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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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wie Mond und Sterne sind, die von der Sonne erst ihr Licht erhalten, dann
ist es nur folgerichtig, was der Jesuit Martin Becanus 1"12 schrieb: "Die
Frage, ob der Papst, der Kaiser und Könige aus dem Kircheuverbande aus¬
scheiden kann, sie auch absetzen dürfe, wird von den katholischen Schriftstellern
mit Recht bejaht. Der Hohepriester Jojadn hat, kraft seiner geistlichen Amts¬
gewalt, die Königin Athalja zuerst als Königin abgesetzt, dann als Privat¬
person toten lassen. Dieselbe vberstrichterliche Befugnis, die der Hohepriester
im alten Bunde hatte, hat der Papst im neuen: Könige abzusetzen, wenn sie
es verdienen. . . . Indem der Papst unverbesserliche Könige absetzt, thut er das
von Amts, also auch von Rechts wegen. . . . Die Absetzung der Könige kann
ans verschiedne Weise vorgenommen werden; gewöhnlich erfolgt sie in der Art,
daß der Papst die Unterthanen der Pflicht des Gehorsams entbindet, wozu
er durch das Wort: Was immer du auf Erden binden oder lösen wirst, das
soll auch im Himmel gebunden fein u. f. w. von Christo ermächtigt ist."
Derselbe Becanus erklärt in seiner zu Paris 1634 gedruckten Lrimms, tllso-
logmL 8vIioIaMvn>s: "Wer als ordnungsmäßig bestellter Fürst tyrannisch
regiert, kann nicht von einem Privaten umgebracht werden, so lange er Fürst
bleibt. Wird die Tyrannei unerträglich, dann muß er vom Staate oder von
einer Vertretung des ganzen Volkes oder einem andern, der Autorität hat
sdie höchste Autorität hat aber nach jesuitischer Lehre der Papstj, zuerst ab¬
gesetzt oder als Feind erklärt werden, damit man ihm beikommen kann."
Natürlich ist im Sinne des Jesuiten die unerträglichste Tyrannei die, wenn
der Fürst in seinem Gebiete dein Papst nicht alles zu thun erlaubt, was dieser
für das Seelenheil für notwendig hält. Um solche Fürsten unschädlich zu
machen, wird die Lehre von der Volkssouveränität, wie sie von den Jesuiten
zuerst ausgebildet worden und hier bei Becanus ausgesprochen ist, neben die
von der absoluten Autorität des Papstes gestellt.

Mau darf nun nicht denken, daß das alte, abgethane Dinge seien. Der
Syllabus hat sie erneut, und die jesuitische Moral blüht heute noch ganz so
heuchlerisch und auch so unbarmherzig, wie von Anfang an. Denn der Jesuit
kann wohl das Gewand wechseln, aber nicht den Sinn. Wenn der Jesuit
Gury in seinem kirchlich approbirten Lehrbuche sagt: "Geduldete wie nicht-
geduldete Ketzer dürfen an heiligen Orten nicht beerdigt werden und müssen,
salls dies geschehen ist, wieder ausgegraben werden," so bestätigt er nur aufs
neue die Verdammung aller Ketzer, wie sie Innocenz IV. aussprach, daß,
wer einen Ketzer kirchlich beerdigt, der Exkommunikation unterliegt, bis er mit
eignen Handen ihn wieder ausgegraben hat. "Die Körper dieser Verdammten
soll mau wegwerfen, und jener Ort soll nie wieder zu einem Begräbnis be¬
nutzt werden." Es ist dn nur bei Gury die mildere Form pro rg-lions tsin-
porum gewählt, der Sinn ist geblieben, jener harte, erbarmungslose Sinn, wie
er dem geistlichen Fanatismus eigen ist, der nach der Tortur schmeckt und dem


wie Mond und Sterne sind, die von der Sonne erst ihr Licht erhalten, dann
ist es nur folgerichtig, was der Jesuit Martin Becanus 1«12 schrieb: „Die
Frage, ob der Papst, der Kaiser und Könige aus dem Kircheuverbande aus¬
scheiden kann, sie auch absetzen dürfe, wird von den katholischen Schriftstellern
mit Recht bejaht. Der Hohepriester Jojadn hat, kraft seiner geistlichen Amts¬
gewalt, die Königin Athalja zuerst als Königin abgesetzt, dann als Privat¬
person toten lassen. Dieselbe vberstrichterliche Befugnis, die der Hohepriester
im alten Bunde hatte, hat der Papst im neuen: Könige abzusetzen, wenn sie
es verdienen. . . . Indem der Papst unverbesserliche Könige absetzt, thut er das
von Amts, also auch von Rechts wegen. . . . Die Absetzung der Könige kann
ans verschiedne Weise vorgenommen werden; gewöhnlich erfolgt sie in der Art,
daß der Papst die Unterthanen der Pflicht des Gehorsams entbindet, wozu
er durch das Wort: Was immer du auf Erden binden oder lösen wirst, das
soll auch im Himmel gebunden fein u. f. w. von Christo ermächtigt ist."
Derselbe Becanus erklärt in seiner zu Paris 1634 gedruckten Lrimms, tllso-
logmL 8vIioIaMvn>s: „Wer als ordnungsmäßig bestellter Fürst tyrannisch
regiert, kann nicht von einem Privaten umgebracht werden, so lange er Fürst
bleibt. Wird die Tyrannei unerträglich, dann muß er vom Staate oder von
einer Vertretung des ganzen Volkes oder einem andern, der Autorität hat
sdie höchste Autorität hat aber nach jesuitischer Lehre der Papstj, zuerst ab¬
gesetzt oder als Feind erklärt werden, damit man ihm beikommen kann."
Natürlich ist im Sinne des Jesuiten die unerträglichste Tyrannei die, wenn
der Fürst in seinem Gebiete dein Papst nicht alles zu thun erlaubt, was dieser
für das Seelenheil für notwendig hält. Um solche Fürsten unschädlich zu
machen, wird die Lehre von der Volkssouveränität, wie sie von den Jesuiten
zuerst ausgebildet worden und hier bei Becanus ausgesprochen ist, neben die
von der absoluten Autorität des Papstes gestellt.

Mau darf nun nicht denken, daß das alte, abgethane Dinge seien. Der
Syllabus hat sie erneut, und die jesuitische Moral blüht heute noch ganz so
heuchlerisch und auch so unbarmherzig, wie von Anfang an. Denn der Jesuit
kann wohl das Gewand wechseln, aber nicht den Sinn. Wenn der Jesuit
Gury in seinem kirchlich approbirten Lehrbuche sagt: „Geduldete wie nicht-
geduldete Ketzer dürfen an heiligen Orten nicht beerdigt werden und müssen,
salls dies geschehen ist, wieder ausgegraben werden," so bestätigt er nur aufs
neue die Verdammung aller Ketzer, wie sie Innocenz IV. aussprach, daß,
wer einen Ketzer kirchlich beerdigt, der Exkommunikation unterliegt, bis er mit
eignen Handen ihn wieder ausgegraben hat. „Die Körper dieser Verdammten
soll mau wegwerfen, und jener Ort soll nie wieder zu einem Begräbnis be¬
nutzt werden." Es ist dn nur bei Gury die mildere Form pro rg-lions tsin-
porum gewählt, der Sinn ist geblieben, jener harte, erbarmungslose Sinn, wie
er dem geistlichen Fanatismus eigen ist, der nach der Tortur schmeckt und dem


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[0403] wie Mond und Sterne sind, die von der Sonne erst ihr Licht erhalten, dann ist es nur folgerichtig, was der Jesuit Martin Becanus 1«12 schrieb: „Die Frage, ob der Papst, der Kaiser und Könige aus dem Kircheuverbande aus¬ scheiden kann, sie auch absetzen dürfe, wird von den katholischen Schriftstellern mit Recht bejaht. Der Hohepriester Jojadn hat, kraft seiner geistlichen Amts¬ gewalt, die Königin Athalja zuerst als Königin abgesetzt, dann als Privat¬ person toten lassen. Dieselbe vberstrichterliche Befugnis, die der Hohepriester im alten Bunde hatte, hat der Papst im neuen: Könige abzusetzen, wenn sie es verdienen. . . . Indem der Papst unverbesserliche Könige absetzt, thut er das von Amts, also auch von Rechts wegen. . . . Die Absetzung der Könige kann ans verschiedne Weise vorgenommen werden; gewöhnlich erfolgt sie in der Art, daß der Papst die Unterthanen der Pflicht des Gehorsams entbindet, wozu er durch das Wort: Was immer du auf Erden binden oder lösen wirst, das soll auch im Himmel gebunden fein u. f. w. von Christo ermächtigt ist." Derselbe Becanus erklärt in seiner zu Paris 1634 gedruckten Lrimms, tllso- logmL 8vIioIaMvn>s: „Wer als ordnungsmäßig bestellter Fürst tyrannisch regiert, kann nicht von einem Privaten umgebracht werden, so lange er Fürst bleibt. Wird die Tyrannei unerträglich, dann muß er vom Staate oder von einer Vertretung des ganzen Volkes oder einem andern, der Autorität hat sdie höchste Autorität hat aber nach jesuitischer Lehre der Papstj, zuerst ab¬ gesetzt oder als Feind erklärt werden, damit man ihm beikommen kann." Natürlich ist im Sinne des Jesuiten die unerträglichste Tyrannei die, wenn der Fürst in seinem Gebiete dein Papst nicht alles zu thun erlaubt, was dieser für das Seelenheil für notwendig hält. Um solche Fürsten unschädlich zu machen, wird die Lehre von der Volkssouveränität, wie sie von den Jesuiten zuerst ausgebildet worden und hier bei Becanus ausgesprochen ist, neben die von der absoluten Autorität des Papstes gestellt. Mau darf nun nicht denken, daß das alte, abgethane Dinge seien. Der Syllabus hat sie erneut, und die jesuitische Moral blüht heute noch ganz so heuchlerisch und auch so unbarmherzig, wie von Anfang an. Denn der Jesuit kann wohl das Gewand wechseln, aber nicht den Sinn. Wenn der Jesuit Gury in seinem kirchlich approbirten Lehrbuche sagt: „Geduldete wie nicht- geduldete Ketzer dürfen an heiligen Orten nicht beerdigt werden und müssen, salls dies geschehen ist, wieder ausgegraben werden," so bestätigt er nur aufs neue die Verdammung aller Ketzer, wie sie Innocenz IV. aussprach, daß, wer einen Ketzer kirchlich beerdigt, der Exkommunikation unterliegt, bis er mit eignen Handen ihn wieder ausgegraben hat. „Die Körper dieser Verdammten soll mau wegwerfen, und jener Ort soll nie wieder zu einem Begräbnis be¬ nutzt werden." Es ist dn nur bei Gury die mildere Form pro rg-lions tsin- porum gewählt, der Sinn ist geblieben, jener harte, erbarmungslose Sinn, wie er dem geistlichen Fanatismus eigen ist, der nach der Tortur schmeckt und dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/403>, abgerufen am 23.07.2024.