Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

finden, daß die mit den höchsten Ehren gekrönten Bildnisse der Schotten
durchaus nicht die Porträtschöpfungen der deutschen Naturalisten überragen.
Graf Kalckreuth und F. von Abbe sind mit vollkommen ebenbürtigen Leistungen
erschienen. Insbesondre hat Abbe ein Damenbilduis ausgestellt, das in der
malerischen Behandlung und in der koloristischen Wirkung auf gleicher Stufe
steht wie das Porträt einer vornehmen Dame von Guthrie, auf dem nur der
Kopf einigermaßen aus dem Gewirr farbiger Flecken herausgearbeitet, selbst
aber auch nicht frei von Flecken geblieben ist, die die Schatten andeuten
sollen.

Ich habe oben gesagt, daß den Münchnern zugleich mit den Schotten noch
eine zweite neue Offenbarung durch den Franzosen Paul Albert Besnard zu
teil geworden sei, den die Jury auch einer ersten Medaille würdig erachtet
hat. Auch hier ist kein großer, tiefer oder auch nnr eigentümlicher Gedanke,
überhaupt kein Gedanke ausgezeichnet worden, sondern nur ein technisches
Raffinement, das auf eine bloße Spielerei hinausläuft, ohne das malerische
Handwerk zu bereichern. Eine nackte junge Frau, die dem Beschauer den
Rücken zukehrt, sitzt vor einem auf dem Bilde nicht sichtbaren Kamin und
wärmt sich an dem Feuer, dessen Reflexe ihren Körper umspielen, indem sie
zugleich eine Tasse zum Munde führt. Der Körper ist nicht etwa mit der
Feinheit, der geschmeidigen Koketterie durchgebildet, die die Franzosen in ihren
Studien nach dem Nackten gern zur Anschauung bringen, sondern derb und
fett hingestrichen; aber wie die Glut des Kamins sich in gelben und rötlichen
Flecken auf dem Körper spiegelt, das ist eine so staunenswerte Leistung, daß
dieses Konzert grell durcheinander schreiender Töne in München die höchste
Bewunderung hervorgerufen hat. Selbst ein Kritiker wie Paul Mantz, der
allen Sprüngen der französischen Malerei mit warmer Teilnahme folgt, hat
von dieser "Studie künstlichen Lichts" nur rühmen können, "daß sie ganz
im Sinne der neuen Beunruhigungen sei," zu deren Tummelplatz unsre Kunst
gemacht wird. Noch bizarrer in der Beleuchtung, noch maßloser in der Zu¬
sammenstellung greller Farbenflecke und völlig unklar in seiner Bedeutung und
letzten Absicht ist ein zweites Bild desselben Künstlers, das er die "Vision
einer Frau" nennt. In einem mit Blumen von den abenteuerlichsten Formen
und Farben erfüllten Garten steht oder sitzt -- die skizzenhafte Mache läßt
es nicht deutlich erkennen -- ein halb nacktes Mädchen, das aus blöden,
verschleierten Augen in die Ferne starrt. Ob der phantastische Garten den
Inhalt ihres Traumgesichts bildet, oder ob der Beschauer den Gegenstand der
Vision aus seiner eignen Phantasie ergänzen soll, ist gleichgiltig. Wenn nur
die rsoliLrotis as ig, czuriositv, wie der Franzose solche Experimente nennt, das
Suchen nach dem seltsamen und Absonderlichem geglückt ist. Und es ist ge¬
glückt. Alle Welt redet von dem Künstler, man findet ihn interessant, genial,
kühn, in seiner Genialität bezaubernd. Ein paar junge Münchner Künstler,


finden, daß die mit den höchsten Ehren gekrönten Bildnisse der Schotten
durchaus nicht die Porträtschöpfungen der deutschen Naturalisten überragen.
Graf Kalckreuth und F. von Abbe sind mit vollkommen ebenbürtigen Leistungen
erschienen. Insbesondre hat Abbe ein Damenbilduis ausgestellt, das in der
malerischen Behandlung und in der koloristischen Wirkung auf gleicher Stufe
steht wie das Porträt einer vornehmen Dame von Guthrie, auf dem nur der
Kopf einigermaßen aus dem Gewirr farbiger Flecken herausgearbeitet, selbst
aber auch nicht frei von Flecken geblieben ist, die die Schatten andeuten
sollen.

Ich habe oben gesagt, daß den Münchnern zugleich mit den Schotten noch
eine zweite neue Offenbarung durch den Franzosen Paul Albert Besnard zu
teil geworden sei, den die Jury auch einer ersten Medaille würdig erachtet
hat. Auch hier ist kein großer, tiefer oder auch nnr eigentümlicher Gedanke,
überhaupt kein Gedanke ausgezeichnet worden, sondern nur ein technisches
Raffinement, das auf eine bloße Spielerei hinausläuft, ohne das malerische
Handwerk zu bereichern. Eine nackte junge Frau, die dem Beschauer den
Rücken zukehrt, sitzt vor einem auf dem Bilde nicht sichtbaren Kamin und
wärmt sich an dem Feuer, dessen Reflexe ihren Körper umspielen, indem sie
zugleich eine Tasse zum Munde führt. Der Körper ist nicht etwa mit der
Feinheit, der geschmeidigen Koketterie durchgebildet, die die Franzosen in ihren
Studien nach dem Nackten gern zur Anschauung bringen, sondern derb und
fett hingestrichen; aber wie die Glut des Kamins sich in gelben und rötlichen
Flecken auf dem Körper spiegelt, das ist eine so staunenswerte Leistung, daß
dieses Konzert grell durcheinander schreiender Töne in München die höchste
Bewunderung hervorgerufen hat. Selbst ein Kritiker wie Paul Mantz, der
allen Sprüngen der französischen Malerei mit warmer Teilnahme folgt, hat
von dieser „Studie künstlichen Lichts" nur rühmen können, „daß sie ganz
im Sinne der neuen Beunruhigungen sei," zu deren Tummelplatz unsre Kunst
gemacht wird. Noch bizarrer in der Beleuchtung, noch maßloser in der Zu¬
sammenstellung greller Farbenflecke und völlig unklar in seiner Bedeutung und
letzten Absicht ist ein zweites Bild desselben Künstlers, das er die „Vision
einer Frau" nennt. In einem mit Blumen von den abenteuerlichsten Formen
und Farben erfüllten Garten steht oder sitzt — die skizzenhafte Mache läßt
es nicht deutlich erkennen — ein halb nacktes Mädchen, das aus blöden,
verschleierten Augen in die Ferne starrt. Ob der phantastische Garten den
Inhalt ihres Traumgesichts bildet, oder ob der Beschauer den Gegenstand der
Vision aus seiner eignen Phantasie ergänzen soll, ist gleichgiltig. Wenn nur
die rsoliLrotis as ig, czuriositv, wie der Franzose solche Experimente nennt, das
Suchen nach dem seltsamen und Absonderlichem geglückt ist. Und es ist ge¬
glückt. Alle Welt redet von dem Künstler, man findet ihn interessant, genial,
kühn, in seiner Genialität bezaubernd. Ein paar junge Münchner Künstler,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208618"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_79" prev="#ID_78"> finden, daß die mit den höchsten Ehren gekrönten Bildnisse der Schotten<lb/>
durchaus nicht die Porträtschöpfungen der deutschen Naturalisten überragen.<lb/>
Graf Kalckreuth und F. von Abbe sind mit vollkommen ebenbürtigen Leistungen<lb/>
erschienen. Insbesondre hat Abbe ein Damenbilduis ausgestellt, das in der<lb/>
malerischen Behandlung und in der koloristischen Wirkung auf gleicher Stufe<lb/>
steht wie das Porträt einer vornehmen Dame von Guthrie, auf dem nur der<lb/>
Kopf einigermaßen aus dem Gewirr farbiger Flecken herausgearbeitet, selbst<lb/>
aber auch nicht frei von Flecken geblieben ist, die die Schatten andeuten<lb/>
sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Ich habe oben gesagt, daß den Münchnern zugleich mit den Schotten noch<lb/>
eine zweite neue Offenbarung durch den Franzosen Paul Albert Besnard zu<lb/>
teil geworden sei, den die Jury auch einer ersten Medaille würdig erachtet<lb/>
hat. Auch hier ist kein großer, tiefer oder auch nnr eigentümlicher Gedanke,<lb/>
überhaupt kein Gedanke ausgezeichnet worden, sondern nur ein technisches<lb/>
Raffinement, das auf eine bloße Spielerei hinausläuft, ohne das malerische<lb/>
Handwerk zu bereichern. Eine nackte junge Frau, die dem Beschauer den<lb/>
Rücken zukehrt, sitzt vor einem auf dem Bilde nicht sichtbaren Kamin und<lb/>
wärmt sich an dem Feuer, dessen Reflexe ihren Körper umspielen, indem sie<lb/>
zugleich eine Tasse zum Munde führt. Der Körper ist nicht etwa mit der<lb/>
Feinheit, der geschmeidigen Koketterie durchgebildet, die die Franzosen in ihren<lb/>
Studien nach dem Nackten gern zur Anschauung bringen, sondern derb und<lb/>
fett hingestrichen; aber wie die Glut des Kamins sich in gelben und rötlichen<lb/>
Flecken auf dem Körper spiegelt, das ist eine so staunenswerte Leistung, daß<lb/>
dieses Konzert grell durcheinander schreiender Töne in München die höchste<lb/>
Bewunderung hervorgerufen hat. Selbst ein Kritiker wie Paul Mantz, der<lb/>
allen Sprüngen der französischen Malerei mit warmer Teilnahme folgt, hat<lb/>
von dieser &#x201E;Studie künstlichen Lichts" nur rühmen können, &#x201E;daß sie ganz<lb/>
im Sinne der neuen Beunruhigungen sei," zu deren Tummelplatz unsre Kunst<lb/>
gemacht wird. Noch bizarrer in der Beleuchtung, noch maßloser in der Zu¬<lb/>
sammenstellung greller Farbenflecke und völlig unklar in seiner Bedeutung und<lb/>
letzten Absicht ist ein zweites Bild desselben Künstlers, das er die &#x201E;Vision<lb/>
einer Frau" nennt. In einem mit Blumen von den abenteuerlichsten Formen<lb/>
und Farben erfüllten Garten steht oder sitzt &#x2014; die skizzenhafte Mache läßt<lb/>
es nicht deutlich erkennen &#x2014; ein halb nacktes Mädchen, das aus blöden,<lb/>
verschleierten Augen in die Ferne starrt. Ob der phantastische Garten den<lb/>
Inhalt ihres Traumgesichts bildet, oder ob der Beschauer den Gegenstand der<lb/>
Vision aus seiner eignen Phantasie ergänzen soll, ist gleichgiltig. Wenn nur<lb/>
die rsoliLrotis as ig, czuriositv, wie der Franzose solche Experimente nennt, das<lb/>
Suchen nach dem seltsamen und Absonderlichem geglückt ist. Und es ist ge¬<lb/>
glückt. Alle Welt redet von dem Künstler, man findet ihn interessant, genial,<lb/>
kühn, in seiner Genialität bezaubernd.  Ein paar junge Münchner Künstler,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] finden, daß die mit den höchsten Ehren gekrönten Bildnisse der Schotten durchaus nicht die Porträtschöpfungen der deutschen Naturalisten überragen. Graf Kalckreuth und F. von Abbe sind mit vollkommen ebenbürtigen Leistungen erschienen. Insbesondre hat Abbe ein Damenbilduis ausgestellt, das in der malerischen Behandlung und in der koloristischen Wirkung auf gleicher Stufe steht wie das Porträt einer vornehmen Dame von Guthrie, auf dem nur der Kopf einigermaßen aus dem Gewirr farbiger Flecken herausgearbeitet, selbst aber auch nicht frei von Flecken geblieben ist, die die Schatten andeuten sollen. Ich habe oben gesagt, daß den Münchnern zugleich mit den Schotten noch eine zweite neue Offenbarung durch den Franzosen Paul Albert Besnard zu teil geworden sei, den die Jury auch einer ersten Medaille würdig erachtet hat. Auch hier ist kein großer, tiefer oder auch nnr eigentümlicher Gedanke, überhaupt kein Gedanke ausgezeichnet worden, sondern nur ein technisches Raffinement, das auf eine bloße Spielerei hinausläuft, ohne das malerische Handwerk zu bereichern. Eine nackte junge Frau, die dem Beschauer den Rücken zukehrt, sitzt vor einem auf dem Bilde nicht sichtbaren Kamin und wärmt sich an dem Feuer, dessen Reflexe ihren Körper umspielen, indem sie zugleich eine Tasse zum Munde führt. Der Körper ist nicht etwa mit der Feinheit, der geschmeidigen Koketterie durchgebildet, die die Franzosen in ihren Studien nach dem Nackten gern zur Anschauung bringen, sondern derb und fett hingestrichen; aber wie die Glut des Kamins sich in gelben und rötlichen Flecken auf dem Körper spiegelt, das ist eine so staunenswerte Leistung, daß dieses Konzert grell durcheinander schreiender Töne in München die höchste Bewunderung hervorgerufen hat. Selbst ein Kritiker wie Paul Mantz, der allen Sprüngen der französischen Malerei mit warmer Teilnahme folgt, hat von dieser „Studie künstlichen Lichts" nur rühmen können, „daß sie ganz im Sinne der neuen Beunruhigungen sei," zu deren Tummelplatz unsre Kunst gemacht wird. Noch bizarrer in der Beleuchtung, noch maßloser in der Zu¬ sammenstellung greller Farbenflecke und völlig unklar in seiner Bedeutung und letzten Absicht ist ein zweites Bild desselben Künstlers, das er die „Vision einer Frau" nennt. In einem mit Blumen von den abenteuerlichsten Formen und Farben erfüllten Garten steht oder sitzt — die skizzenhafte Mache läßt es nicht deutlich erkennen — ein halb nacktes Mädchen, das aus blöden, verschleierten Augen in die Ferne starrt. Ob der phantastische Garten den Inhalt ihres Traumgesichts bildet, oder ob der Beschauer den Gegenstand der Vision aus seiner eignen Phantasie ergänzen soll, ist gleichgiltig. Wenn nur die rsoliLrotis as ig, czuriositv, wie der Franzose solche Experimente nennt, das Suchen nach dem seltsamen und Absonderlichem geglückt ist. Und es ist ge¬ glückt. Alle Welt redet von dem Künstler, man findet ihn interessant, genial, kühn, in seiner Genialität bezaubernd. Ein paar junge Münchner Künstler,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/39
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/39>, abgerufen am 23.07.2024.