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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Klassiker dos Socialismus

bringungsart ist im sozialistischen Staate nicht möglich, dieser müßte also, um
den Bedürfnissen der Bahnverwaltung zu genügen, jeder der zehn Millionen
Haushaltungen von ihrem auf 842 Mark berechneten Normaleinkommen zwanzig
Mark abziehen." In muß denn der Preußische Staatsbürger in alle Ewigkeit
auf dem Einkommen von 842 Mark angenagelt bleiben? Das Ziel der Sozia¬
listen ist ja ebemErhöhuug der Produktion und hieraus erfolgende Einkvmmcn-
vermehrung! Wenn nun im Sozialistenstaate selbst der Ärmste jährlich so viel
Güter bezieht, als mau heute für 2W9 Mark bekommt, so fällt ihm der Abzug
einer zwanzig Mark werten Gütermenge schon weniger schwer. Der Ärmste,
sagen wir, denu nach Sozialisten wie RvdbertuS, Schäffle und Hertzka - - wie
sich Bebel die Sache denkt, wissen wir nicht -- bleibt im sozialistischen Staate
das Privateigentum?, das Erbrecht und darum auch der Vermögeusunterschied
bestehen, und daher würden die Armem im vorliegenden Falle auch gar nicht
einmal zwanzig Mark zu tragen brauchen. Nur das Kapitaleigentum geht an
den Staat oder an eine andre größere Gesamtheit von Produzenten über; das
Eigentum an seinem Arbeitsprodukt, an seinem ehrlichen Erwerb, der gegen¬
wärtig keinem sicher ist, soll dort im Gegenteil erst gesichert werden. Und
dann: sind denn die Pyramiden, die höchst vollkommnen Kanalnetze des alten
Ägyptens und Babyloniens und die Römerstraßen mit Anleihen oder auf
Aktien gebaut worden? Der Einwand, daß man damals Sklaven verwendete,
würde nichts zu bedeuten haben, weil jene Sklaven gerade so gut genährt
werden mußten, wie unsre heutigen Erd- und Eisenarbeiter. Haben doch beim.
Bau der großen Pyramide die Arbeiter für sechs bis nenn Millionen Mark
Redliche, Zwiebeln und Knoblauch verzehrt, was den guten Herodot zu dem
Ausrufe veranlaßte: "Was muß da erst drauf gegangen sein für Eisen zum
Werkzeuge, für die eigentliche Kost und die Kleidung der Arbeiter!" Wie
frühere Geschlechter zur Schaffung einer großartigen Kultur unsrer heutigen
Finanzkünstc uicht bedurft haben, so werden auch spätere wieder einmal ohne
sie fertig werden. Diese Finanzkünste haben ja ihre Annehmlichkeiten und Be¬
quemlichkeiten, und gegenwärtig beherrschen sie die Produktion dermaßen, daß
nur ein Narr daran denken könnte, sie plötzlich abschütteln zu wollen; aber der
volkswirtschaftlichen Weisheit letzter Schluß wird die von deu Freisinnigen
zärtlich geliebte Börse nicht sein.

Wer heute, nach Rodbertus, uoch das Kapital mit dem Kapitalbesitz
verwechselt, wie die "Freisinnige Zeitung," der ist so wenig zu entschuldigen,
wie etwa ein Chemiker, der nach Lavoisier noch die Verbrennung mit dem
Entweichen des Phlogiston erklären wollte. Aber freilich, welcher anständige
Mensch mag mit Rvdbertus zu thun haben? War er doch Sozialist, und
Sozialist und Sozialdemokrat ist ein und dasselbe Ding. Wir aber, die an¬
ständigen Leute, siud nicht Sozialdemokraten, sondern entweder konservativ,
oder nationalliberal, oder "deutschfreisinnig," oder fromme, gläubige Katho-


Der deutsche Klassiker dos Socialismus

bringungsart ist im sozialistischen Staate nicht möglich, dieser müßte also, um
den Bedürfnissen der Bahnverwaltung zu genügen, jeder der zehn Millionen
Haushaltungen von ihrem auf 842 Mark berechneten Normaleinkommen zwanzig
Mark abziehen." In muß denn der Preußische Staatsbürger in alle Ewigkeit
auf dem Einkommen von 842 Mark angenagelt bleiben? Das Ziel der Sozia¬
listen ist ja ebemErhöhuug der Produktion und hieraus erfolgende Einkvmmcn-
vermehrung! Wenn nun im Sozialistenstaate selbst der Ärmste jährlich so viel
Güter bezieht, als mau heute für 2W9 Mark bekommt, so fällt ihm der Abzug
einer zwanzig Mark werten Gütermenge schon weniger schwer. Der Ärmste,
sagen wir, denu nach Sozialisten wie RvdbertuS, Schäffle und Hertzka - - wie
sich Bebel die Sache denkt, wissen wir nicht — bleibt im sozialistischen Staate
das Privateigentum?, das Erbrecht und darum auch der Vermögeusunterschied
bestehen, und daher würden die Armem im vorliegenden Falle auch gar nicht
einmal zwanzig Mark zu tragen brauchen. Nur das Kapitaleigentum geht an
den Staat oder an eine andre größere Gesamtheit von Produzenten über; das
Eigentum an seinem Arbeitsprodukt, an seinem ehrlichen Erwerb, der gegen¬
wärtig keinem sicher ist, soll dort im Gegenteil erst gesichert werden. Und
dann: sind denn die Pyramiden, die höchst vollkommnen Kanalnetze des alten
Ägyptens und Babyloniens und die Römerstraßen mit Anleihen oder auf
Aktien gebaut worden? Der Einwand, daß man damals Sklaven verwendete,
würde nichts zu bedeuten haben, weil jene Sklaven gerade so gut genährt
werden mußten, wie unsre heutigen Erd- und Eisenarbeiter. Haben doch beim.
Bau der großen Pyramide die Arbeiter für sechs bis nenn Millionen Mark
Redliche, Zwiebeln und Knoblauch verzehrt, was den guten Herodot zu dem
Ausrufe veranlaßte: „Was muß da erst drauf gegangen sein für Eisen zum
Werkzeuge, für die eigentliche Kost und die Kleidung der Arbeiter!" Wie
frühere Geschlechter zur Schaffung einer großartigen Kultur unsrer heutigen
Finanzkünstc uicht bedurft haben, so werden auch spätere wieder einmal ohne
sie fertig werden. Diese Finanzkünste haben ja ihre Annehmlichkeiten und Be¬
quemlichkeiten, und gegenwärtig beherrschen sie die Produktion dermaßen, daß
nur ein Narr daran denken könnte, sie plötzlich abschütteln zu wollen; aber der
volkswirtschaftlichen Weisheit letzter Schluß wird die von deu Freisinnigen
zärtlich geliebte Börse nicht sein.

Wer heute, nach Rodbertus, uoch das Kapital mit dem Kapitalbesitz
verwechselt, wie die „Freisinnige Zeitung," der ist so wenig zu entschuldigen,
wie etwa ein Chemiker, der nach Lavoisier noch die Verbrennung mit dem
Entweichen des Phlogiston erklären wollte. Aber freilich, welcher anständige
Mensch mag mit Rvdbertus zu thun haben? War er doch Sozialist, und
Sozialist und Sozialdemokrat ist ein und dasselbe Ding. Wir aber, die an¬
ständigen Leute, siud nicht Sozialdemokraten, sondern entweder konservativ,
oder nationalliberal, oder „deutschfreisinnig," oder fromme, gläubige Katho-


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[0264] Der deutsche Klassiker dos Socialismus bringungsart ist im sozialistischen Staate nicht möglich, dieser müßte also, um den Bedürfnissen der Bahnverwaltung zu genügen, jeder der zehn Millionen Haushaltungen von ihrem auf 842 Mark berechneten Normaleinkommen zwanzig Mark abziehen." In muß denn der Preußische Staatsbürger in alle Ewigkeit auf dem Einkommen von 842 Mark angenagelt bleiben? Das Ziel der Sozia¬ listen ist ja ebemErhöhuug der Produktion und hieraus erfolgende Einkvmmcn- vermehrung! Wenn nun im Sozialistenstaate selbst der Ärmste jährlich so viel Güter bezieht, als mau heute für 2W9 Mark bekommt, so fällt ihm der Abzug einer zwanzig Mark werten Gütermenge schon weniger schwer. Der Ärmste, sagen wir, denu nach Sozialisten wie RvdbertuS, Schäffle und Hertzka - - wie sich Bebel die Sache denkt, wissen wir nicht — bleibt im sozialistischen Staate das Privateigentum?, das Erbrecht und darum auch der Vermögeusunterschied bestehen, und daher würden die Armem im vorliegenden Falle auch gar nicht einmal zwanzig Mark zu tragen brauchen. Nur das Kapitaleigentum geht an den Staat oder an eine andre größere Gesamtheit von Produzenten über; das Eigentum an seinem Arbeitsprodukt, an seinem ehrlichen Erwerb, der gegen¬ wärtig keinem sicher ist, soll dort im Gegenteil erst gesichert werden. Und dann: sind denn die Pyramiden, die höchst vollkommnen Kanalnetze des alten Ägyptens und Babyloniens und die Römerstraßen mit Anleihen oder auf Aktien gebaut worden? Der Einwand, daß man damals Sklaven verwendete, würde nichts zu bedeuten haben, weil jene Sklaven gerade so gut genährt werden mußten, wie unsre heutigen Erd- und Eisenarbeiter. Haben doch beim. Bau der großen Pyramide die Arbeiter für sechs bis nenn Millionen Mark Redliche, Zwiebeln und Knoblauch verzehrt, was den guten Herodot zu dem Ausrufe veranlaßte: „Was muß da erst drauf gegangen sein für Eisen zum Werkzeuge, für die eigentliche Kost und die Kleidung der Arbeiter!" Wie frühere Geschlechter zur Schaffung einer großartigen Kultur unsrer heutigen Finanzkünstc uicht bedurft haben, so werden auch spätere wieder einmal ohne sie fertig werden. Diese Finanzkünste haben ja ihre Annehmlichkeiten und Be¬ quemlichkeiten, und gegenwärtig beherrschen sie die Produktion dermaßen, daß nur ein Narr daran denken könnte, sie plötzlich abschütteln zu wollen; aber der volkswirtschaftlichen Weisheit letzter Schluß wird die von deu Freisinnigen zärtlich geliebte Börse nicht sein. Wer heute, nach Rodbertus, uoch das Kapital mit dem Kapitalbesitz verwechselt, wie die „Freisinnige Zeitung," der ist so wenig zu entschuldigen, wie etwa ein Chemiker, der nach Lavoisier noch die Verbrennung mit dem Entweichen des Phlogiston erklären wollte. Aber freilich, welcher anständige Mensch mag mit Rvdbertus zu thun haben? War er doch Sozialist, und Sozialist und Sozialdemokrat ist ein und dasselbe Ding. Wir aber, die an¬ ständigen Leute, siud nicht Sozialdemokraten, sondern entweder konservativ, oder nationalliberal, oder „deutschfreisinnig," oder fromme, gläubige Katho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/264>, abgerufen am 24.06.2024.