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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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nie bestritten. Eben dieser aristokratische Standpunkt gab ihm den unbefangenen
Blick und die tiefe Sympathie für das wirklich Volkstümliche. Und ähnlich
komplementär verhielten sich sein deutscher Patriotismus und sein Widerwille
gegen alle Arten vou Deutschtümelei, seine ganz nordische Bluts- und Geistes¬
beschaffenheit und seine Vorliebe, ja Parteinahme für südliche Natur nicht nur,
sondern auch Meuscheucirt.

Ohne Beispiel, wenigstens in Deutschland, wird es sein, daß ein Gelehrter
von so viel Kenntnissen, so viel originellem Geist, so viel schriftstellerischer
Begabung, kurz so ganz zur Produktion geschaffen, so wenig Eile zeigt, mit
dem Publikum in Verkehr zu treten. Er war bald ein Sechziger, als er sein
erstes und in gewissem Sinne einziges Buch veröffentlichte; zum Druck der
Aufsätze über Italien und Goethe hat er sich schließlich nur zögernd, wider¬
strebend, ans vielfaches Zureden vou Freunden verstanden. Publizitätsscheu
ist ein unter den Ballen, und oft gerade den besten, sehr verbreiteter Zug. Bei
Hehn hatte Bescheidenheit und etwas andres, das man Wohl nicht falsch als ein
Obi xrolÄnnrn vulgus bezeichnen darf, gleichen Anteil daran. Wenn Hehn
einmal in Bezug auf Goethe sagt: "So mögen auch hier die Einzelnen, die ihren
größten Dichter tief im Herzen tragen, über ihn lieber in Ehrfurcht schweigen,
als auf die Straße herabsteigen oder auf die Dächer treten, wo so laut und
voll Dünkel geredet wird," so giebt er damit seine eigne Normalstimmuug,
die aber doch zuweilen vou dem stärkern Drange, Zeugnis abzulegen von dem
Gott in seiner Brust, durchbrochen wurde. Öffnete er dann den Mund, so
kannte er kein Bedenken vor möglichem oder sicherm Anstoß. Ja er ist
manchmal in dem Gefühl, seine Rede sei, wie der Apostel sagt, den Heiden
eine Thorheit, eifriger geworden, als der beabsichtigten Wirkung gut gewesen
wäre. Dahin gehört der Abschnitt I'ro xoxnlo ItAlioo, zu dessen Rechtfertigung
er nachträglich schrieb: "Zu Harthörigen spricht man lauter, und der vorein¬
genommene und abgewandte oder auch nnr kalte und gleichgültige Leser wird
schon selbst den Abzug vornehmen, den die Wahrheit der Sache fordert"; dahin
gehört sehr vieles in "Goethe und das Publikum."

Hehns Raugstellung als Gelehrter beruht auf dem mehrfach genannten
Buche, dessen vollständiger Titel taillee: "Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem
Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien, sowie in das übrige
Europa. Historisch-linguistische Skizzen" (1. Auflage 1870, 5. Auflage 1887).
Worin sich in der Leistung eines Forschers Genialität zeigen kann, ist vor allem
die Stellung des Problems; hier ist sie genial in hohem Grade, dabei bezeich¬
nenderweise sehr persönlich. Es ist gleichsam der Dank des Nordländers an
den Süden, "in dem alle Quelleu unsrer Bildung liegen," dessen Natur in
ihrer "Harmonie und stillen Selbstgenügsamkeit" zu genießen ihn: zu einem
beträchtlichen Stücke seines Lebensglückes geworden war. Ist es sonst eine
geläufige Betrachtung, die Einwirkung der Natur auf die Geschichte des Menschen


nie bestritten. Eben dieser aristokratische Standpunkt gab ihm den unbefangenen
Blick und die tiefe Sympathie für das wirklich Volkstümliche. Und ähnlich
komplementär verhielten sich sein deutscher Patriotismus und sein Widerwille
gegen alle Arten vou Deutschtümelei, seine ganz nordische Bluts- und Geistes¬
beschaffenheit und seine Vorliebe, ja Parteinahme für südliche Natur nicht nur,
sondern auch Meuscheucirt.

Ohne Beispiel, wenigstens in Deutschland, wird es sein, daß ein Gelehrter
von so viel Kenntnissen, so viel originellem Geist, so viel schriftstellerischer
Begabung, kurz so ganz zur Produktion geschaffen, so wenig Eile zeigt, mit
dem Publikum in Verkehr zu treten. Er war bald ein Sechziger, als er sein
erstes und in gewissem Sinne einziges Buch veröffentlichte; zum Druck der
Aufsätze über Italien und Goethe hat er sich schließlich nur zögernd, wider¬
strebend, ans vielfaches Zureden vou Freunden verstanden. Publizitätsscheu
ist ein unter den Ballen, und oft gerade den besten, sehr verbreiteter Zug. Bei
Hehn hatte Bescheidenheit und etwas andres, das man Wohl nicht falsch als ein
Obi xrolÄnnrn vulgus bezeichnen darf, gleichen Anteil daran. Wenn Hehn
einmal in Bezug auf Goethe sagt: „So mögen auch hier die Einzelnen, die ihren
größten Dichter tief im Herzen tragen, über ihn lieber in Ehrfurcht schweigen,
als auf die Straße herabsteigen oder auf die Dächer treten, wo so laut und
voll Dünkel geredet wird," so giebt er damit seine eigne Normalstimmuug,
die aber doch zuweilen vou dem stärkern Drange, Zeugnis abzulegen von dem
Gott in seiner Brust, durchbrochen wurde. Öffnete er dann den Mund, so
kannte er kein Bedenken vor möglichem oder sicherm Anstoß. Ja er ist
manchmal in dem Gefühl, seine Rede sei, wie der Apostel sagt, den Heiden
eine Thorheit, eifriger geworden, als der beabsichtigten Wirkung gut gewesen
wäre. Dahin gehört der Abschnitt I'ro xoxnlo ItAlioo, zu dessen Rechtfertigung
er nachträglich schrieb: „Zu Harthörigen spricht man lauter, und der vorein¬
genommene und abgewandte oder auch nnr kalte und gleichgültige Leser wird
schon selbst den Abzug vornehmen, den die Wahrheit der Sache fordert"; dahin
gehört sehr vieles in „Goethe und das Publikum."

Hehns Raugstellung als Gelehrter beruht auf dem mehrfach genannten
Buche, dessen vollständiger Titel taillee: „Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem
Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien, sowie in das übrige
Europa. Historisch-linguistische Skizzen" (1. Auflage 1870, 5. Auflage 1887).
Worin sich in der Leistung eines Forschers Genialität zeigen kann, ist vor allem
die Stellung des Problems; hier ist sie genial in hohem Grade, dabei bezeich¬
nenderweise sehr persönlich. Es ist gleichsam der Dank des Nordländers an
den Süden, „in dem alle Quelleu unsrer Bildung liegen," dessen Natur in
ihrer „Harmonie und stillen Selbstgenügsamkeit" zu genießen ihn: zu einem
beträchtlichen Stücke seines Lebensglückes geworden war. Ist es sonst eine
geläufige Betrachtung, die Einwirkung der Natur auf die Geschichte des Menschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/319>, abgerufen am 26.06.2024.