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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen

zurückrufen, das große, schöne Haus zu besitzen, dem ich gegenübersaß, und
mich einmal satt essen zu können in Pfefferkuchen.

Als ich jenen Tag nach Hanse eilte, fürchtete ich das ärgste von dem
Grimm des Herrn Heidermann, der mir bei ähnlicher Gelegenheit schon gedroht
hatte, mich fortzujagen, sobald ich wieder meine Pflicht vergessen würde. Diesen
Tag sollte das drohende Gewitter ohne Ausbruch über mir dahingehen. Herr
Heidermann war ausgefahren und wollte erst spät wieder zurückkommen. Sie
müssen wissen, daß mein Tyrann -- was wahr ist, muß mau sagen -- der
nobelste Tailleur war, den man sich denken kann. Er besaß eine nette Equipage
und mit einem Kollegen zusammen einen Kutscher, ans dem sein Genie einen
kleinen Hofstaat zu machen wußte, da er ihn vermittelst mehrerer Livreen bald
als Kutscher, bald als Reitknecht, bald als Jäger auftreten ließ. Dazu war
er ein Patriot und Liberaler, voller Flamme gegen den Servilismus, und zwar
einer aus der zahlreichsten Klasse der Liberalen, einer von denen, die, während
sie gegen Tyrannei deklmuiren, Tyrannen ihrer Familie sind und aller der
Unseligen, die von ihnen abhängen. In seiner äußern Erscheinung war er
Kavalier und Lebemann, wußte trotz einem Grafen durch die Nase zu reden,
wenn er den Marqueur rief, in Geberden und Sprache war der große Kunst
sein Muster; was soll ich viel Worte machen? er war der Schneider des Jahr¬
hunderts. Auch Madame Heidermann stand uicht im Gerüche des Servilismus.
Vor den Augen der Leute waren Herr Heidermann und Madame Heidermann
das zärtlichste Paar, woraus ich schon damals, besaß ich mehr Erfahrung,
hätte schließet? müssen, sie seien sich im Herzen spinnefeind.

Wie ich schon sagte, war Herr Heidermann, als ich jenesmal zu spät nach
Hause kam, ausgefahren. Dazu hatte den Studiosus, der uns gegenüber
wohnte und zufällig immer etwas zu fragen und zu bestellen hatte, wenn Herr
Heidermann nicht zu Hause war, eben wieder ein solches Geschäft herüber¬
geführt. Da nun Madame Heidermann während seiner Anwesenheit besonders
guter Laune zu sein Pflegte, kam ich anch bei ihr heute ohne Strafe, ja selbst
ohne Strafrede durch.

Ich habe, sagte der Studiosus Bellin zu Dame Heidermann, ich habe das
Gedicht, das Sie zu dem morgenden Geburtstage Ihres Gemahles wünschten,
besorgt. Schicken Sie nur zu Herrn Sterzing im Gewandgäßchen bei Herrn
Restaurateur John und lassen Sie das Gedicht holen, von dein ich mit ihm
gesprochen habe, daß es eine Dame würde abhole" lassen.

Dies geschah sogleich, und zwar wurde der Auftrag mir. Um mein
voriges Ausbleiben gut zu machen, eilte ich nun desto mehr. Als ich mit
dem Gedichte zurückkam, fand ich Herrn Bellin und Dame Heidermann über
einem ausgezogenen Sekretärfach gebückt, worin sie sehr angelegentlich etwas
zu suchen schienen. Sie fuhren wie erschrocken auseinander, als ich hereintrat.
Herr Bellin hob die Hand hoch auf, in der er eine Stange Siegellack hatte,


Grenzboten IV 1890 61
Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen

zurückrufen, das große, schöne Haus zu besitzen, dem ich gegenübersaß, und
mich einmal satt essen zu können in Pfefferkuchen.

Als ich jenen Tag nach Hanse eilte, fürchtete ich das ärgste von dem
Grimm des Herrn Heidermann, der mir bei ähnlicher Gelegenheit schon gedroht
hatte, mich fortzujagen, sobald ich wieder meine Pflicht vergessen würde. Diesen
Tag sollte das drohende Gewitter ohne Ausbruch über mir dahingehen. Herr
Heidermann war ausgefahren und wollte erst spät wieder zurückkommen. Sie
müssen wissen, daß mein Tyrann — was wahr ist, muß mau sagen — der
nobelste Tailleur war, den man sich denken kann. Er besaß eine nette Equipage
und mit einem Kollegen zusammen einen Kutscher, ans dem sein Genie einen
kleinen Hofstaat zu machen wußte, da er ihn vermittelst mehrerer Livreen bald
als Kutscher, bald als Reitknecht, bald als Jäger auftreten ließ. Dazu war
er ein Patriot und Liberaler, voller Flamme gegen den Servilismus, und zwar
einer aus der zahlreichsten Klasse der Liberalen, einer von denen, die, während
sie gegen Tyrannei deklmuiren, Tyrannen ihrer Familie sind und aller der
Unseligen, die von ihnen abhängen. In seiner äußern Erscheinung war er
Kavalier und Lebemann, wußte trotz einem Grafen durch die Nase zu reden,
wenn er den Marqueur rief, in Geberden und Sprache war der große Kunst
sein Muster; was soll ich viel Worte machen? er war der Schneider des Jahr¬
hunderts. Auch Madame Heidermann stand uicht im Gerüche des Servilismus.
Vor den Augen der Leute waren Herr Heidermann und Madame Heidermann
das zärtlichste Paar, woraus ich schon damals, besaß ich mehr Erfahrung,
hätte schließet? müssen, sie seien sich im Herzen spinnefeind.

Wie ich schon sagte, war Herr Heidermann, als ich jenesmal zu spät nach
Hause kam, ausgefahren. Dazu hatte den Studiosus, der uns gegenüber
wohnte und zufällig immer etwas zu fragen und zu bestellen hatte, wenn Herr
Heidermann nicht zu Hause war, eben wieder ein solches Geschäft herüber¬
geführt. Da nun Madame Heidermann während seiner Anwesenheit besonders
guter Laune zu sein Pflegte, kam ich anch bei ihr heute ohne Strafe, ja selbst
ohne Strafrede durch.

Ich habe, sagte der Studiosus Bellin zu Dame Heidermann, ich habe das
Gedicht, das Sie zu dem morgenden Geburtstage Ihres Gemahles wünschten,
besorgt. Schicken Sie nur zu Herrn Sterzing im Gewandgäßchen bei Herrn
Restaurateur John und lassen Sie das Gedicht holen, von dein ich mit ihm
gesprochen habe, daß es eine Dame würde abhole» lassen.

Dies geschah sogleich, und zwar wurde der Auftrag mir. Um mein
voriges Ausbleiben gut zu machen, eilte ich nun desto mehr. Als ich mit
dem Gedichte zurückkam, fand ich Herrn Bellin und Dame Heidermann über
einem ausgezogenen Sekretärfach gebückt, worin sie sehr angelegentlich etwas
zu suchen schienen. Sie fuhren wie erschrocken auseinander, als ich hereintrat.
Herr Bellin hob die Hand hoch auf, in der er eine Stange Siegellack hatte,


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[0489] Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen zurückrufen, das große, schöne Haus zu besitzen, dem ich gegenübersaß, und mich einmal satt essen zu können in Pfefferkuchen. Als ich jenen Tag nach Hanse eilte, fürchtete ich das ärgste von dem Grimm des Herrn Heidermann, der mir bei ähnlicher Gelegenheit schon gedroht hatte, mich fortzujagen, sobald ich wieder meine Pflicht vergessen würde. Diesen Tag sollte das drohende Gewitter ohne Ausbruch über mir dahingehen. Herr Heidermann war ausgefahren und wollte erst spät wieder zurückkommen. Sie müssen wissen, daß mein Tyrann — was wahr ist, muß mau sagen — der nobelste Tailleur war, den man sich denken kann. Er besaß eine nette Equipage und mit einem Kollegen zusammen einen Kutscher, ans dem sein Genie einen kleinen Hofstaat zu machen wußte, da er ihn vermittelst mehrerer Livreen bald als Kutscher, bald als Reitknecht, bald als Jäger auftreten ließ. Dazu war er ein Patriot und Liberaler, voller Flamme gegen den Servilismus, und zwar einer aus der zahlreichsten Klasse der Liberalen, einer von denen, die, während sie gegen Tyrannei deklmuiren, Tyrannen ihrer Familie sind und aller der Unseligen, die von ihnen abhängen. In seiner äußern Erscheinung war er Kavalier und Lebemann, wußte trotz einem Grafen durch die Nase zu reden, wenn er den Marqueur rief, in Geberden und Sprache war der große Kunst sein Muster; was soll ich viel Worte machen? er war der Schneider des Jahr¬ hunderts. Auch Madame Heidermann stand uicht im Gerüche des Servilismus. Vor den Augen der Leute waren Herr Heidermann und Madame Heidermann das zärtlichste Paar, woraus ich schon damals, besaß ich mehr Erfahrung, hätte schließet? müssen, sie seien sich im Herzen spinnefeind. Wie ich schon sagte, war Herr Heidermann, als ich jenesmal zu spät nach Hause kam, ausgefahren. Dazu hatte den Studiosus, der uns gegenüber wohnte und zufällig immer etwas zu fragen und zu bestellen hatte, wenn Herr Heidermann nicht zu Hause war, eben wieder ein solches Geschäft herüber¬ geführt. Da nun Madame Heidermann während seiner Anwesenheit besonders guter Laune zu sein Pflegte, kam ich anch bei ihr heute ohne Strafe, ja selbst ohne Strafrede durch. Ich habe, sagte der Studiosus Bellin zu Dame Heidermann, ich habe das Gedicht, das Sie zu dem morgenden Geburtstage Ihres Gemahles wünschten, besorgt. Schicken Sie nur zu Herrn Sterzing im Gewandgäßchen bei Herrn Restaurateur John und lassen Sie das Gedicht holen, von dein ich mit ihm gesprochen habe, daß es eine Dame würde abhole» lassen. Dies geschah sogleich, und zwar wurde der Auftrag mir. Um mein voriges Ausbleiben gut zu machen, eilte ich nun desto mehr. Als ich mit dem Gedichte zurückkam, fand ich Herrn Bellin und Dame Heidermann über einem ausgezogenen Sekretärfach gebückt, worin sie sehr angelegentlich etwas zu suchen schienen. Sie fuhren wie erschrocken auseinander, als ich hereintrat. Herr Bellin hob die Hand hoch auf, in der er eine Stange Siegellack hatte, Grenzboten IV 1890 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/489>, abgerufen am 23.07.2024.