znhörst, als ginge die Sache dich gar nichts an, wirst dn nimmer zu der Objektivität der Darstellung hindurchdringen. Es giebt, wie du weißt, viele gute Menschen in Leipzig. Du bist nicht häßlich und hast etwas Wackeres in deinem Ansehen; vielleicht nimmt einer oder der andre dich als Laufjungen in den Dienst. Hältst du dich gut, kannst du mit der Zeit Markthelfer oder Hausknecht werden, am Ende deiner Lebensperspektive steht vielleicht, wer kann es wissen? eine bürgerliche Nahrung. Unsre Nachbarn, der Schuhmacher Fintlein und der Schneider Heidermcmn, sind beide willens, ihre derzeitigen Laufjungen fort¬ zujagen. Es käme nun darauf an, was du werden möchtest, Schusterjunge oder Schueiderjunge — Ich hatte sehr aufmerksam zugehört, so wenig ich auch den größten Teil ihrer Rede verstand. Ach, Madame Müller, sagte ich in meiner Unschuld, Schusterjunge mag ich nicht werden, Schneiderjnnge auch nicht, aber ein Pascha von drei Roßschweifen möcht ich werden! So sagte ich. Ich weiß nun nicht, glaubte Madame Müller wirklich, ich hätte sie verhöhnen wollen, oder war sie der Gelegenheit froh, auf diese Weise mich los zu werden: Nein, rief sie, indem sie mich zornesrot am Arm ergriff und aus der Thür warf, die sie hinter mir verschloß; eine solche Schlange will ich nicht länger an meinem Busen wärmen. Komm mir nie wieder vor meine Augen, undankbare Kreatur! Lange stand ich weinend vor der Thüre; sie öffnete sich mir nicht wieder. Weinend stolperte ich die vier Treppen hinab. Wie ich aus dem Hausthor ging, kam nur erst recht das Gefühl meiner nunmehrigen Verlassenheit; ich rang meine Hände und schrie, indem ich bitterlich weinte, unaufhörlich: Ach, Madame Müller! Ach, Madame Müller! Ich will jn gewiß kein Pascha mit drei Roßschweifen werden; behalten Sie mich doch nur! Während ich diese Worte unter den schmerzlichsten Thränen wiederholte, kam eine gute Fee, Madame Flötenspiel, die Gasse daher. Nachdem sie mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/533>, abgerufen am 25.06.2024.