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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumiieumserimierungeii

beteiligten sieben in aller Stille den verruchten Gedanken zur Erwägung gab,
ob es heute nicht angezeigt sei, einmal zu schwarzen. Bei der kleinen An¬
zahl der Beteiligten war Einverständnis leicht zu erzielen, und leider kann ich
nicht verschweigen, daß die Schlechtigkeit so weit getrieben wurde, daß wir uns
mit Gesangbuch und Zylinder an der Schulthür versammelten und, ehe wir
abgingen, uns von den hereinkommenden Lehrern auch erst noch bedauern
ließen, daß wir "schon wieder" zu singen hätten. Dann wurde beratschlagt, ob
wir lieber anus 1^ drauä M'am oder eliM8 es ^otg,rü'a,no M'ain gehen oder lieber
in der Vorstadt ein Stündchen Villard spielen wollten, denn natürlich mußte
ein stilles Fleckchen aufgesucht werden, wo uns so leicht niemand entdecken
konnte/ Einmal ereilte uns aber doch das Verhängnis, wenn wir auch noch
unverdientes Glück dabei hatten. Als wir eines Nachmittags dnrch die
Pirnische Gasse steuerten, scheinbar hinaus nach dem Elias- oder dem "weiten"
Kirchhof, begegnete uns zu ganz ungewohnter Stunde und an ganz unge¬
wohntem Orte -- der Kantor! ,,J, wo wollt ihr denn hin?" -- "Wir haben
einen Bür auf dem weiten Kirchhof," erwidert rasch entschlossen der Präfekt. --
"So? ich weiß ja gar nichts davon." -- "Ja, es ist ans dem Alumneum
bestellt worden, vorhin erst." Damit war das Verhör zu Ende, und wir
konnten weiterziehen. Abgesehen von dem ausgestandner Schrecken hatten wir
nur die eine Strafe, daß wir dem Kantor zwanzig Neugroschen aus unsrer
Tasche zahlen mußten -- den ihm zukommenden Anteil am Singegeld.

Schändlicherweise beteiligten sich aber an solchen Schwänzbären sogar
solche, die mit dem Kirchhofsingen gar nichts zu thun hatten. Es konnte das
freilich nur bei Lehrern gewagt werden, die von der ganzen Einrichtung des
Singechors keine rechte Kunde hatten, und das harmloseste Gemüt in dieser
Beziehung war der Korrektor, ein grundgelehrtes Hans, ein hervorragender
Kenner des Griechischen und vor allem des Hebräischen, aber ein ganz zurück¬
gezogener Vüchermensch, der keine Ahnung davon hatte, wies im Leben her¬
ging, und in allem, was Musik betraf, ein reines Kind. Sein Spitzname war
"der Pietsch." Die eine Klasse war einmal sehr stark mit Alumnen besetzt; es
waren wohl elf oder zwölf darin. Als diese Klasse nach Obersekunda ausrückte,
wo der Pietsch Klassenlehrer war, da begann allerdings ein arges Treiben.
Wir hatten ans den Text des Liedes "Wer nur den lieben Gott läßt walten"
vier verschiedne Melodien; eine davon war kurz zuvor neu eingeführt worden,
sie war etwas süßlich, aber gerade deshalb beim Publikum sehr beliebt. Da
wurde nun ausgemacht, daß, wenn der Pietsch einmal zur Morgenandacht ein
Lied nach der Melodie "Wer nur den lieben Gott läßt walten" bestimmen
würde, alle vier Melodien gleichzeitig gesungen werden sollten. Es war das
leicht durchzuführen, denn die Alumnen saßen in der ganzen Klasse verteilt,
je zwei oder drei saugen stramm und "unentwegt" ihre Melodie, und die
herumsitzenden Extraner sangen mit. Dieser eigentümliche Gesang fiel aber doch


Alumiieumserimierungeii

beteiligten sieben in aller Stille den verruchten Gedanken zur Erwägung gab,
ob es heute nicht angezeigt sei, einmal zu schwarzen. Bei der kleinen An¬
zahl der Beteiligten war Einverständnis leicht zu erzielen, und leider kann ich
nicht verschweigen, daß die Schlechtigkeit so weit getrieben wurde, daß wir uns
mit Gesangbuch und Zylinder an der Schulthür versammelten und, ehe wir
abgingen, uns von den hereinkommenden Lehrern auch erst noch bedauern
ließen, daß wir „schon wieder" zu singen hätten. Dann wurde beratschlagt, ob
wir lieber anus 1^ drauä M'am oder eliM8 es ^otg,rü'a,no M'ain gehen oder lieber
in der Vorstadt ein Stündchen Villard spielen wollten, denn natürlich mußte
ein stilles Fleckchen aufgesucht werden, wo uns so leicht niemand entdecken
konnte/ Einmal ereilte uns aber doch das Verhängnis, wenn wir auch noch
unverdientes Glück dabei hatten. Als wir eines Nachmittags dnrch die
Pirnische Gasse steuerten, scheinbar hinaus nach dem Elias- oder dem „weiten"
Kirchhof, begegnete uns zu ganz ungewohnter Stunde und an ganz unge¬
wohntem Orte — der Kantor! ,,J, wo wollt ihr denn hin?" — „Wir haben
einen Bür auf dem weiten Kirchhof," erwidert rasch entschlossen der Präfekt. —
„So? ich weiß ja gar nichts davon." — „Ja, es ist ans dem Alumneum
bestellt worden, vorhin erst." Damit war das Verhör zu Ende, und wir
konnten weiterziehen. Abgesehen von dem ausgestandner Schrecken hatten wir
nur die eine Strafe, daß wir dem Kantor zwanzig Neugroschen aus unsrer
Tasche zahlen mußten — den ihm zukommenden Anteil am Singegeld.

Schändlicherweise beteiligten sich aber an solchen Schwänzbären sogar
solche, die mit dem Kirchhofsingen gar nichts zu thun hatten. Es konnte das
freilich nur bei Lehrern gewagt werden, die von der ganzen Einrichtung des
Singechors keine rechte Kunde hatten, und das harmloseste Gemüt in dieser
Beziehung war der Korrektor, ein grundgelehrtes Hans, ein hervorragender
Kenner des Griechischen und vor allem des Hebräischen, aber ein ganz zurück¬
gezogener Vüchermensch, der keine Ahnung davon hatte, wies im Leben her¬
ging, und in allem, was Musik betraf, ein reines Kind. Sein Spitzname war
„der Pietsch." Die eine Klasse war einmal sehr stark mit Alumnen besetzt; es
waren wohl elf oder zwölf darin. Als diese Klasse nach Obersekunda ausrückte,
wo der Pietsch Klassenlehrer war, da begann allerdings ein arges Treiben.
Wir hatten ans den Text des Liedes „Wer nur den lieben Gott läßt walten"
vier verschiedne Melodien; eine davon war kurz zuvor neu eingeführt worden,
sie war etwas süßlich, aber gerade deshalb beim Publikum sehr beliebt. Da
wurde nun ausgemacht, daß, wenn der Pietsch einmal zur Morgenandacht ein
Lied nach der Melodie „Wer nur den lieben Gott läßt walten" bestimmen
würde, alle vier Melodien gleichzeitig gesungen werden sollten. Es war das
leicht durchzuführen, denn die Alumnen saßen in der ganzen Klasse verteilt,
je zwei oder drei saugen stramm und „unentwegt" ihre Melodie, und die
herumsitzenden Extraner sangen mit. Dieser eigentümliche Gesang fiel aber doch


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[0188] Alumiieumserimierungeii beteiligten sieben in aller Stille den verruchten Gedanken zur Erwägung gab, ob es heute nicht angezeigt sei, einmal zu schwarzen. Bei der kleinen An¬ zahl der Beteiligten war Einverständnis leicht zu erzielen, und leider kann ich nicht verschweigen, daß die Schlechtigkeit so weit getrieben wurde, daß wir uns mit Gesangbuch und Zylinder an der Schulthür versammelten und, ehe wir abgingen, uns von den hereinkommenden Lehrern auch erst noch bedauern ließen, daß wir „schon wieder" zu singen hätten. Dann wurde beratschlagt, ob wir lieber anus 1^ drauä M'am oder eliM8 es ^otg,rü'a,no M'ain gehen oder lieber in der Vorstadt ein Stündchen Villard spielen wollten, denn natürlich mußte ein stilles Fleckchen aufgesucht werden, wo uns so leicht niemand entdecken konnte/ Einmal ereilte uns aber doch das Verhängnis, wenn wir auch noch unverdientes Glück dabei hatten. Als wir eines Nachmittags dnrch die Pirnische Gasse steuerten, scheinbar hinaus nach dem Elias- oder dem „weiten" Kirchhof, begegnete uns zu ganz ungewohnter Stunde und an ganz unge¬ wohntem Orte — der Kantor! ,,J, wo wollt ihr denn hin?" — „Wir haben einen Bür auf dem weiten Kirchhof," erwidert rasch entschlossen der Präfekt. — „So? ich weiß ja gar nichts davon." — „Ja, es ist ans dem Alumneum bestellt worden, vorhin erst." Damit war das Verhör zu Ende, und wir konnten weiterziehen. Abgesehen von dem ausgestandner Schrecken hatten wir nur die eine Strafe, daß wir dem Kantor zwanzig Neugroschen aus unsrer Tasche zahlen mußten — den ihm zukommenden Anteil am Singegeld. Schändlicherweise beteiligten sich aber an solchen Schwänzbären sogar solche, die mit dem Kirchhofsingen gar nichts zu thun hatten. Es konnte das freilich nur bei Lehrern gewagt werden, die von der ganzen Einrichtung des Singechors keine rechte Kunde hatten, und das harmloseste Gemüt in dieser Beziehung war der Korrektor, ein grundgelehrtes Hans, ein hervorragender Kenner des Griechischen und vor allem des Hebräischen, aber ein ganz zurück¬ gezogener Vüchermensch, der keine Ahnung davon hatte, wies im Leben her¬ ging, und in allem, was Musik betraf, ein reines Kind. Sein Spitzname war „der Pietsch." Die eine Klasse war einmal sehr stark mit Alumnen besetzt; es waren wohl elf oder zwölf darin. Als diese Klasse nach Obersekunda ausrückte, wo der Pietsch Klassenlehrer war, da begann allerdings ein arges Treiben. Wir hatten ans den Text des Liedes „Wer nur den lieben Gott läßt walten" vier verschiedne Melodien; eine davon war kurz zuvor neu eingeführt worden, sie war etwas süßlich, aber gerade deshalb beim Publikum sehr beliebt. Da wurde nun ausgemacht, daß, wenn der Pietsch einmal zur Morgenandacht ein Lied nach der Melodie „Wer nur den lieben Gott läßt walten" bestimmen würde, alle vier Melodien gleichzeitig gesungen werden sollten. Es war das leicht durchzuführen, denn die Alumnen saßen in der ganzen Klasse verteilt, je zwei oder drei saugen stramm und „unentwegt" ihre Melodie, und die herumsitzenden Extraner sangen mit. Dieser eigentümliche Gesang fiel aber doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/188>, abgerufen am 26.06.2024.