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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das allgemeine Wahlrecht

aus allgemeinen Wahlen hervorgehendes Parlament erreicht werden konnten,
setzen nicht notwendig ein unbeschränktes Wahlrecht voraus. Die Regierung
erklärte am 11. Mai durch ihren Gesandten in Frankfurt: "Bezüglich der
Berufung des Parlaments soll für das aktive Wahlrecht das Prinzip direkter
Wahlen und des allgemeinen Stimmrechtes maßgebend sein, . . . bezüglich des
Passiver Wahlrechtes erwartet Preußen die Vorschläge des Ausschusses, be¬
zeichnet aber schon jetzt die darauf bezüglichen Bestimmungen des Reichswahl¬
gesetzes vom Jahre 1849 für sich als annehmbar." Diese Äußerung verrät,
daß die preußische Regierung damals noch über die Ausdehnung des Wahl¬
rechtes schwankte und zugleich dem Reichswahlgesetze des Jahres 1849 einen
großen Einfluß auf ihre Entschließungen gestattete.

Die von der Regierung in dieser Frage angenommene Haltung läßt sich
auch später beobachten. Am 18. August 1866 schloß Preußen mit der Mehr¬
zahl der norddeutschen Staaten einen Bündnisvertrag, worin festgesetzt wurde,
daß die Verbündete" Regierungen gleichzeitig mit Preußen "die auf Grund des
Reichswahlgesetzes vom Jahre 1849 vorzunehmenden Wahlen" anordnen sollten.
Und am 12. September erklärte Vismarcl im preußischen Abgeordnetenhaus,
daß "die Regierung sich nur wegen des Bündnisvertrages vom 18. August
so genau um das Neichswahlgesetz angeschlossen nud dabei manches über¬
nommen habe, worauf sie von Hause ans nicht verfallen sein würde."
Wiederholt bat er die Abgeordneten, um dem Wortlaute des vorgeschlagenen
Entwurfes nichts zu ändern, weil dadurch dein Verbündnngswerk neue
Schwierigkeiten erwachsen würden. So fand das unbeschränkte Wahlrecht
keinen wesentlichen Widerspruch, zumal da die Regierung bei den Kommissivns-
verhandlungen erklärt hatte, daß dnrch das llov zu erlassende Wahlgesetz
die Prinzipien des Wahlrechtes in keiner Weise entschieden sein sollten. Diese
folgenschwere Entscheidung fiel erst am 28. März 1867 im Norddeutschen
Reichstage.

Hier hat eS an wohlmeinenden und eindringlichen Warnungen nicht ge¬
fehlt. Unter den Abgeordneten, die die von der Regierung vorgeschlagene
Unbeschränktheit des Wahlrechtes bekämpften, thaten sich namentlich von Below
und von Sybel hervor. Auch Windthorst zeigte wenig Sympathie für das
allgemeine Wahlrecht, dessen Gefahren man nach seiner Ansicht mit der
Öffentlichkeit der Abstimmung begegnen müsse: "denn wenn die sozialen und
sonstigen Verhältnisse diese noch nicht erlauben, so erlauben sie auch uoch nicht,
den Leuten das allgemeine und direkte Wahlrecht in die Hand zu geben."
Während der Verhandlung ergriff auch Bismnrck das Wort, um die uns be¬
kannte Stellung der Verbündeten Regierungen nochmals darzulegen: "Das
allgemeine Wahlrecht ist uns gewissermaßen als ein Erbteil der deutschen
Einheitsbestrebungen überkommen; wir haben es in der Reichsverfassung ge¬
habt, wie sie in Frankfurt entworfen wurde; wir haben eS 186.'! den damaligen


Grenzboten IV 1890 27
Das allgemeine Wahlrecht

aus allgemeinen Wahlen hervorgehendes Parlament erreicht werden konnten,
setzen nicht notwendig ein unbeschränktes Wahlrecht voraus. Die Regierung
erklärte am 11. Mai durch ihren Gesandten in Frankfurt: „Bezüglich der
Berufung des Parlaments soll für das aktive Wahlrecht das Prinzip direkter
Wahlen und des allgemeinen Stimmrechtes maßgebend sein, . . . bezüglich des
Passiver Wahlrechtes erwartet Preußen die Vorschläge des Ausschusses, be¬
zeichnet aber schon jetzt die darauf bezüglichen Bestimmungen des Reichswahl¬
gesetzes vom Jahre 1849 für sich als annehmbar." Diese Äußerung verrät,
daß die preußische Regierung damals noch über die Ausdehnung des Wahl¬
rechtes schwankte und zugleich dem Reichswahlgesetze des Jahres 1849 einen
großen Einfluß auf ihre Entschließungen gestattete.

Die von der Regierung in dieser Frage angenommene Haltung läßt sich
auch später beobachten. Am 18. August 1866 schloß Preußen mit der Mehr¬
zahl der norddeutschen Staaten einen Bündnisvertrag, worin festgesetzt wurde,
daß die Verbündete» Regierungen gleichzeitig mit Preußen „die auf Grund des
Reichswahlgesetzes vom Jahre 1849 vorzunehmenden Wahlen" anordnen sollten.
Und am 12. September erklärte Vismarcl im preußischen Abgeordnetenhaus,
daß „die Regierung sich nur wegen des Bündnisvertrages vom 18. August
so genau um das Neichswahlgesetz angeschlossen nud dabei manches über¬
nommen habe, worauf sie von Hause ans nicht verfallen sein würde."
Wiederholt bat er die Abgeordneten, um dem Wortlaute des vorgeschlagenen
Entwurfes nichts zu ändern, weil dadurch dein Verbündnngswerk neue
Schwierigkeiten erwachsen würden. So fand das unbeschränkte Wahlrecht
keinen wesentlichen Widerspruch, zumal da die Regierung bei den Kommissivns-
verhandlungen erklärt hatte, daß dnrch das llov zu erlassende Wahlgesetz
die Prinzipien des Wahlrechtes in keiner Weise entschieden sein sollten. Diese
folgenschwere Entscheidung fiel erst am 28. März 1867 im Norddeutschen
Reichstage.

Hier hat eS an wohlmeinenden und eindringlichen Warnungen nicht ge¬
fehlt. Unter den Abgeordneten, die die von der Regierung vorgeschlagene
Unbeschränktheit des Wahlrechtes bekämpften, thaten sich namentlich von Below
und von Sybel hervor. Auch Windthorst zeigte wenig Sympathie für das
allgemeine Wahlrecht, dessen Gefahren man nach seiner Ansicht mit der
Öffentlichkeit der Abstimmung begegnen müsse: „denn wenn die sozialen und
sonstigen Verhältnisse diese noch nicht erlauben, so erlauben sie auch uoch nicht,
den Leuten das allgemeine und direkte Wahlrecht in die Hand zu geben."
Während der Verhandlung ergriff auch Bismnrck das Wort, um die uns be¬
kannte Stellung der Verbündeten Regierungen nochmals darzulegen: „Das
allgemeine Wahlrecht ist uns gewissermaßen als ein Erbteil der deutschen
Einheitsbestrebungen überkommen; wir haben es in der Reichsverfassung ge¬
habt, wie sie in Frankfurt entworfen wurde; wir haben eS 186.'! den damaligen


Grenzboten IV 1890 27
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[0217] Das allgemeine Wahlrecht aus allgemeinen Wahlen hervorgehendes Parlament erreicht werden konnten, setzen nicht notwendig ein unbeschränktes Wahlrecht voraus. Die Regierung erklärte am 11. Mai durch ihren Gesandten in Frankfurt: „Bezüglich der Berufung des Parlaments soll für das aktive Wahlrecht das Prinzip direkter Wahlen und des allgemeinen Stimmrechtes maßgebend sein, . . . bezüglich des Passiver Wahlrechtes erwartet Preußen die Vorschläge des Ausschusses, be¬ zeichnet aber schon jetzt die darauf bezüglichen Bestimmungen des Reichswahl¬ gesetzes vom Jahre 1849 für sich als annehmbar." Diese Äußerung verrät, daß die preußische Regierung damals noch über die Ausdehnung des Wahl¬ rechtes schwankte und zugleich dem Reichswahlgesetze des Jahres 1849 einen großen Einfluß auf ihre Entschließungen gestattete. Die von der Regierung in dieser Frage angenommene Haltung läßt sich auch später beobachten. Am 18. August 1866 schloß Preußen mit der Mehr¬ zahl der norddeutschen Staaten einen Bündnisvertrag, worin festgesetzt wurde, daß die Verbündete» Regierungen gleichzeitig mit Preußen „die auf Grund des Reichswahlgesetzes vom Jahre 1849 vorzunehmenden Wahlen" anordnen sollten. Und am 12. September erklärte Vismarcl im preußischen Abgeordnetenhaus, daß „die Regierung sich nur wegen des Bündnisvertrages vom 18. August so genau um das Neichswahlgesetz angeschlossen nud dabei manches über¬ nommen habe, worauf sie von Hause ans nicht verfallen sein würde." Wiederholt bat er die Abgeordneten, um dem Wortlaute des vorgeschlagenen Entwurfes nichts zu ändern, weil dadurch dein Verbündnngswerk neue Schwierigkeiten erwachsen würden. So fand das unbeschränkte Wahlrecht keinen wesentlichen Widerspruch, zumal da die Regierung bei den Kommissivns- verhandlungen erklärt hatte, daß dnrch das llov zu erlassende Wahlgesetz die Prinzipien des Wahlrechtes in keiner Weise entschieden sein sollten. Diese folgenschwere Entscheidung fiel erst am 28. März 1867 im Norddeutschen Reichstage. Hier hat eS an wohlmeinenden und eindringlichen Warnungen nicht ge¬ fehlt. Unter den Abgeordneten, die die von der Regierung vorgeschlagene Unbeschränktheit des Wahlrechtes bekämpften, thaten sich namentlich von Below und von Sybel hervor. Auch Windthorst zeigte wenig Sympathie für das allgemeine Wahlrecht, dessen Gefahren man nach seiner Ansicht mit der Öffentlichkeit der Abstimmung begegnen müsse: „denn wenn die sozialen und sonstigen Verhältnisse diese noch nicht erlauben, so erlauben sie auch uoch nicht, den Leuten das allgemeine und direkte Wahlrecht in die Hand zu geben." Während der Verhandlung ergriff auch Bismnrck das Wort, um die uns be¬ kannte Stellung der Verbündeten Regierungen nochmals darzulegen: „Das allgemeine Wahlrecht ist uns gewissermaßen als ein Erbteil der deutschen Einheitsbestrebungen überkommen; wir haben es in der Reichsverfassung ge¬ habt, wie sie in Frankfurt entworfen wurde; wir haben eS 186.'! den damaligen Grenzboten IV 1890 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/217>, abgerufen am 23.07.2024.