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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Mädchener-ziehung in Frankreich

worden waren, sodaß sich ihre Zahl in wenigen Jahren von 50 ans 700 (1887)
mit etwa 30000 Schülerinnen und Schillern hob. Nach dem Berichte des
Unterrichtsministers Berthelot in der Kammer der Abgeordneten im Jahre 1887
-- Ferrh war mittlerweile an die Spitze eines andern Ministeriums getreten --
betrugen die jährlichen Staatsbeiträge zu Freistellen in den Pensionaten dieser
Schulen, sowie die sonstigen Unterstützungen 900000 Franks. Ebenso errichtete
man in einem Zeiträume von zehn Jahren nach dem Berichte des Unterrichts¬
ministers über sechzig Frauenseminnre und steigerte die Zahl der Seminaristinnen
von 700 auf 35>00. Dn nach dein Gesetz nur an staatlichen und staatlich aner¬
kannten Anstalten vorgebildete Lehrerinnen an öffentlichen Mädchen-, Klein¬
kinder- und gemischten Schulen angestellt werden dürfen, so geht die Zahl der
Schnlschwestern in ihnen stetig zurück. In den letzten zehn Jahren sind von
20000 etwa 10000 ausgeschieden. Für Seminarlehrerinnen (xrvt'ö88sur8
lomllilZ8) giebt es eine besondre Bildungsanstalt mit nationaler, d. h. anti¬
klerikaler Erziehung in Fonteuah-aux-Rohes, aus der seit ihrem Bestehen etwa
200 Lehrkräfte hervorgegangen sind. Kurz, die dritte Republik drängt alle
Elemente, die ihr Dasein erschüttern könnten, aus dem Bereiche der Volksschule
hinaus und sucht der Fraueuerziehung gleich der des männlichen Geschlechts,
wie sich der Franzose nnszudrücken Pflegt, eine Entwicklung im modernen und
republikanischen Sinne und Geiste (an äLVslopvLiriöirt inrnrLv8"z <Mu8 Jo ssns
<is 1'v8prit nioclornu ut rvpublioains) zu geben.

Da der Unterricht in der höhern Mädchenschule wie auch im Lehrerinnen¬
seminar, als dem Kreise des Primärunterrichts augehörig, unentgeltlich ist,
so werden sehr viele Töchter der bemittelten Stände in Privatpensioneu
(pcmÄon") oder Institutionell (institiiticms), die meist unter dein Einflusse des
Klerus stehen, untergebracht. Die Pensionen stehen etwa auf der Stufe der
öffentlichen höhern Primärschulen, die Institutionen auf der unsrer deutschen
Mädchenschulen für höhere Stände. Die dritte Republik hat uun, um auch dieser
Konkurrenz zu begegnen, eine höhere, dem Kreise des Sekundärunterrichts
ungehörige nachträglich auch mit Pensionat verbundene Schule (U/eoe ngUoniü
ut. cvilügö ocmruunml <l"z>8 jounv8 ullo8) geschaffen, für die ein Schulgeld zu
erhebe" ist, nud damit zugleich die Pläne Durnhs wieder aufgenommen und,
wenn auch in andrer Weise, zur Ausführung gebracht, und damit kommen
wir auf die schon oben genannte Schule zurück. Ihre Einrichtung wird durch
das Gesetz vom 21. Dezember 1880 geregelt. Darnach sollen Sekundärschulen
durch den Staat unter Mitwirkung der Departements und Gemeinden ge¬
gründet und unterhalten werden. Obgleich sie ursprünglich Externate sein sollten,
hat man doch, um der Vorliebe der Franzosen für Internate oder Pensionate
entgegenzukommen, solche fakultativ damit verbunden. Die Schulen sind mit
Freistellen ausgestattet, von deuen eine bestimmte Zahl gleich bei deren Gründung
zwischen deu Gemeinden und dem Minister zu vereinbaren ist. Die Freistellen


Mädchener-ziehung in Frankreich

worden waren, sodaß sich ihre Zahl in wenigen Jahren von 50 ans 700 (1887)
mit etwa 30000 Schülerinnen und Schillern hob. Nach dem Berichte des
Unterrichtsministers Berthelot in der Kammer der Abgeordneten im Jahre 1887
— Ferrh war mittlerweile an die Spitze eines andern Ministeriums getreten —
betrugen die jährlichen Staatsbeiträge zu Freistellen in den Pensionaten dieser
Schulen, sowie die sonstigen Unterstützungen 900000 Franks. Ebenso errichtete
man in einem Zeiträume von zehn Jahren nach dem Berichte des Unterrichts¬
ministers über sechzig Frauenseminnre und steigerte die Zahl der Seminaristinnen
von 700 auf 35>00. Dn nach dein Gesetz nur an staatlichen und staatlich aner¬
kannten Anstalten vorgebildete Lehrerinnen an öffentlichen Mädchen-, Klein¬
kinder- und gemischten Schulen angestellt werden dürfen, so geht die Zahl der
Schnlschwestern in ihnen stetig zurück. In den letzten zehn Jahren sind von
20000 etwa 10000 ausgeschieden. Für Seminarlehrerinnen (xrvt'ö88sur8
lomllilZ8) giebt es eine besondre Bildungsanstalt mit nationaler, d. h. anti¬
klerikaler Erziehung in Fonteuah-aux-Rohes, aus der seit ihrem Bestehen etwa
200 Lehrkräfte hervorgegangen sind. Kurz, die dritte Republik drängt alle
Elemente, die ihr Dasein erschüttern könnten, aus dem Bereiche der Volksschule
hinaus und sucht der Fraueuerziehung gleich der des männlichen Geschlechts,
wie sich der Franzose nnszudrücken Pflegt, eine Entwicklung im modernen und
republikanischen Sinne und Geiste (an äLVslopvLiriöirt inrnrLv8«z <Mu8 Jo ssns
<is 1'v8prit nioclornu ut rvpublioains) zu geben.

Da der Unterricht in der höhern Mädchenschule wie auch im Lehrerinnen¬
seminar, als dem Kreise des Primärunterrichts augehörig, unentgeltlich ist,
so werden sehr viele Töchter der bemittelten Stände in Privatpensioneu
(pcmÄon») oder Institutionell (institiiticms), die meist unter dein Einflusse des
Klerus stehen, untergebracht. Die Pensionen stehen etwa auf der Stufe der
öffentlichen höhern Primärschulen, die Institutionen auf der unsrer deutschen
Mädchenschulen für höhere Stände. Die dritte Republik hat uun, um auch dieser
Konkurrenz zu begegnen, eine höhere, dem Kreise des Sekundärunterrichts
ungehörige nachträglich auch mit Pensionat verbundene Schule (U/eoe ngUoniü
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erhebe» ist, nud damit zugleich die Pläne Durnhs wieder aufgenommen und,
wenn auch in andrer Weise, zur Ausführung gebracht, und damit kommen
wir auf die schon oben genannte Schule zurück. Ihre Einrichtung wird durch
das Gesetz vom 21. Dezember 1880 geregelt. Darnach sollen Sekundärschulen
durch den Staat unter Mitwirkung der Departements und Gemeinden ge¬
gründet und unterhalten werden. Obgleich sie ursprünglich Externate sein sollten,
hat man doch, um der Vorliebe der Franzosen für Internate oder Pensionate
entgegenzukommen, solche fakultativ damit verbunden. Die Schulen sind mit
Freistellen ausgestattet, von deuen eine bestimmte Zahl gleich bei deren Gründung
zwischen deu Gemeinden und dem Minister zu vereinbaren ist. Die Freistellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/330>, abgerufen am 25.08.2024.