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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die lateinischen und griechischen Persa

aber so wenig auch der Nepos wert sein mag, der Knabe erfreut sich doch
dabei, er wird geistig angeregt. Da heißt es: Aber Pater, der Themistokles
hat die Spartaner mit dem Mauerbaue Athens angeführt! oder: Themistokles
muß aber ein gescheiter Mensch gewesen sein, daß er in einem Jahre die
persische Sprache so gut hat lernen können, und so könnte ich noch viele
Stellen anführen, wo dem kleinen Burschen das Herz aufgeht und der Mund
über. Da geht das Arbeiten flott, da ist Lust und Liebe da, da arbeitet nicht
bloß der Kopf, nein das Her,', arbeitet mit, da gewinnt nicht bloß der Verstand,
sondern auch das Gemüt. Da zeigt sich die Wahrheit des Wortes: Der
Buchstabe tötet, der Geist giebt Leben! Geht er aber dann ans Pensum, so
ist eS, als ob sein Herz ans einem Paradiesgarten in eine trostlose Wüste
versetzt wurde; alles ist trocken, alles ist Regel, und wenn er sich durchgearbeitet
hat, weiß er weder, wie er gearbeitet hat, noch warum. Darum sage ich:
Fort mit den schriftlichen Arbeiten in den toten Sprachen! Unsre Kinder
haben zu viel zu thun, schafft ihnen Erleichterung und nehmt ihnen diese trost¬
lose Regelwnste.

Sie haben zu viel z" thun; denn Schule und Hausarbeit entziehen sie
fast ganz der Familie. Das ist sehr traurig, das verursacht aber auch nicht
bloß in Familien-, souderu auch in Gesellschaftskreisen die unliebsamsten Folgen.
Wann besitzt die Familie ihre Kinder? Reim Essen, "ut da sehr oft nicht einmal.
Abends, da muß der kleine Bursche arbeiten, lind ist er endlich fertig, abge¬
spannt und milde, so gehts ins Bett. Nu" Gott sei Dank, er hat eine" ge¬
sunden Schlaf. Wo aber bleibt die Einwirkung der Eltern, wo der gemütliche
Familie"verkehr? Für ihn ist keine Zeit vorhanden. Wohl aber für den
ungemütlichen. Die Mutter teilt die Sorge des Junge" um die Schularbeiten,
sie "lilntert ih" ans, treibt ihn an, steht dabei, lind kommt dann der Vater
Heini, so muß er, der in seinem Berufe Arbeit und Verdruß genug gehabt hat,
womöglich auch uoch angreifen, und das geht sehr häufig nicht so glatt und
glimpflich ab.

Der eine oder der andre wird denken, daß ich zu schwarz malte; ich habe
aber nach dem Lebe", "ach der Wirklichkeit geschildert, und selbst wenn ich
etwa zu viel Gran in Grau gebraucht hätte, wäre es noch schlimm geung,
denn wo bleibt bei derartigen Verhältnissen Jugendlust und Jugelidfreude!
Wann soll sich der Knabe durch einen Spaziergang körperlich erfrischen, wann
sich im frohen Spiele mit seinen Altersgenossen aufheitern und die Schnlsorgc",
die schwerer auf ihm lasten, als man denkt, einmal vergessen? Wein" soll er
seiner Neigung folgend zu seiner Erholung und zur Freude seiner Geschwister
etwas "bästeln"? Wann e"dlich soll der Knabe etwas lese", um seinen Geist
zu erfrischen, sein Gemüt zu erheitern und anzuregen, seine Kenntnisse zu er¬
weitern? Wer von uns Ältern erinnert sich nicht gern der genußreiche"
Stunden, die er bei in Lesen Nieritzischer oder Franz Hvffmaniischer Bücher


Die lateinischen und griechischen Persa

aber so wenig auch der Nepos wert sein mag, der Knabe erfreut sich doch
dabei, er wird geistig angeregt. Da heißt es: Aber Pater, der Themistokles
hat die Spartaner mit dem Mauerbaue Athens angeführt! oder: Themistokles
muß aber ein gescheiter Mensch gewesen sein, daß er in einem Jahre die
persische Sprache so gut hat lernen können, und so könnte ich noch viele
Stellen anführen, wo dem kleinen Burschen das Herz aufgeht und der Mund
über. Da geht das Arbeiten flott, da ist Lust und Liebe da, da arbeitet nicht
bloß der Kopf, nein das Her,', arbeitet mit, da gewinnt nicht bloß der Verstand,
sondern auch das Gemüt. Da zeigt sich die Wahrheit des Wortes: Der
Buchstabe tötet, der Geist giebt Leben! Geht er aber dann ans Pensum, so
ist eS, als ob sein Herz ans einem Paradiesgarten in eine trostlose Wüste
versetzt wurde; alles ist trocken, alles ist Regel, und wenn er sich durchgearbeitet
hat, weiß er weder, wie er gearbeitet hat, noch warum. Darum sage ich:
Fort mit den schriftlichen Arbeiten in den toten Sprachen! Unsre Kinder
haben zu viel zu thun, schafft ihnen Erleichterung und nehmt ihnen diese trost¬
lose Regelwnste.

Sie haben zu viel z» thun; denn Schule und Hausarbeit entziehen sie
fast ganz der Familie. Das ist sehr traurig, das verursacht aber auch nicht
bloß in Familien-, souderu auch in Gesellschaftskreisen die unliebsamsten Folgen.
Wann besitzt die Familie ihre Kinder? Reim Essen, »ut da sehr oft nicht einmal.
Abends, da muß der kleine Bursche arbeiten, lind ist er endlich fertig, abge¬
spannt und milde, so gehts ins Bett. Nu» Gott sei Dank, er hat eine» ge¬
sunden Schlaf. Wo aber bleibt die Einwirkung der Eltern, wo der gemütliche
Familie»verkehr? Für ihn ist keine Zeit vorhanden. Wohl aber für den
ungemütlichen. Die Mutter teilt die Sorge des Junge» um die Schularbeiten,
sie »lilntert ih» ans, treibt ihn an, steht dabei, lind kommt dann der Vater
Heini, so muß er, der in seinem Berufe Arbeit und Verdruß genug gehabt hat,
womöglich auch uoch angreifen, und das geht sehr häufig nicht so glatt und
glimpflich ab.

Der eine oder der andre wird denken, daß ich zu schwarz malte; ich habe
aber nach dem Lebe», »ach der Wirklichkeit geschildert, und selbst wenn ich
etwa zu viel Gran in Grau gebraucht hätte, wäre es noch schlimm geung,
denn wo bleibt bei derartigen Verhältnissen Jugendlust und Jugelidfreude!
Wann soll sich der Knabe durch einen Spaziergang körperlich erfrischen, wann
sich im frohen Spiele mit seinen Altersgenossen aufheitern und die Schnlsorgc»,
die schwerer auf ihm lasten, als man denkt, einmal vergessen? Wein» soll er
seiner Neigung folgend zu seiner Erholung und zur Freude seiner Geschwister
etwas „bästeln"? Wann e»dlich soll der Knabe etwas lese», um seinen Geist
zu erfrischen, sein Gemüt zu erheitern und anzuregen, seine Kenntnisse zu er¬
weitern? Wer von uns Ältern erinnert sich nicht gern der genußreiche»
Stunden, die er bei in Lesen Nieritzischer oder Franz Hvffmaniischer Bücher


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[0476] Die lateinischen und griechischen Persa aber so wenig auch der Nepos wert sein mag, der Knabe erfreut sich doch dabei, er wird geistig angeregt. Da heißt es: Aber Pater, der Themistokles hat die Spartaner mit dem Mauerbaue Athens angeführt! oder: Themistokles muß aber ein gescheiter Mensch gewesen sein, daß er in einem Jahre die persische Sprache so gut hat lernen können, und so könnte ich noch viele Stellen anführen, wo dem kleinen Burschen das Herz aufgeht und der Mund über. Da geht das Arbeiten flott, da ist Lust und Liebe da, da arbeitet nicht bloß der Kopf, nein das Her,', arbeitet mit, da gewinnt nicht bloß der Verstand, sondern auch das Gemüt. Da zeigt sich die Wahrheit des Wortes: Der Buchstabe tötet, der Geist giebt Leben! Geht er aber dann ans Pensum, so ist eS, als ob sein Herz ans einem Paradiesgarten in eine trostlose Wüste versetzt wurde; alles ist trocken, alles ist Regel, und wenn er sich durchgearbeitet hat, weiß er weder, wie er gearbeitet hat, noch warum. Darum sage ich: Fort mit den schriftlichen Arbeiten in den toten Sprachen! Unsre Kinder haben zu viel zu thun, schafft ihnen Erleichterung und nehmt ihnen diese trost¬ lose Regelwnste. Sie haben zu viel z» thun; denn Schule und Hausarbeit entziehen sie fast ganz der Familie. Das ist sehr traurig, das verursacht aber auch nicht bloß in Familien-, souderu auch in Gesellschaftskreisen die unliebsamsten Folgen. Wann besitzt die Familie ihre Kinder? Reim Essen, »ut da sehr oft nicht einmal. Abends, da muß der kleine Bursche arbeiten, lind ist er endlich fertig, abge¬ spannt und milde, so gehts ins Bett. Nu» Gott sei Dank, er hat eine» ge¬ sunden Schlaf. Wo aber bleibt die Einwirkung der Eltern, wo der gemütliche Familie»verkehr? Für ihn ist keine Zeit vorhanden. Wohl aber für den ungemütlichen. Die Mutter teilt die Sorge des Junge» um die Schularbeiten, sie »lilntert ih» ans, treibt ihn an, steht dabei, lind kommt dann der Vater Heini, so muß er, der in seinem Berufe Arbeit und Verdruß genug gehabt hat, womöglich auch uoch angreifen, und das geht sehr häufig nicht so glatt und glimpflich ab. Der eine oder der andre wird denken, daß ich zu schwarz malte; ich habe aber nach dem Lebe», »ach der Wirklichkeit geschildert, und selbst wenn ich etwa zu viel Gran in Grau gebraucht hätte, wäre es noch schlimm geung, denn wo bleibt bei derartigen Verhältnissen Jugendlust und Jugelidfreude! Wann soll sich der Knabe durch einen Spaziergang körperlich erfrischen, wann sich im frohen Spiele mit seinen Altersgenossen aufheitern und die Schnlsorgc», die schwerer auf ihm lasten, als man denkt, einmal vergessen? Wein» soll er seiner Neigung folgend zu seiner Erholung und zur Freude seiner Geschwister etwas „bästeln"? Wann e»dlich soll der Knabe etwas lese», um seinen Geist zu erfrischen, sein Gemüt zu erheitern und anzuregen, seine Kenntnisse zu er¬ weitern? Wer von uns Ältern erinnert sich nicht gern der genußreiche» Stunden, die er bei in Lesen Nieritzischer oder Franz Hvffmaniischer Bücher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/476>, abgerufen am 23.07.2024.