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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Feldlnblioihek des Fürsten von sont'ise

zwanzig Jahre" vielfach Gelegenheit gehabt, eine ganz auffällige Unwissenheit
der Franzosen über alles, was außerhalb ihrer Grenzen vor sich geht, zu
beobachten; selbst größere deutsche Städte sind ihnen böhmische Dörfer, und
über unsre innern Zustände hegen sie die seltsamsten Meinungen. In dieser
Beziehung ist es nicht ganz unwichtig, zu bemerken, daß in der Bibliothek des
Fürsten von Soubise eine Abteilung "Geographie" ganz fehlt und daß über
den preußischen Staat und das preußische Heer, gegen das er ins Feld zu
ziehen im Begriff steht, kein einziges Buch in dieser Vüchersammlung zu finden
ist. Diese Unkenntnis des preußischen Wesens hat sich an den Franzosen nicht
nur unter Napoleon I. und III., sondern schon unter Ludwig XV. bitter ge¬
rächt. Die Niederlage von Roßbach war die Antwort ans französische An¬
maßung und Überhebung.

Über die andern kleinern Abteilungen der Bibliothek können wir rasch
hinweggehen. Gute und zahlreiche Bücher sind über die schönen Künste, die
Malerei, Bildhauerei und Baukunst (S. 7 und 8, 13) und über die Sprach¬
wissenschaft (S. 8) aufgenommen; wir finden französische, italienische, deutsche
und englische Grammatiker, französisch-italienische, französisch-deutsche und
französisch-englische Wörterbücher. Auch die philosophische Sammlung ist
ziemlich stark und enthält die meisten französischen und englischen Modeschrift¬
steller jener Zeit. Was noch übrig bleibt, sind Handbücher über Medizin und
Anatomie, Naturwissenschaften, Staats- und Hauswirtschaft und eine große
Zahl Einzelabhandlnngen, darunter vieles Vortreffliche, aber mich manches
recht Seltsame. Schwer begreift man, warum der Buchhändler ein Werk
"Über die Erziehung der kleinen Kinder" (IZ"8"is sur l'väuvittio", ">v" polie"
onskms, S. 13) in seine Negimentsbibliothek aufnahm. Den "Tanzmeister"
(Joe Nmtrs ü, (Iimsor, xm.- Ilg-iuviru, I?ig'. S. 7) hätte der Fürst von Soubise
ebenfalls in Frankreich lassen können. Und was sollten seine Offiziere an¬
fangen mit der "Kunst, die Hühnereier künstlich auszubrüten" (I/^re alö
öolorro ä"8 oouks, xar N. Ap Roanmnr, 2 vol., S. 11) oder mit einer
"Französischen Sprachlehre für junge Damen" (Wiotori<imo Pranysise ü, 1'u8i>Ho
des Vvnr0i8vllo8, S. 8)? Oder was halfen ihnen nach der Schmach von Ro߬
bach die "Ermahnungen eines Vaters an seine Tochter" (^öl8 ä'ein I','','<>
8^ ullo, S. 9) oder endlich die "Kunst, das Zwerchfell zu erschüttern" (1/^.i't,
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Männer!

Aber ist nicht vielleicht die Flugschrift überhaupt nur eine Spottschrift?
und die angebliche Feldbiblivthek des Fürsten von Soubise erdichtet? erdichtet,
um zu der Schmach vou Roßbach die Lächerlichkeit zu häufen! Die Art und
Weise, wie der Herausgeber der Flugschrift die in Weißenfels erbeutete
Bibliothek sofort zu Makulatur macht, könnte einen wohl auf diesen Gedanken
bringen. Aber dem Verzeichnis ist doch zu deutlich der Stempel der Wahr-


Die Feldlnblioihek des Fürsten von sont'ise

zwanzig Jahre» vielfach Gelegenheit gehabt, eine ganz auffällige Unwissenheit
der Franzosen über alles, was außerhalb ihrer Grenzen vor sich geht, zu
beobachten; selbst größere deutsche Städte sind ihnen böhmische Dörfer, und
über unsre innern Zustände hegen sie die seltsamsten Meinungen. In dieser
Beziehung ist es nicht ganz unwichtig, zu bemerken, daß in der Bibliothek des
Fürsten von Soubise eine Abteilung „Geographie" ganz fehlt und daß über
den preußischen Staat und das preußische Heer, gegen das er ins Feld zu
ziehen im Begriff steht, kein einziges Buch in dieser Vüchersammlung zu finden
ist. Diese Unkenntnis des preußischen Wesens hat sich an den Franzosen nicht
nur unter Napoleon I. und III., sondern schon unter Ludwig XV. bitter ge¬
rächt. Die Niederlage von Roßbach war die Antwort ans französische An¬
maßung und Überhebung.

Über die andern kleinern Abteilungen der Bibliothek können wir rasch
hinweggehen. Gute und zahlreiche Bücher sind über die schönen Künste, die
Malerei, Bildhauerei und Baukunst (S. 7 und 8, 13) und über die Sprach¬
wissenschaft (S. 8) aufgenommen; wir finden französische, italienische, deutsche
und englische Grammatiker, französisch-italienische, französisch-deutsche und
französisch-englische Wörterbücher. Auch die philosophische Sammlung ist
ziemlich stark und enthält die meisten französischen und englischen Modeschrift¬
steller jener Zeit. Was noch übrig bleibt, sind Handbücher über Medizin und
Anatomie, Naturwissenschaften, Staats- und Hauswirtschaft und eine große
Zahl Einzelabhandlnngen, darunter vieles Vortreffliche, aber mich manches
recht Seltsame. Schwer begreift man, warum der Buchhändler ein Werk
„Über die Erziehung der kleinen Kinder" (IZ«8»is sur l'väuvittio«, «>v« polie«
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fangen mit der „Kunst, die Hühnereier künstlich auszubrüten" (I/^re alö
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Männer!

Aber ist nicht vielleicht die Flugschrift überhaupt nur eine Spottschrift?
und die angebliche Feldbiblivthek des Fürsten von Soubise erdichtet? erdichtet,
um zu der Schmach vou Roßbach die Lächerlichkeit zu häufen! Die Art und
Weise, wie der Herausgeber der Flugschrift die in Weißenfels erbeutete
Bibliothek sofort zu Makulatur macht, könnte einen wohl auf diesen Gedanken
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[0174] Die Feldlnblioihek des Fürsten von sont'ise zwanzig Jahre» vielfach Gelegenheit gehabt, eine ganz auffällige Unwissenheit der Franzosen über alles, was außerhalb ihrer Grenzen vor sich geht, zu beobachten; selbst größere deutsche Städte sind ihnen böhmische Dörfer, und über unsre innern Zustände hegen sie die seltsamsten Meinungen. In dieser Beziehung ist es nicht ganz unwichtig, zu bemerken, daß in der Bibliothek des Fürsten von Soubise eine Abteilung „Geographie" ganz fehlt und daß über den preußischen Staat und das preußische Heer, gegen das er ins Feld zu ziehen im Begriff steht, kein einziges Buch in dieser Vüchersammlung zu finden ist. Diese Unkenntnis des preußischen Wesens hat sich an den Franzosen nicht nur unter Napoleon I. und III., sondern schon unter Ludwig XV. bitter ge¬ rächt. Die Niederlage von Roßbach war die Antwort ans französische An¬ maßung und Überhebung. Über die andern kleinern Abteilungen der Bibliothek können wir rasch hinweggehen. Gute und zahlreiche Bücher sind über die schönen Künste, die Malerei, Bildhauerei und Baukunst (S. 7 und 8, 13) und über die Sprach¬ wissenschaft (S. 8) aufgenommen; wir finden französische, italienische, deutsche und englische Grammatiker, französisch-italienische, französisch-deutsche und französisch-englische Wörterbücher. Auch die philosophische Sammlung ist ziemlich stark und enthält die meisten französischen und englischen Modeschrift¬ steller jener Zeit. Was noch übrig bleibt, sind Handbücher über Medizin und Anatomie, Naturwissenschaften, Staats- und Hauswirtschaft und eine große Zahl Einzelabhandlnngen, darunter vieles Vortreffliche, aber mich manches recht Seltsame. Schwer begreift man, warum der Buchhändler ein Werk „Über die Erziehung der kleinen Kinder" (IZ«8»is sur l'väuvittio«, «>v« polie« onskms, S. 13) in seine Negimentsbibliothek aufnahm. Den „Tanzmeister" (Joe Nmtrs ü, (Iimsor, xm.- Ilg-iuviru, I?ig'. S. 7) hätte der Fürst von Soubise ebenfalls in Frankreich lassen können. Und was sollten seine Offiziere an¬ fangen mit der „Kunst, die Hühnereier künstlich auszubrüten" (I/^re alö öolorro ä«8 oouks, xar N. Ap Roanmnr, 2 vol., S. 11) oder mit einer „Französischen Sprachlehre für junge Damen" (Wiotori<imo Pranysise ü, 1'u8i>Ho des Vvnr0i8vllo8, S. 8)? Oder was halfen ihnen nach der Schmach von Ro߬ bach die „Ermahnungen eines Vaters an seine Tochter" (^öl8 ä'ein I','','<> 8^ ullo, S. 9) oder endlich die „Kunst, das Zwerchfell zu erschüttern" (1/^.i't, av ä080pxll6r tu. r-res)? Das klingt doch wie Spott und Hohn auf ernste Männer! Aber ist nicht vielleicht die Flugschrift überhaupt nur eine Spottschrift? und die angebliche Feldbiblivthek des Fürsten von Soubise erdichtet? erdichtet, um zu der Schmach vou Roßbach die Lächerlichkeit zu häufen! Die Art und Weise, wie der Herausgeber der Flugschrift die in Weißenfels erbeutete Bibliothek sofort zu Makulatur macht, könnte einen wohl auf diesen Gedanken bringen. Aber dem Verzeichnis ist doch zu deutlich der Stempel der Wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/174>, abgerufen am 25.07.2024.