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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die hypnotische Suggestion

hinter den Namen von einigen berühmten Sängerinnen und Herrn Coquelin
endet, die auftreten sollen, als vivu zum Schluß gewöhnlich ein Hypnotiseur
genannt zu werden. Aus Oberitalien berichtet Professor Lombroso eine Reihe
trauriger Fälle. In Mailand und Turin haben sich viele Personen durch den
Unsinn Schlaflosigkeit und beständige Kopfschmerzen zugezogen. Auch mehrere
Offiziere befinden sich unter den Opfern; der eine davon geht seit seiner Er¬
krankung wie im Schlafe herum, läuft des Abends allen Wagenlaternen nach
und rennt, wenn ihm ein Wagen entgegenkommt, gerade in die Pferde hinein.
Ähnliches wird aus London berichtet.

In Dentschlciud, wo die Behörden verständigerweise wenigstens die öffent¬
lichen Schaustellungen verboten haben, wirft sich der Dr. invä. Christoph Frei¬
herr v. Harlunger zum Apostel der Suggestionslehre auf. In einer Ab¬
handlung der Monatsschrift "Der Naturarzt" (Juniheft) spricht er sich sehr
abfällig über die Ärzte aus, die von der Sache nichts wissen wollen. "Daß
es noch eingefleischte Gegner des Hypnotismus und der Suggestionsmethvde
giebt, wird den nicht wunder nehmen, der dn weiß, daß es immer Menschen
und insbesondre pedantische Gelehrte geben wird, die vom Alten nichts ver¬
gessen und vom Neuen nichts lernen wollen."

Ich bin weder Gelehrter noch Pedant, verzichte aber trotzdem nicht auf
alte, feststehende Wahrheiten und mag mir neue Lehren nicht aneignen, wenn
sie offenbar unsinnig oder schädlich sind. Ich glaube an die hypnotische Sug¬
gestion nicht eher, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich werde
niemals einen solchen Fall zu Gesicht bekommen, weil ich mir dergleichen
Experimente grundsätzlich nicht ansehe. So viel allerdings glaube ich, daß
ein Mensch durch beharrliches Anstarren eines Gegenstandes halb blödsinnig
werden und in seinem Blödsinn allerlei Dummheiten begehen kann. Aber die
Grade dieses Blödsinns zu beobachten und zu messen, ist keine Aufgabe für
die wissenschaftliche Forschung, sondern nur ein Zeitvertreib zur Befriedigung
kindischer Neugierde, und weil dabei ein lebendiger Mensch zum Versuchs¬
gegenstande gemacht wird, so ist diese Befriedigung der Neugier ebenso ver¬
werflich, wie wenn man untersuchen wollte, wie viel Minuten ein Mensch in
der Bratpfanne bei Siedehitze zu leben vermag. Wo sind denn die wichtigen
Aufschlüsse, mit denen das Hhpnotisireu die Wissenschaft bereichert haben soll?
Herr v. Harlunger faßt das Ergebnis der bisherigen Beobachtungen in dem
Satze zusammen: "Die Hypnose ist ein rein seelischer Zustand, der durch
seelische Mittel mit oder ohne natürliche Zuthat >soll wahrscheinlich heißen:
mit oder ohne körperliche Einwirkung^ bei Erkrankten wie bei geistig und
körperlich Gesunden herbeigeführt werdeu kann und der sich vom normalen
Zustande durch eine Steigerung der ideo-motorischen, ideo-sensitiven und idev-
sensvriellen Reflexerregbarkeit unterscheidet." Da wissen wir auch was Rechtes!
Lassen wir die nichtssagenden "psychophysischen" Kunstausdrücke weg, so bleibt


Die hypnotische Suggestion

hinter den Namen von einigen berühmten Sängerinnen und Herrn Coquelin
endet, die auftreten sollen, als vivu zum Schluß gewöhnlich ein Hypnotiseur
genannt zu werden. Aus Oberitalien berichtet Professor Lombroso eine Reihe
trauriger Fälle. In Mailand und Turin haben sich viele Personen durch den
Unsinn Schlaflosigkeit und beständige Kopfschmerzen zugezogen. Auch mehrere
Offiziere befinden sich unter den Opfern; der eine davon geht seit seiner Er¬
krankung wie im Schlafe herum, läuft des Abends allen Wagenlaternen nach
und rennt, wenn ihm ein Wagen entgegenkommt, gerade in die Pferde hinein.
Ähnliches wird aus London berichtet.

In Dentschlciud, wo die Behörden verständigerweise wenigstens die öffent¬
lichen Schaustellungen verboten haben, wirft sich der Dr. invä. Christoph Frei¬
herr v. Harlunger zum Apostel der Suggestionslehre auf. In einer Ab¬
handlung der Monatsschrift „Der Naturarzt" (Juniheft) spricht er sich sehr
abfällig über die Ärzte aus, die von der Sache nichts wissen wollen. „Daß
es noch eingefleischte Gegner des Hypnotismus und der Suggestionsmethvde
giebt, wird den nicht wunder nehmen, der dn weiß, daß es immer Menschen
und insbesondre pedantische Gelehrte geben wird, die vom Alten nichts ver¬
gessen und vom Neuen nichts lernen wollen."

Ich bin weder Gelehrter noch Pedant, verzichte aber trotzdem nicht auf
alte, feststehende Wahrheiten und mag mir neue Lehren nicht aneignen, wenn
sie offenbar unsinnig oder schädlich sind. Ich glaube an die hypnotische Sug¬
gestion nicht eher, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich werde
niemals einen solchen Fall zu Gesicht bekommen, weil ich mir dergleichen
Experimente grundsätzlich nicht ansehe. So viel allerdings glaube ich, daß
ein Mensch durch beharrliches Anstarren eines Gegenstandes halb blödsinnig
werden und in seinem Blödsinn allerlei Dummheiten begehen kann. Aber die
Grade dieses Blödsinns zu beobachten und zu messen, ist keine Aufgabe für
die wissenschaftliche Forschung, sondern nur ein Zeitvertreib zur Befriedigung
kindischer Neugierde, und weil dabei ein lebendiger Mensch zum Versuchs¬
gegenstande gemacht wird, so ist diese Befriedigung der Neugier ebenso ver¬
werflich, wie wenn man untersuchen wollte, wie viel Minuten ein Mensch in
der Bratpfanne bei Siedehitze zu leben vermag. Wo sind denn die wichtigen
Aufschlüsse, mit denen das Hhpnotisireu die Wissenschaft bereichert haben soll?
Herr v. Harlunger faßt das Ergebnis der bisherigen Beobachtungen in dem
Satze zusammen: „Die Hypnose ist ein rein seelischer Zustand, der durch
seelische Mittel mit oder ohne natürliche Zuthat >soll wahrscheinlich heißen:
mit oder ohne körperliche Einwirkung^ bei Erkrankten wie bei geistig und
körperlich Gesunden herbeigeführt werdeu kann und der sich vom normalen
Zustande durch eine Steigerung der ideo-motorischen, ideo-sensitiven und idev-
sensvriellen Reflexerregbarkeit unterscheidet." Da wissen wir auch was Rechtes!
Lassen wir die nichtssagenden „psychophysischen" Kunstausdrücke weg, so bleibt


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[0034] Die hypnotische Suggestion hinter den Namen von einigen berühmten Sängerinnen und Herrn Coquelin endet, die auftreten sollen, als vivu zum Schluß gewöhnlich ein Hypnotiseur genannt zu werden. Aus Oberitalien berichtet Professor Lombroso eine Reihe trauriger Fälle. In Mailand und Turin haben sich viele Personen durch den Unsinn Schlaflosigkeit und beständige Kopfschmerzen zugezogen. Auch mehrere Offiziere befinden sich unter den Opfern; der eine davon geht seit seiner Er¬ krankung wie im Schlafe herum, läuft des Abends allen Wagenlaternen nach und rennt, wenn ihm ein Wagen entgegenkommt, gerade in die Pferde hinein. Ähnliches wird aus London berichtet. In Dentschlciud, wo die Behörden verständigerweise wenigstens die öffent¬ lichen Schaustellungen verboten haben, wirft sich der Dr. invä. Christoph Frei¬ herr v. Harlunger zum Apostel der Suggestionslehre auf. In einer Ab¬ handlung der Monatsschrift „Der Naturarzt" (Juniheft) spricht er sich sehr abfällig über die Ärzte aus, die von der Sache nichts wissen wollen. „Daß es noch eingefleischte Gegner des Hypnotismus und der Suggestionsmethvde giebt, wird den nicht wunder nehmen, der dn weiß, daß es immer Menschen und insbesondre pedantische Gelehrte geben wird, die vom Alten nichts ver¬ gessen und vom Neuen nichts lernen wollen." Ich bin weder Gelehrter noch Pedant, verzichte aber trotzdem nicht auf alte, feststehende Wahrheiten und mag mir neue Lehren nicht aneignen, wenn sie offenbar unsinnig oder schädlich sind. Ich glaube an die hypnotische Sug¬ gestion nicht eher, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich werde niemals einen solchen Fall zu Gesicht bekommen, weil ich mir dergleichen Experimente grundsätzlich nicht ansehe. So viel allerdings glaube ich, daß ein Mensch durch beharrliches Anstarren eines Gegenstandes halb blödsinnig werden und in seinem Blödsinn allerlei Dummheiten begehen kann. Aber die Grade dieses Blödsinns zu beobachten und zu messen, ist keine Aufgabe für die wissenschaftliche Forschung, sondern nur ein Zeitvertreib zur Befriedigung kindischer Neugierde, und weil dabei ein lebendiger Mensch zum Versuchs¬ gegenstande gemacht wird, so ist diese Befriedigung der Neugier ebenso ver¬ werflich, wie wenn man untersuchen wollte, wie viel Minuten ein Mensch in der Bratpfanne bei Siedehitze zu leben vermag. Wo sind denn die wichtigen Aufschlüsse, mit denen das Hhpnotisireu die Wissenschaft bereichert haben soll? Herr v. Harlunger faßt das Ergebnis der bisherigen Beobachtungen in dem Satze zusammen: „Die Hypnose ist ein rein seelischer Zustand, der durch seelische Mittel mit oder ohne natürliche Zuthat >soll wahrscheinlich heißen: mit oder ohne körperliche Einwirkung^ bei Erkrankten wie bei geistig und körperlich Gesunden herbeigeführt werdeu kann und der sich vom normalen Zustande durch eine Steigerung der ideo-motorischen, ideo-sensitiven und idev- sensvriellen Reflexerregbarkeit unterscheidet." Da wissen wir auch was Rechtes! Lassen wir die nichtssagenden „psychophysischen" Kunstausdrücke weg, so bleibt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/34>, abgerufen am 25.07.2024.