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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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statten Deutschlands an Malereien in Wasserfarben, Pastell- und sonstigen
Zeichenstiften als unverkauft und unverkäuflich übrig geblieben ist. Was das
Ausland unmittelbar oder durch Mittelspersonen, meist durch Händler, geschickt
hatte, war unter dem gleichen Gesichtspunkte zu beurteile,,. Wie alles Fremd¬
ländische, sind auch die wenigen Aquarelle und Pastellzeichnungen der Fran¬
zosen, Holländer, Belgier, Russen, Skandinavier und Italiener mit ausbündiger
Bewunderung gefeiert worden; aber das Bewunderungswürdige war am Ende
nur die geistreiche Technik, die sich zu einem stetig wachsenden Raffinement
ausbildet.

Das wäre immerhin ein Gewinn für uns Deutsche, wenn wir^eines^solchen
Vorteils bedürftig wären. Aber die Zeiten, wo die Deutschen an der großen
Tafel, um der die feinsten Gerichte aus der Hexenküche der Technik dargereicht
und verspeist werden, zu Anderst saßen, sind vorüber. Die alte Aneignungs¬
kraft der Deutschen, die sich im, Auslande so passiv äußert, daß deutsche Aus¬
wanderer in der Fremde in einem anders gearteten Volksganzen schneller
untergehen und sich ihrer Nationalität entäußern als die Angehörigen aller
andern europäischen Volksstämme, hat es auch zuwege gebracht, daß die
deutsche" Künstler der Pastelltechnik, die fast ein Jahrhundert lang außer
Übung geraten war, ebenso schnell Herr geworden sind wie die Fran¬
zosen, die sie bereits im vorigen Jahrhundert zur höchsten Blüte gebracht
hatten. Es war ein künstlerisches Darstellungsmittel, das aus dem geistigen
Leben einer Kulturperiode erwachsen war, deren ganzes Trachten auf schnellen,
üppigen und erschöpfenden Lebensgenuß gerichtet, die sich bewußt war, daß
das, was sie schuf, ebenso vergänglich war wie das, was sie genoß. Die Zeit
des Puters, der Schminke, der Perücke, des Neifrocks und des auf und ab
zitternden Spitzenjnbots konnte nicht anders festgehalten werden als dnrch den
Pastellstift, dessen erdige, kreidige Natur keine Tiefe, keine von innen hervor¬
bringende Empfindung zuläßt, sondern nur die Oberfläche, die Maske, wenn
man will, die Fratze wiedergiebt.

Es wäre eine dankbare Aufgabe für den Sittenschilderer, der aristophanischen
Neigungen huldigt, die Gesellschaft, die damals auf dein Vulkan tanzte und
sich in richtiger Erkenntnis ihres sittlichen Wertes nnr mit Pastellstiften
Portrütiren ließ, mit der Gesellschaft unsrer Tage zu vergleichen, die nach viel¬
fältiger Versicherung ebenfalls für den Untergang dnrch Feuer und Schwert,
durch Pech und Schwefel reif ist, wofür -- nebst andern zahlreichen Anzeichen --
auch die Vorliebe für die Pastellmalerei zu sprechen scheint. Dieser Vergleich
liegt so nahe, daß man doppelt erstaunt sein wird, wenn man hört, daß er
nicht die geringste sachliche Begründung hat, trotz des freilich auffälligen Zu¬
sammentreffens. Denn jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, ist die Pastelltechnik
bereits so gründlich nach allen Richtungen ausgebeutet worden, .daß sie für
sich allein uur noch einen müßigen Reiz ausübt. Nicht ideelle Strömungen


statten Deutschlands an Malereien in Wasserfarben, Pastell- und sonstigen
Zeichenstiften als unverkauft und unverkäuflich übrig geblieben ist. Was das
Ausland unmittelbar oder durch Mittelspersonen, meist durch Händler, geschickt
hatte, war unter dem gleichen Gesichtspunkte zu beurteile,,. Wie alles Fremd¬
ländische, sind auch die wenigen Aquarelle und Pastellzeichnungen der Fran¬
zosen, Holländer, Belgier, Russen, Skandinavier und Italiener mit ausbündiger
Bewunderung gefeiert worden; aber das Bewunderungswürdige war am Ende
nur die geistreiche Technik, die sich zu einem stetig wachsenden Raffinement
ausbildet.

Das wäre immerhin ein Gewinn für uns Deutsche, wenn wir^eines^solchen
Vorteils bedürftig wären. Aber die Zeiten, wo die Deutschen an der großen
Tafel, um der die feinsten Gerichte aus der Hexenküche der Technik dargereicht
und verspeist werden, zu Anderst saßen, sind vorüber. Die alte Aneignungs¬
kraft der Deutschen, die sich im, Auslande so passiv äußert, daß deutsche Aus¬
wanderer in der Fremde in einem anders gearteten Volksganzen schneller
untergehen und sich ihrer Nationalität entäußern als die Angehörigen aller
andern europäischen Volksstämme, hat es auch zuwege gebracht, daß die
deutsche» Künstler der Pastelltechnik, die fast ein Jahrhundert lang außer
Übung geraten war, ebenso schnell Herr geworden sind wie die Fran¬
zosen, die sie bereits im vorigen Jahrhundert zur höchsten Blüte gebracht
hatten. Es war ein künstlerisches Darstellungsmittel, das aus dem geistigen
Leben einer Kulturperiode erwachsen war, deren ganzes Trachten auf schnellen,
üppigen und erschöpfenden Lebensgenuß gerichtet, die sich bewußt war, daß
das, was sie schuf, ebenso vergänglich war wie das, was sie genoß. Die Zeit
des Puters, der Schminke, der Perücke, des Neifrocks und des auf und ab
zitternden Spitzenjnbots konnte nicht anders festgehalten werden als dnrch den
Pastellstift, dessen erdige, kreidige Natur keine Tiefe, keine von innen hervor¬
bringende Empfindung zuläßt, sondern nur die Oberfläche, die Maske, wenn
man will, die Fratze wiedergiebt.

Es wäre eine dankbare Aufgabe für den Sittenschilderer, der aristophanischen
Neigungen huldigt, die Gesellschaft, die damals auf dein Vulkan tanzte und
sich in richtiger Erkenntnis ihres sittlichen Wertes nnr mit Pastellstiften
Portrütiren ließ, mit der Gesellschaft unsrer Tage zu vergleichen, die nach viel¬
fältiger Versicherung ebenfalls für den Untergang dnrch Feuer und Schwert,
durch Pech und Schwefel reif ist, wofür — nebst andern zahlreichen Anzeichen —
auch die Vorliebe für die Pastellmalerei zu sprechen scheint. Dieser Vergleich
liegt so nahe, daß man doppelt erstaunt sein wird, wenn man hört, daß er
nicht die geringste sachliche Begründung hat, trotz des freilich auffälligen Zu¬
sammentreffens. Denn jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, ist die Pastelltechnik
bereits so gründlich nach allen Richtungen ausgebeutet worden, .daß sie für
sich allein uur noch einen müßigen Reiz ausübt. Nicht ideelle Strömungen


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[0373] statten Deutschlands an Malereien in Wasserfarben, Pastell- und sonstigen Zeichenstiften als unverkauft und unverkäuflich übrig geblieben ist. Was das Ausland unmittelbar oder durch Mittelspersonen, meist durch Händler, geschickt hatte, war unter dem gleichen Gesichtspunkte zu beurteile,,. Wie alles Fremd¬ ländische, sind auch die wenigen Aquarelle und Pastellzeichnungen der Fran¬ zosen, Holländer, Belgier, Russen, Skandinavier und Italiener mit ausbündiger Bewunderung gefeiert worden; aber das Bewunderungswürdige war am Ende nur die geistreiche Technik, die sich zu einem stetig wachsenden Raffinement ausbildet. Das wäre immerhin ein Gewinn für uns Deutsche, wenn wir^eines^solchen Vorteils bedürftig wären. Aber die Zeiten, wo die Deutschen an der großen Tafel, um der die feinsten Gerichte aus der Hexenküche der Technik dargereicht und verspeist werden, zu Anderst saßen, sind vorüber. Die alte Aneignungs¬ kraft der Deutschen, die sich im, Auslande so passiv äußert, daß deutsche Aus¬ wanderer in der Fremde in einem anders gearteten Volksganzen schneller untergehen und sich ihrer Nationalität entäußern als die Angehörigen aller andern europäischen Volksstämme, hat es auch zuwege gebracht, daß die deutsche» Künstler der Pastelltechnik, die fast ein Jahrhundert lang außer Übung geraten war, ebenso schnell Herr geworden sind wie die Fran¬ zosen, die sie bereits im vorigen Jahrhundert zur höchsten Blüte gebracht hatten. Es war ein künstlerisches Darstellungsmittel, das aus dem geistigen Leben einer Kulturperiode erwachsen war, deren ganzes Trachten auf schnellen, üppigen und erschöpfenden Lebensgenuß gerichtet, die sich bewußt war, daß das, was sie schuf, ebenso vergänglich war wie das, was sie genoß. Die Zeit des Puters, der Schminke, der Perücke, des Neifrocks und des auf und ab zitternden Spitzenjnbots konnte nicht anders festgehalten werden als dnrch den Pastellstift, dessen erdige, kreidige Natur keine Tiefe, keine von innen hervor¬ bringende Empfindung zuläßt, sondern nur die Oberfläche, die Maske, wenn man will, die Fratze wiedergiebt. Es wäre eine dankbare Aufgabe für den Sittenschilderer, der aristophanischen Neigungen huldigt, die Gesellschaft, die damals auf dein Vulkan tanzte und sich in richtiger Erkenntnis ihres sittlichen Wertes nnr mit Pastellstiften Portrütiren ließ, mit der Gesellschaft unsrer Tage zu vergleichen, die nach viel¬ fältiger Versicherung ebenfalls für den Untergang dnrch Feuer und Schwert, durch Pech und Schwefel reif ist, wofür — nebst andern zahlreichen Anzeichen — auch die Vorliebe für die Pastellmalerei zu sprechen scheint. Dieser Vergleich liegt so nahe, daß man doppelt erstaunt sein wird, wenn man hört, daß er nicht die geringste sachliche Begründung hat, trotz des freilich auffälligen Zu¬ sammentreffens. Denn jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, ist die Pastelltechnik bereits so gründlich nach allen Richtungen ausgebeutet worden, .daß sie für sich allein uur noch einen müßigen Reiz ausübt. Nicht ideelle Strömungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/373>, abgerufen am 23.07.2024.