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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumneumserinnerungen

staunen den Taktstock muss Pult und die Hände auf den Rücken und ließ das
Orchester eine Zeit lang allein spielen. Am Schlüsse des Scherzos klatschte
er in die Hände, dankte und versicherte, daß er den Satz noch nie so meister¬
haft habe spielen hören. Nur einen quälte er ein bischen: den Pauker. Der
stand ganz hinten, und sein ^. ^ ^ klang -- das konnten sogar nur Jungen
bestätigen --, ehe es bis vor zu deu Sängern kam, immer bloß wie ^1 ^ . das
Achtel horte man nicht. Dem ließ er keine Ruhe, bis ers ihm zu Danke
machte.

Man sieht, es war ein reicher und in vieler Beziehung beneidenswerter
künstlerischer Wirkungskreis, den wir neben unsern trocknen Schulpflichten
auszufüllen hatten. Nicht ganz so reich und nicht immer beneidenswert war
das, was uns dafür geboten wurde. Nun ja, wir wohnten auf der Schule
-- wie? das habe ich ja gezeigt --, wir hatten freien Schulunterricht, und
das war nicht zu verachten, wenn anch das Schulgeld damals weit niedriger
war als heutzutage, wir wurden endlich auch auf öffentliche Kosten verpflegt-
Diese Verpflegung entsprach nur leider durchaus unsern bescheidnen Wohnnngs-
verhältnissen. Wenn ich bedenke, daß iU"ouni8 ein altes Partizipium pr-w-
Mutis Mssivi von iüiM ist und eigentlich bedeutet: "einer, der ernährt wird,"
so erscheint mir der Name heute fast wie ein Spott auf unsre damalige Lage.
"

Die "Nahrung, die uus gereicht wurde, bestand täglich aus einem Wei߬
brot für drei Pfennige (einem sogenannten Dreierbrot), einem Pfund Schwarz¬
brot und einem warmen Mittagessen. Das Dreierbrvt bildete das Frühstück.
Ein paar Minuten vor Schluß der Arbeitsstunde ging der "Ultimus" hinunter
in die Küche nud holte deu Heukelkorb mit den zweiunddreißig Dreierbrötchen
herauf. Denn ging er, beim ersten Präfekten anfangend, der Reihe nach von
Platz zu Platz, und jeder suchte sich ein Brötchen ans -- beiläufig: eine nicht
sehr appetitliche Einrichtung. Denn jeder -- namentlich die ersten, denen noch
der volle Korb hingehalten wurde -- ließ erst so und so viel Brötchen durch
seine ungewaschenen Hände gehen und drückte dran herum, um zu sehen, welches
Wohl das knusprigste und zugleich flockigste wäre, auch die regelmäßigste Nun¬
dung hätte, bis er sich endlich für eins entschied. Man kaun sich denken, wie
die Brötchen aussahen, die für die letzten im Korbe blieben, besonders das
für den kleinen Herumträger: es war ein ganz zerquetschtes Huzel, das gewiß
durch zwanzig Hände gegangen war. Kaffee gab es nicht. Wer Kaffee trinken
oder Butter auf sein Brötchen haben wollte, mußte es aus seiner Tasche bezahlen.
Das thaten freilich die meisten, wohl alle. Sowie die Arbeitsstnnde zu Ende war,
lief alles in die Küche hinunter, um Kaffee zu holen; die Großen ließen sich
aber auch dabei wieder von den Kleinen bedienen. In der Küche hatte die
Bambeln einen mächtigen eisernen Topf voll dünnen Kaffees gekocht, in den
gleich etwas Milch geschüttet war, und da holte sich um" jeder für zwei oder
drei Pfennige ein Blcchnösel voll. Ans dem Nösel wurde er auch gleich ge-


Alumneumserinnerungen

staunen den Taktstock muss Pult und die Hände auf den Rücken und ließ das
Orchester eine Zeit lang allein spielen. Am Schlüsse des Scherzos klatschte
er in die Hände, dankte und versicherte, daß er den Satz noch nie so meister¬
haft habe spielen hören. Nur einen quälte er ein bischen: den Pauker. Der
stand ganz hinten, und sein ^. ^ ^ klang — das konnten sogar nur Jungen
bestätigen —, ehe es bis vor zu deu Sängern kam, immer bloß wie ^1 ^ . das
Achtel horte man nicht. Dem ließ er keine Ruhe, bis ers ihm zu Danke
machte.

Man sieht, es war ein reicher und in vieler Beziehung beneidenswerter
künstlerischer Wirkungskreis, den wir neben unsern trocknen Schulpflichten
auszufüllen hatten. Nicht ganz so reich und nicht immer beneidenswert war
das, was uns dafür geboten wurde. Nun ja, wir wohnten auf der Schule
— wie? das habe ich ja gezeigt —, wir hatten freien Schulunterricht, und
das war nicht zu verachten, wenn anch das Schulgeld damals weit niedriger
war als heutzutage, wir wurden endlich auch auf öffentliche Kosten verpflegt-
Diese Verpflegung entsprach nur leider durchaus unsern bescheidnen Wohnnngs-
verhältnissen. Wenn ich bedenke, daß iU„ouni8 ein altes Partizipium pr-w-
Mutis Mssivi von iüiM ist und eigentlich bedeutet: „einer, der ernährt wird,"
so erscheint mir der Name heute fast wie ein Spott auf unsre damalige Lage.
"

Die „Nahrung, die uus gereicht wurde, bestand täglich aus einem Wei߬
brot für drei Pfennige (einem sogenannten Dreierbrot), einem Pfund Schwarz¬
brot und einem warmen Mittagessen. Das Dreierbrvt bildete das Frühstück.
Ein paar Minuten vor Schluß der Arbeitsstunde ging der „Ultimus" hinunter
in die Küche nud holte deu Heukelkorb mit den zweiunddreißig Dreierbrötchen
herauf. Denn ging er, beim ersten Präfekten anfangend, der Reihe nach von
Platz zu Platz, und jeder suchte sich ein Brötchen ans — beiläufig: eine nicht
sehr appetitliche Einrichtung. Denn jeder — namentlich die ersten, denen noch
der volle Korb hingehalten wurde — ließ erst so und so viel Brötchen durch
seine ungewaschenen Hände gehen und drückte dran herum, um zu sehen, welches
Wohl das knusprigste und zugleich flockigste wäre, auch die regelmäßigste Nun¬
dung hätte, bis er sich endlich für eins entschied. Man kaun sich denken, wie
die Brötchen aussahen, die für die letzten im Korbe blieben, besonders das
für den kleinen Herumträger: es war ein ganz zerquetschtes Huzel, das gewiß
durch zwanzig Hände gegangen war. Kaffee gab es nicht. Wer Kaffee trinken
oder Butter auf sein Brötchen haben wollte, mußte es aus seiner Tasche bezahlen.
Das thaten freilich die meisten, wohl alle. Sowie die Arbeitsstnnde zu Ende war,
lief alles in die Küche hinunter, um Kaffee zu holen; die Großen ließen sich
aber auch dabei wieder von den Kleinen bedienen. In der Küche hatte die
Bambeln einen mächtigen eisernen Topf voll dünnen Kaffees gekocht, in den
gleich etwas Milch geschüttet war, und da holte sich um» jeder für zwei oder
drei Pfennige ein Blcchnösel voll. Ans dem Nösel wurde er auch gleich ge-


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[0195] Alumneumserinnerungen staunen den Taktstock muss Pult und die Hände auf den Rücken und ließ das Orchester eine Zeit lang allein spielen. Am Schlüsse des Scherzos klatschte er in die Hände, dankte und versicherte, daß er den Satz noch nie so meister¬ haft habe spielen hören. Nur einen quälte er ein bischen: den Pauker. Der stand ganz hinten, und sein ^. ^ ^ klang — das konnten sogar nur Jungen bestätigen —, ehe es bis vor zu deu Sängern kam, immer bloß wie ^1 ^ . das Achtel horte man nicht. Dem ließ er keine Ruhe, bis ers ihm zu Danke machte. Man sieht, es war ein reicher und in vieler Beziehung beneidenswerter künstlerischer Wirkungskreis, den wir neben unsern trocknen Schulpflichten auszufüllen hatten. Nicht ganz so reich und nicht immer beneidenswert war das, was uns dafür geboten wurde. Nun ja, wir wohnten auf der Schule — wie? das habe ich ja gezeigt —, wir hatten freien Schulunterricht, und das war nicht zu verachten, wenn anch das Schulgeld damals weit niedriger war als heutzutage, wir wurden endlich auch auf öffentliche Kosten verpflegt- Diese Verpflegung entsprach nur leider durchaus unsern bescheidnen Wohnnngs- verhältnissen. Wenn ich bedenke, daß iU„ouni8 ein altes Partizipium pr-w- Mutis Mssivi von iüiM ist und eigentlich bedeutet: „einer, der ernährt wird," so erscheint mir der Name heute fast wie ein Spott auf unsre damalige Lage. " Die „Nahrung, die uus gereicht wurde, bestand täglich aus einem Wei߬ brot für drei Pfennige (einem sogenannten Dreierbrot), einem Pfund Schwarz¬ brot und einem warmen Mittagessen. Das Dreierbrvt bildete das Frühstück. Ein paar Minuten vor Schluß der Arbeitsstunde ging der „Ultimus" hinunter in die Küche nud holte deu Heukelkorb mit den zweiunddreißig Dreierbrötchen herauf. Denn ging er, beim ersten Präfekten anfangend, der Reihe nach von Platz zu Platz, und jeder suchte sich ein Brötchen ans — beiläufig: eine nicht sehr appetitliche Einrichtung. Denn jeder — namentlich die ersten, denen noch der volle Korb hingehalten wurde — ließ erst so und so viel Brötchen durch seine ungewaschenen Hände gehen und drückte dran herum, um zu sehen, welches Wohl das knusprigste und zugleich flockigste wäre, auch die regelmäßigste Nun¬ dung hätte, bis er sich endlich für eins entschied. Man kaun sich denken, wie die Brötchen aussahen, die für die letzten im Korbe blieben, besonders das für den kleinen Herumträger: es war ein ganz zerquetschtes Huzel, das gewiß durch zwanzig Hände gegangen war. Kaffee gab es nicht. Wer Kaffee trinken oder Butter auf sein Brötchen haben wollte, mußte es aus seiner Tasche bezahlen. Das thaten freilich die meisten, wohl alle. Sowie die Arbeitsstnnde zu Ende war, lief alles in die Küche hinunter, um Kaffee zu holen; die Großen ließen sich aber auch dabei wieder von den Kleinen bedienen. In der Küche hatte die Bambeln einen mächtigen eisernen Topf voll dünnen Kaffees gekocht, in den gleich etwas Milch geschüttet war, und da holte sich um» jeder für zwei oder drei Pfennige ein Blcchnösel voll. Ans dem Nösel wurde er auch gleich ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/195>, abgerufen am 26.06.2024.