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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden

kracht die Kunstwerke sein müssen, die in einem solchen Raume zur Geltung
gelangen wollen.

Die Kunstproduktion des Ju- und Auslandes ist so in die Breite ge¬
gangen, daß dem Bedürfnis nach solchen für die große Empfangshalle ge¬
eigneten Kunstwerken in ausreichendem Maße genügt worden ist. Aber schou
in diesem Raume gewinnt man den Eindruck, der dann in deu übrigen Sälen
und Kabinetten noch verstärkt wird, daß der Hauptbedarf an Kunstwerken, die
durch ihren Umfang oder durch eigentümliche Auffassung zu wirken, gewisser¬
maßen die Kosten der Repräsentation zu tragen haben, von dem Auslande
gedeckt worden ist. Wohl verdient die Münchner Kunstgenossenschaft den Dank
aller Kunstfreunde dafür, daß sie sichs alljährlich angelegen sein läßt, Send¬
boten auszuschicken, die alles Neue und Besondre aufspüren, das irgendwo in
Europa auf dein Kunstgebiete ins Leben tritt. Aber diese Bemühungen haben
auch ihre Schattenseiten. Man fühlt sich verpflichtet, für die Beteiligung der
Ausländer durch Verteilung von Medaillen und durch Ankäufe des Staates
zu danken, man prümiirt das Neue, nicht weil es gut, fondern nur weil es
neu ist und neue Richtungen einschlägt, von denen man nicht wissen kann,
wohin sie führen, und die Folge ist, daß in den Köpfen junger Künstler, die
solche Preisverteilungen als Orakelsprüche ansehen, eine für die gesunde Weiter¬
entwicklung unsrer nationalen Kunst unheilvolle Verwirrung angerichtet wird.

Auch in diesem Jahre haben in der Malerei erste Medaillen drei Aus¬
länder und ein Deutscher, zweite Medaillen achtzehn fremde und zwölf ein¬
heimische Künstler erhalten. In der Plastik und in der Architektur hat über¬
haupt kein Deutscher eine erste Medaille davongetragen, sondern ein Belgier
und ein Engländer. Ich will nicht so weit gehen, aus dieser Preisver¬
teilung einen Urteilsspruch der Jury über die gegenwärtige deutsche Kunst
herauszulesen, ich sehe darin nur einen zugleich auf die Zukunft berechneten
Beweis der Höflichkeit und Erkenntlichkeit gegen das Ausland. Veranlassung
zu ernsteren Bedenken giebt aber doch der Umstand, daß die drei mit ersten
Medaillen ausgezeichneten fremden Maler und die Mehrzahl der mit zweiten
Medaillen bedachten Ausländer entweder Vertreter jener Richtung sind, die
man der Kürze halber am besten die naturalistische nennt, oder durch eine Mal¬
weise und Naturanschauung zu wirken suchen, die uur den Reiz der Neuheit
und der Bizarrerie für sich, im übrigen aber mit der Kunst nichts zu thun
haben. Man wird nicht umhin können, in diesem Vorgehen eine Art von
Glaubensbekenntnis zu erblicken, das nicht bloß das persönliche einer Anzahl
von Jurymitgliedern ist, sondern von der größern Mehrzahl der Münchner
Künstlerschaft geteilt wird. Die ganze Geschichte des Münchner Ausstelluugs-
wesens während der letzten Jahre weist darauf hin. Nachdem die französischen
Naturalisten und Freilichtmaler und ihre auswärtigen Nachahmer zuerst in
größerer Zahl auf der internationalen Kunstausstellung von 1883 aufgetreten


Die Kunstausstellungen in München und Dresden

kracht die Kunstwerke sein müssen, die in einem solchen Raume zur Geltung
gelangen wollen.

Die Kunstproduktion des Ju- und Auslandes ist so in die Breite ge¬
gangen, daß dem Bedürfnis nach solchen für die große Empfangshalle ge¬
eigneten Kunstwerken in ausreichendem Maße genügt worden ist. Aber schou
in diesem Raume gewinnt man den Eindruck, der dann in deu übrigen Sälen
und Kabinetten noch verstärkt wird, daß der Hauptbedarf an Kunstwerken, die
durch ihren Umfang oder durch eigentümliche Auffassung zu wirken, gewisser¬
maßen die Kosten der Repräsentation zu tragen haben, von dem Auslande
gedeckt worden ist. Wohl verdient die Münchner Kunstgenossenschaft den Dank
aller Kunstfreunde dafür, daß sie sichs alljährlich angelegen sein läßt, Send¬
boten auszuschicken, die alles Neue und Besondre aufspüren, das irgendwo in
Europa auf dein Kunstgebiete ins Leben tritt. Aber diese Bemühungen haben
auch ihre Schattenseiten. Man fühlt sich verpflichtet, für die Beteiligung der
Ausländer durch Verteilung von Medaillen und durch Ankäufe des Staates
zu danken, man prümiirt das Neue, nicht weil es gut, fondern nur weil es
neu ist und neue Richtungen einschlägt, von denen man nicht wissen kann,
wohin sie führen, und die Folge ist, daß in den Köpfen junger Künstler, die
solche Preisverteilungen als Orakelsprüche ansehen, eine für die gesunde Weiter¬
entwicklung unsrer nationalen Kunst unheilvolle Verwirrung angerichtet wird.

Auch in diesem Jahre haben in der Malerei erste Medaillen drei Aus¬
länder und ein Deutscher, zweite Medaillen achtzehn fremde und zwölf ein¬
heimische Künstler erhalten. In der Plastik und in der Architektur hat über¬
haupt kein Deutscher eine erste Medaille davongetragen, sondern ein Belgier
und ein Engländer. Ich will nicht so weit gehen, aus dieser Preisver¬
teilung einen Urteilsspruch der Jury über die gegenwärtige deutsche Kunst
herauszulesen, ich sehe darin nur einen zugleich auf die Zukunft berechneten
Beweis der Höflichkeit und Erkenntlichkeit gegen das Ausland. Veranlassung
zu ernsteren Bedenken giebt aber doch der Umstand, daß die drei mit ersten
Medaillen ausgezeichneten fremden Maler und die Mehrzahl der mit zweiten
Medaillen bedachten Ausländer entweder Vertreter jener Richtung sind, die
man der Kürze halber am besten die naturalistische nennt, oder durch eine Mal¬
weise und Naturanschauung zu wirken suchen, die uur den Reiz der Neuheit
und der Bizarrerie für sich, im übrigen aber mit der Kunst nichts zu thun
haben. Man wird nicht umhin können, in diesem Vorgehen eine Art von
Glaubensbekenntnis zu erblicken, das nicht bloß das persönliche einer Anzahl
von Jurymitgliedern ist, sondern von der größern Mehrzahl der Münchner
Künstlerschaft geteilt wird. Die ganze Geschichte des Münchner Ausstelluugs-
wesens während der letzten Jahre weist darauf hin. Nachdem die französischen
Naturalisten und Freilichtmaler und ihre auswärtigen Nachahmer zuerst in
größerer Zahl auf der internationalen Kunstausstellung von 1883 aufgetreten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/31>, abgerufen am 23.07.2024.