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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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ohne ihre naturalistischen und impressionistische!! Thorheiten mitzumachen.
Im vorigen Jahre schien es freilich, als wäre der ernsthafte Maler, der die
Auferweckung einer Toten durch Jesus geschaffen hat, in den Ausschreitungen
der Pariser Modemnlerei aufgegangen. Seine Bildnisse vornehmer Damen
waren mit einem. Aufwande des raffinirtesten Toilettenluxus umgeben, über
dem die Charakteristik der Köpfe, die Wiedergabe geistige" Lebens, seelischen
Empfindens gänzlich und die Nichtigkeit der Zeichnung und Mvdellirung mehr
als billig vernachlässigt worden waren. Bon diesen Eigenschaften, die im
vorigen Jahre der Zuerkennung einer ersten Medaille nicht hinderlich waren,
haben die neuesten Bilder Kellers keine an sich. Gegenwärtig beschäftigen ihn
die Phantasien der Toilettenküustler nicht mehr oder doch nicht so sehr wie
die Versuche, den seltsamsten und den für die malerische Darstellung schwierigsten
Lichtwirkungen mit den trotz rastloser Bemühungen immer noch nicht zu ge¬
nügender Geschmeidigkeit ausgebildeten Mitteln der malerischen Technik bei¬
zukommen. Ans dem einen der von diesen Bestrebungen zeugenden Bilder hat
er die Übergabe der ausgegrabenen Leiche des "ersten Grenadiers" Latour
d'Auvergne an den französischen Kommissar ans dem Kirchhofe von Ober¬
hausen in Gegenwart der bairischen Leichenparnde dargestellt. Das Bild wäre
nicht über die Bedeutung der Illustration eines merkwürdigen Vorganges
hinausgekommen, wenn der Künstler nicht Veranlassung gehabt Hütte, eine
eigenartige Stimmung der Atmosphäre zur Grundlage einer interessanten
koloristischen Aufgabe zu machen. Nach einem starken Regengüsse oder nach
dichtem, feuchtem Nebel ist die durchbrechende Sonne eben so wirksam geworden,
daß sie den Nebel zerstreut hat, ohne eine völlige Klarheit zu erreichen. Trotz
der hellen Beleuchtung sind die Figuren des Vorder- und Mittelgrundes, die
für die Begleitung des Sarges bestimmten Soldaten mit brennenden Kerzen,
die Träger, die sich anschicken, den Sarg auf die Bahre zu heben, und die
bairischen Offiziere von einem grauen Dunst umflossen, der die Lokalfarben
dämpft und die Umrisse in weiche, unbestimmte Linien auflöst. Ein andres
Bild Kellers zeigt eine Gesellschaft eleganter Herren und Damen nach einem
Diner, während man den Kaffee reicht. Hier hat sich der Künstler darin gefallen,
die Wirkung des von den Kandelabern der Tafel ausstrahlenden Kerzenlichtes auf
die weißen Tischtücher, auf die Toilette der Damen, auf Gesichter und entblößte
Nacken wiederzugeben. Es ist eine Aufgabe, die in neuerer Zeit seit Menzels
Vorgang die Maler häufig beschäftigt hat, ohne daß es einem gelungen wäre,
die Illusion eines brennenden Lichtes bis zur wirklichen Täuschung hervorzurufen.
Im Gegenteil, je mehr die malerische Technik nach allen Richtungen fort¬
schreitet, desto mehr überzeugt sie sich von der Unmöglichkeit der malerischen
Darstellung einer Kerzenflamme, und man begreift immer mehr, wie klug die
alten Maler waren, indem sie bei ihren Bildern, auf deuen sie Beleuchtuugs-
kunststückc machten, die Lichtquellen verbargen und sich mit der Wiedergabe


ohne ihre naturalistischen und impressionistische!! Thorheiten mitzumachen.
Im vorigen Jahre schien es freilich, als wäre der ernsthafte Maler, der die
Auferweckung einer Toten durch Jesus geschaffen hat, in den Ausschreitungen
der Pariser Modemnlerei aufgegangen. Seine Bildnisse vornehmer Damen
waren mit einem. Aufwande des raffinirtesten Toilettenluxus umgeben, über
dem die Charakteristik der Köpfe, die Wiedergabe geistige» Lebens, seelischen
Empfindens gänzlich und die Nichtigkeit der Zeichnung und Mvdellirung mehr
als billig vernachlässigt worden waren. Bon diesen Eigenschaften, die im
vorigen Jahre der Zuerkennung einer ersten Medaille nicht hinderlich waren,
haben die neuesten Bilder Kellers keine an sich. Gegenwärtig beschäftigen ihn
die Phantasien der Toilettenküustler nicht mehr oder doch nicht so sehr wie
die Versuche, den seltsamsten und den für die malerische Darstellung schwierigsten
Lichtwirkungen mit den trotz rastloser Bemühungen immer noch nicht zu ge¬
nügender Geschmeidigkeit ausgebildeten Mitteln der malerischen Technik bei¬
zukommen. Ans dem einen der von diesen Bestrebungen zeugenden Bilder hat
er die Übergabe der ausgegrabenen Leiche des „ersten Grenadiers" Latour
d'Auvergne an den französischen Kommissar ans dem Kirchhofe von Ober¬
hausen in Gegenwart der bairischen Leichenparnde dargestellt. Das Bild wäre
nicht über die Bedeutung der Illustration eines merkwürdigen Vorganges
hinausgekommen, wenn der Künstler nicht Veranlassung gehabt Hütte, eine
eigenartige Stimmung der Atmosphäre zur Grundlage einer interessanten
koloristischen Aufgabe zu machen. Nach einem starken Regengüsse oder nach
dichtem, feuchtem Nebel ist die durchbrechende Sonne eben so wirksam geworden,
daß sie den Nebel zerstreut hat, ohne eine völlige Klarheit zu erreichen. Trotz
der hellen Beleuchtung sind die Figuren des Vorder- und Mittelgrundes, die
für die Begleitung des Sarges bestimmten Soldaten mit brennenden Kerzen,
die Träger, die sich anschicken, den Sarg auf die Bahre zu heben, und die
bairischen Offiziere von einem grauen Dunst umflossen, der die Lokalfarben
dämpft und die Umrisse in weiche, unbestimmte Linien auflöst. Ein andres
Bild Kellers zeigt eine Gesellschaft eleganter Herren und Damen nach einem
Diner, während man den Kaffee reicht. Hier hat sich der Künstler darin gefallen,
die Wirkung des von den Kandelabern der Tafel ausstrahlenden Kerzenlichtes auf
die weißen Tischtücher, auf die Toilette der Damen, auf Gesichter und entblößte
Nacken wiederzugeben. Es ist eine Aufgabe, die in neuerer Zeit seit Menzels
Vorgang die Maler häufig beschäftigt hat, ohne daß es einem gelungen wäre,
die Illusion eines brennenden Lichtes bis zur wirklichen Täuschung hervorzurufen.
Im Gegenteil, je mehr die malerische Technik nach allen Richtungen fort¬
schreitet, desto mehr überzeugt sie sich von der Unmöglichkeit der malerischen
Darstellung einer Kerzenflamme, und man begreift immer mehr, wie klug die
alten Maler waren, indem sie bei ihren Bildern, auf deuen sie Beleuchtuugs-
kunststückc machten, die Lichtquellen verbargen und sich mit der Wiedergabe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/195>, abgerufen am 23.07.2024.