Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bettler und Landstreicher

Nichtsthuns geheilt werden solle". Wie stellt sich aber die Ausführung dieser
Bestimmung in der Wirklichkeit dar?

In großen Städten mit regelmäßig und wohl gefüllten Gefängnissen ist
der Arbeitszwang in tvirtsamer Weise durchzuführen, da hier mühelos regel¬
mäßige Arbeit zu verschaffen und einzurichten ist. Aber leider nnr bis zu dem
angegebenen höchsten Betrage von sechs Wochen oder drei Monaten! Ist dieser
Betrag bei dein sechsten oder zehnten Rückfall erreicht, so kann ein zwanzig-
uud dreißigmaliger Rückfall, wie er leider hin und wieder vorkommt, nie mehr
eine Straferhöhnng zur Folge haben. Schlimmer aber ist es bei den kleinen
Gefängnissen der kleinen Gerichte. Hier ist die Beschaffung regelmäßiger und
einigermaßen anstrengender Arbeit vielfach unmöglich oder doch dem Zufall
überlassen. Der eingelieferte Vagabund wird daher oft gar nicht, oft nur mit
leichten und bequemen Arbeiten, wie Federreiße", Kaffeeanslesen und ähnlichem,
beschäftigt werden können und auf diese Weise reichlich Gelegenheit haben, in
warmer Zelle und sauberer Kleidung bei reichlicher und kräftiger Kost, vielfach
auch in der unterhaltenden Gesellschaft gleichgesinnter Kollegen, die Zeit zu
verbringen und abends, im Winter mit Dunkelwerden, denn in den Zellen
darf kein Licht gebrannt werden, sich behaglich ans sein Lager zu strecken
und gerade hierdurch dein Laster des Nichtsthuns zu verfallen, wegen dessen
er bestraft ist und von dem er geheilt werden soll. Ist das eine Strafe?
Die Beantwortung dieser Frage will ich dem Leser überlassen, möchte aber
im Gegensatz zu dem Leben des im Gefängnis "dahinschmachlenden" Vagabunden
nur das des früh bis spät in Sturm und Wetter beschäftigten Steinschlägers
und Erdarbeiters oder des stundenweit von seiner Wohnung beschäftigten
Holzarbeiters und Grubenarbeiters erwähnen, um die Vermutung nahe zu
legen, daß der gefangene Vagabund keine Veranlassung hat, diese Arbeiter zu
beneiden.

Aber, so wird vielleicht jemand einwenden, der freie Arbeiter hat doch
das schöne Gefühl, für die Seinigen zu sorgen und nach Schluß der Arbeit
seine Freiheit, sei es in vergnügter Gesellschaft, sei es im häuslichen Kreise, zu
genießen. Vom Standpunkt des freien Arbeiters ist dies ganz richtig gedacht,
sind doch gerade diese Empfindungen und Aussichten der Sporn zur eifrigen
und freudigen Arbeit. Ein richtiger Vagabund aber hat für derartige Gefühle
kein Verstäuduis. Ist es doch gerade sein Fehler, daß er in einen Zustand
so hoher Schlaffheit versunken ist, daß ihm nichts Frende macht, als zu feiern,
ohne zu darben, und nebenbei seinem Wandertriebe zu genügen.

Aber der hinkende Bote kommt nach. 8 362 des Strafgesetzbuches be¬
stimmt, daß bei der Bestrafung von Landstreichern und rückfälligen Bettlern
gleichzeitig ihre Überweisung an die Lnndespolizeibehörde ausgesprochen werden
kann. Diese Behörde, in Preußen der Regierungspräsident, erhält hierdurch
die Befugnis, die überwiesen".' Person bis auf die Dauer vou zwei Jahren in


Bettler und Landstreicher

Nichtsthuns geheilt werden solle». Wie stellt sich aber die Ausführung dieser
Bestimmung in der Wirklichkeit dar?

In großen Städten mit regelmäßig und wohl gefüllten Gefängnissen ist
der Arbeitszwang in tvirtsamer Weise durchzuführen, da hier mühelos regel¬
mäßige Arbeit zu verschaffen und einzurichten ist. Aber leider nnr bis zu dem
angegebenen höchsten Betrage von sechs Wochen oder drei Monaten! Ist dieser
Betrag bei dein sechsten oder zehnten Rückfall erreicht, so kann ein zwanzig-
uud dreißigmaliger Rückfall, wie er leider hin und wieder vorkommt, nie mehr
eine Straferhöhnng zur Folge haben. Schlimmer aber ist es bei den kleinen
Gefängnissen der kleinen Gerichte. Hier ist die Beschaffung regelmäßiger und
einigermaßen anstrengender Arbeit vielfach unmöglich oder doch dem Zufall
überlassen. Der eingelieferte Vagabund wird daher oft gar nicht, oft nur mit
leichten und bequemen Arbeiten, wie Federreiße», Kaffeeanslesen und ähnlichem,
beschäftigt werden können und auf diese Weise reichlich Gelegenheit haben, in
warmer Zelle und sauberer Kleidung bei reichlicher und kräftiger Kost, vielfach
auch in der unterhaltenden Gesellschaft gleichgesinnter Kollegen, die Zeit zu
verbringen und abends, im Winter mit Dunkelwerden, denn in den Zellen
darf kein Licht gebrannt werden, sich behaglich ans sein Lager zu strecken
und gerade hierdurch dein Laster des Nichtsthuns zu verfallen, wegen dessen
er bestraft ist und von dem er geheilt werden soll. Ist das eine Strafe?
Die Beantwortung dieser Frage will ich dem Leser überlassen, möchte aber
im Gegensatz zu dem Leben des im Gefängnis „dahinschmachlenden" Vagabunden
nur das des früh bis spät in Sturm und Wetter beschäftigten Steinschlägers
und Erdarbeiters oder des stundenweit von seiner Wohnung beschäftigten
Holzarbeiters und Grubenarbeiters erwähnen, um die Vermutung nahe zu
legen, daß der gefangene Vagabund keine Veranlassung hat, diese Arbeiter zu
beneiden.

Aber, so wird vielleicht jemand einwenden, der freie Arbeiter hat doch
das schöne Gefühl, für die Seinigen zu sorgen und nach Schluß der Arbeit
seine Freiheit, sei es in vergnügter Gesellschaft, sei es im häuslichen Kreise, zu
genießen. Vom Standpunkt des freien Arbeiters ist dies ganz richtig gedacht,
sind doch gerade diese Empfindungen und Aussichten der Sporn zur eifrigen
und freudigen Arbeit. Ein richtiger Vagabund aber hat für derartige Gefühle
kein Verstäuduis. Ist es doch gerade sein Fehler, daß er in einen Zustand
so hoher Schlaffheit versunken ist, daß ihm nichts Frende macht, als zu feiern,
ohne zu darben, und nebenbei seinem Wandertriebe zu genügen.

Aber der hinkende Bote kommt nach. 8 362 des Strafgesetzbuches be¬
stimmt, daß bei der Bestrafung von Landstreichern und rückfälligen Bettlern
gleichzeitig ihre Überweisung an die Lnndespolizeibehörde ausgesprochen werden
kann. Diese Behörde, in Preußen der Regierungspräsident, erhält hierdurch
die Befugnis, die überwiesen«.' Person bis auf die Dauer vou zwei Jahren in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207979"/>
          <fw type="header" place="top"> Bettler und Landstreicher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> Nichtsthuns geheilt werden solle». Wie stellt sich aber die Ausführung dieser<lb/>
Bestimmung in der Wirklichkeit dar?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_72"> In großen Städten mit regelmäßig und wohl gefüllten Gefängnissen ist<lb/>
der Arbeitszwang in tvirtsamer Weise durchzuführen, da hier mühelos regel¬<lb/>
mäßige Arbeit zu verschaffen und einzurichten ist. Aber leider nnr bis zu dem<lb/>
angegebenen höchsten Betrage von sechs Wochen oder drei Monaten! Ist dieser<lb/>
Betrag bei dein sechsten oder zehnten Rückfall erreicht, so kann ein zwanzig-<lb/>
uud dreißigmaliger Rückfall, wie er leider hin und wieder vorkommt, nie mehr<lb/>
eine Straferhöhnng zur Folge haben. Schlimmer aber ist es bei den kleinen<lb/>
Gefängnissen der kleinen Gerichte. Hier ist die Beschaffung regelmäßiger und<lb/>
einigermaßen anstrengender Arbeit vielfach unmöglich oder doch dem Zufall<lb/>
überlassen. Der eingelieferte Vagabund wird daher oft gar nicht, oft nur mit<lb/>
leichten und bequemen Arbeiten, wie Federreiße», Kaffeeanslesen und ähnlichem,<lb/>
beschäftigt werden können und auf diese Weise reichlich Gelegenheit haben, in<lb/>
warmer Zelle und sauberer Kleidung bei reichlicher und kräftiger Kost, vielfach<lb/>
auch in der unterhaltenden Gesellschaft gleichgesinnter Kollegen, die Zeit zu<lb/>
verbringen und abends, im Winter mit Dunkelwerden, denn in den Zellen<lb/>
darf kein Licht gebrannt werden, sich behaglich ans sein Lager zu strecken<lb/>
und gerade hierdurch dein Laster des Nichtsthuns zu verfallen, wegen dessen<lb/>
er bestraft ist und von dem er geheilt werden soll. Ist das eine Strafe?<lb/>
Die Beantwortung dieser Frage will ich dem Leser überlassen, möchte aber<lb/>
im Gegensatz zu dem Leben des im Gefängnis &#x201E;dahinschmachlenden" Vagabunden<lb/>
nur das des früh bis spät in Sturm und Wetter beschäftigten Steinschlägers<lb/>
und Erdarbeiters oder des stundenweit von seiner Wohnung beschäftigten<lb/>
Holzarbeiters und Grubenarbeiters erwähnen, um die Vermutung nahe zu<lb/>
legen, daß der gefangene Vagabund keine Veranlassung hat, diese Arbeiter zu<lb/>
beneiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_73"> Aber, so wird vielleicht jemand einwenden, der freie Arbeiter hat doch<lb/>
das schöne Gefühl, für die Seinigen zu sorgen und nach Schluß der Arbeit<lb/>
seine Freiheit, sei es in vergnügter Gesellschaft, sei es im häuslichen Kreise, zu<lb/>
genießen. Vom Standpunkt des freien Arbeiters ist dies ganz richtig gedacht,<lb/>
sind doch gerade diese Empfindungen und Aussichten der Sporn zur eifrigen<lb/>
und freudigen Arbeit. Ein richtiger Vagabund aber hat für derartige Gefühle<lb/>
kein Verstäuduis. Ist es doch gerade sein Fehler, daß er in einen Zustand<lb/>
so hoher Schlaffheit versunken ist, daß ihm nichts Frende macht, als zu feiern,<lb/>
ohne zu darben, und nebenbei seinem Wandertriebe zu genügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_74" next="#ID_75"> Aber der hinkende Bote kommt nach. 8 362 des Strafgesetzbuches be¬<lb/>
stimmt, daß bei der Bestrafung von Landstreichern und rückfälligen Bettlern<lb/>
gleichzeitig ihre Überweisung an die Lnndespolizeibehörde ausgesprochen werden<lb/>
kann. Diese Behörde, in Preußen der Regierungspräsident, erhält hierdurch<lb/>
die Befugnis, die überwiesen«.' Person bis auf die Dauer vou zwei Jahren in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] Bettler und Landstreicher Nichtsthuns geheilt werden solle». Wie stellt sich aber die Ausführung dieser Bestimmung in der Wirklichkeit dar? In großen Städten mit regelmäßig und wohl gefüllten Gefängnissen ist der Arbeitszwang in tvirtsamer Weise durchzuführen, da hier mühelos regel¬ mäßige Arbeit zu verschaffen und einzurichten ist. Aber leider nnr bis zu dem angegebenen höchsten Betrage von sechs Wochen oder drei Monaten! Ist dieser Betrag bei dein sechsten oder zehnten Rückfall erreicht, so kann ein zwanzig- uud dreißigmaliger Rückfall, wie er leider hin und wieder vorkommt, nie mehr eine Straferhöhnng zur Folge haben. Schlimmer aber ist es bei den kleinen Gefängnissen der kleinen Gerichte. Hier ist die Beschaffung regelmäßiger und einigermaßen anstrengender Arbeit vielfach unmöglich oder doch dem Zufall überlassen. Der eingelieferte Vagabund wird daher oft gar nicht, oft nur mit leichten und bequemen Arbeiten, wie Federreiße», Kaffeeanslesen und ähnlichem, beschäftigt werden können und auf diese Weise reichlich Gelegenheit haben, in warmer Zelle und sauberer Kleidung bei reichlicher und kräftiger Kost, vielfach auch in der unterhaltenden Gesellschaft gleichgesinnter Kollegen, die Zeit zu verbringen und abends, im Winter mit Dunkelwerden, denn in den Zellen darf kein Licht gebrannt werden, sich behaglich ans sein Lager zu strecken und gerade hierdurch dein Laster des Nichtsthuns zu verfallen, wegen dessen er bestraft ist und von dem er geheilt werden soll. Ist das eine Strafe? Die Beantwortung dieser Frage will ich dem Leser überlassen, möchte aber im Gegensatz zu dem Leben des im Gefängnis „dahinschmachlenden" Vagabunden nur das des früh bis spät in Sturm und Wetter beschäftigten Steinschlägers und Erdarbeiters oder des stundenweit von seiner Wohnung beschäftigten Holzarbeiters und Grubenarbeiters erwähnen, um die Vermutung nahe zu legen, daß der gefangene Vagabund keine Veranlassung hat, diese Arbeiter zu beneiden. Aber, so wird vielleicht jemand einwenden, der freie Arbeiter hat doch das schöne Gefühl, für die Seinigen zu sorgen und nach Schluß der Arbeit seine Freiheit, sei es in vergnügter Gesellschaft, sei es im häuslichen Kreise, zu genießen. Vom Standpunkt des freien Arbeiters ist dies ganz richtig gedacht, sind doch gerade diese Empfindungen und Aussichten der Sporn zur eifrigen und freudigen Arbeit. Ein richtiger Vagabund aber hat für derartige Gefühle kein Verstäuduis. Ist es doch gerade sein Fehler, daß er in einen Zustand so hoher Schlaffheit versunken ist, daß ihm nichts Frende macht, als zu feiern, ohne zu darben, und nebenbei seinem Wandertriebe zu genügen. Aber der hinkende Bote kommt nach. 8 362 des Strafgesetzbuches be¬ stimmt, daß bei der Bestrafung von Landstreichern und rückfälligen Bettlern gleichzeitig ihre Überweisung an die Lnndespolizeibehörde ausgesprochen werden kann. Diese Behörde, in Preußen der Regierungspräsident, erhält hierdurch die Befugnis, die überwiesen«.' Person bis auf die Dauer vou zwei Jahren in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/42>, abgerufen am 26.06.2024.