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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Woher, wohin?

Zielen entgegengeführt zu haben, unter Erhaltung des Weltfriedens, unter
Zurückdrängung der sozialrevolutionären Wühlerei die deutsche innere und
äußere Wirtschaftspolitik so gänzlich auf neuen Boden gestellt zu haben. Gewiß
haben die Umbildungen dieser Epoche ihre Schattenseiten. Man ging nach
meiner Ansicht in den Tariferhöhungen etwas zu weit; man hätte die spätern
Getreidezollerhöhungen nur auf Zeit oder für die Dauer niedriger Getreide¬
preise bewilligen sollen. Es wäre besser gewesen, wenn man an die sozial¬
politischen Gesetze und die Arbeiterversicherung mit klaren Plänen über das
ganze Arbeitervereinswesen, über die ganze, doch notwendige Umbildung des
Arbeitsverhältnisses herangetreten wäre. Aber solche Ausstellungen nachträglich
zu machen ist billig. Im Drange der Geschäfte und der Weltkampfe, zwischen
widerstrebenden Parteien und Klassen ist es selbst den größten Staatsmännern
nicht beschieden, großartige Neugestaltungen ganz tadellos hinzustellen. Daß
Bismarck den Mut hatte, auch hier seinem Genius zu folgen, großartig ein¬
zugreifen, ein Geschlecht von seniler manchesterlichen Epigonen in der Be¬
amtenschaft zur Seite zu drängen und trotz mancher Fehler im einzelnen der
Begründer einer großen nationalen Wirtschaftspolitik zu werden, wird neben
seiner auswärtigen Politik immer ein fast ebenso großer Titel seines Ruhmes
bleiben. Man war endlich in Preußen wieder zu den fridericianischen Tra¬
ditionen zurückgekehrt, hatte endlich wieder den Mut gefunden, die nationale
Volkswirtschaft als ein Ganzes zu begreifen, die Staatsgewalt in den Dienst
der großen nationalen Wirtschaftsinteressen zu stellen, der Monarchie ihren
legitimsten Rechtstitel zurückzugeben, den des Schutzes der kleinen Leute gegen
die Klassenherrschaft der Besitzenden. Jede Republik und jeder Parlamen¬
tarismus hat ja stets mit einer solchen Klassenherrschaft geendigt." Aus der
Gemüts- und Denkungscirt des Fürsten wird es dann erklärt, daß er der
Reformbewegung über eine gewisse Grenze hinaus nicht mehr zu folgen ver¬
mochte und so schließlich in einen Zwiespalt mit ihr geriet.

Für eine Geschichte der Privat- und Volkswirtschaft von ihren ersten An¬
fängen an finden sich in Schmollers Buch überall wertvolle Bemerkungen
verstreut; in der Abhandlung aber über Wesen und Verfassung der großen
Unternehmungen ist der erste Abschnitt ausdrücklich einem geschichtlichen Über¬
blick gewidmet. Mit der Vergrößerung des Wirtschaftsbetriebes, das wird
daraus ersichtlich, lockert sich die ursprüngliche Familienverfassung. Sie löst
sich endlich auf, und die zahlreich gewordenen abhängigen Familienglieder
werden als Sklaven oder Leibeigne aus dem Hause des Herrn hinausgewiesen
auf den Acker, in ihre Hütten, in allerlei Werkstätten. Bei der Entwicklung
der modernen Großindustrie aus dem Handwerk ist es ganz ähnlich zugegangen,
und die Lage ihrer Arbeiter war anfangs thatsächlich von der der Sklaven
wenig verschieden; der "freie Arbeitsvertrag" war Phrase. Dennoch brachte
die politische Gleichberechtigung und die gesetzlich anerkannte Freiheit des


Woher, wohin?

Zielen entgegengeführt zu haben, unter Erhaltung des Weltfriedens, unter
Zurückdrängung der sozialrevolutionären Wühlerei die deutsche innere und
äußere Wirtschaftspolitik so gänzlich auf neuen Boden gestellt zu haben. Gewiß
haben die Umbildungen dieser Epoche ihre Schattenseiten. Man ging nach
meiner Ansicht in den Tariferhöhungen etwas zu weit; man hätte die spätern
Getreidezollerhöhungen nur auf Zeit oder für die Dauer niedriger Getreide¬
preise bewilligen sollen. Es wäre besser gewesen, wenn man an die sozial¬
politischen Gesetze und die Arbeiterversicherung mit klaren Plänen über das
ganze Arbeitervereinswesen, über die ganze, doch notwendige Umbildung des
Arbeitsverhältnisses herangetreten wäre. Aber solche Ausstellungen nachträglich
zu machen ist billig. Im Drange der Geschäfte und der Weltkampfe, zwischen
widerstrebenden Parteien und Klassen ist es selbst den größten Staatsmännern
nicht beschieden, großartige Neugestaltungen ganz tadellos hinzustellen. Daß
Bismarck den Mut hatte, auch hier seinem Genius zu folgen, großartig ein¬
zugreifen, ein Geschlecht von seniler manchesterlichen Epigonen in der Be¬
amtenschaft zur Seite zu drängen und trotz mancher Fehler im einzelnen der
Begründer einer großen nationalen Wirtschaftspolitik zu werden, wird neben
seiner auswärtigen Politik immer ein fast ebenso großer Titel seines Ruhmes
bleiben. Man war endlich in Preußen wieder zu den fridericianischen Tra¬
ditionen zurückgekehrt, hatte endlich wieder den Mut gefunden, die nationale
Volkswirtschaft als ein Ganzes zu begreifen, die Staatsgewalt in den Dienst
der großen nationalen Wirtschaftsinteressen zu stellen, der Monarchie ihren
legitimsten Rechtstitel zurückzugeben, den des Schutzes der kleinen Leute gegen
die Klassenherrschaft der Besitzenden. Jede Republik und jeder Parlamen¬
tarismus hat ja stets mit einer solchen Klassenherrschaft geendigt." Aus der
Gemüts- und Denkungscirt des Fürsten wird es dann erklärt, daß er der
Reformbewegung über eine gewisse Grenze hinaus nicht mehr zu folgen ver¬
mochte und so schließlich in einen Zwiespalt mit ihr geriet.

Für eine Geschichte der Privat- und Volkswirtschaft von ihren ersten An¬
fängen an finden sich in Schmollers Buch überall wertvolle Bemerkungen
verstreut; in der Abhandlung aber über Wesen und Verfassung der großen
Unternehmungen ist der erste Abschnitt ausdrücklich einem geschichtlichen Über¬
blick gewidmet. Mit der Vergrößerung des Wirtschaftsbetriebes, das wird
daraus ersichtlich, lockert sich die ursprüngliche Familienverfassung. Sie löst
sich endlich auf, und die zahlreich gewordenen abhängigen Familienglieder
werden als Sklaven oder Leibeigne aus dem Hause des Herrn hinausgewiesen
auf den Acker, in ihre Hütten, in allerlei Werkstätten. Bei der Entwicklung
der modernen Großindustrie aus dem Handwerk ist es ganz ähnlich zugegangen,
und die Lage ihrer Arbeiter war anfangs thatsächlich von der der Sklaven
wenig verschieden; der „freie Arbeitsvertrag" war Phrase. Dennoch brachte
die politische Gleichberechtigung und die gesetzlich anerkannte Freiheit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/12>, abgerufen am 23.07.2024.