Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen

mutig geworden. Ein mächtiger Rückhalt würde ihm an der großen Beamten¬
zahl gewährt werden; denn mir allzu sehr wird von dieser das fehlende kaus-
müuuische Element, werden die Großgrundbesitzer vermißt, die in die Einseitig¬
keit und Einförmigkeit des Beamtenlebeus Abwechslung bringen könnten. Man
stelle die Mitgliederzahl der Nichtbeamten und Nichtstudirten in den deutschen
Kasinos, die, von Straßburg abgesehen, deu Mittelpunkt des geselligen Ver¬
kehrs bilden, zusammen, und man wird über ihre geringe Zahl erstaunt sein.
Ein lebhafter Zuzug der Gewerbe- und Handeltreibenden aus Altdeutschland
würde auch auf die öffentlichen Angelegenheiten eine günstige Einwirkung nicht
verfehlen. Man könnte daran denken, unter der Mitarbeit solcher Kräfte in
die Gemeindeverwaltungeu, die jetzt auf der Grundlage der französischen Gesetz¬
gebung in vollster Abhängigkeit vom Staate stehen, das deutsche Prinzip der
Selbstverwaltung hineinzutragen. Denn anders als der Franzose, der seinen
Beamten zwar mit gewaltigen staatlichen Machtbefugnissen ausstattet, aber ihn
doch wieder in jedem Augenblick aus seiner Stellung entfernt, bethätigt der
deutsche Bürger im öffentlichen Leben seine Teilnahme an der Einrichtung selbst
und übt seine Kontrolle in der Mitwirkung.

Insbesondere aber möge es dem altdeutschen Publikum ans Herz gelegt
sein, Elsaß-Lothringen zahlreicher, als es bisher geschehen ist, aufzusuchen und
Land und Leute kennen zu lernen. Ein solcher Anreiz bestand bis in das
Ende des vorigen Jahrhunderts, wie es die Beispiele Goethes, Herders und
der um sie versammelten Gesellschaft zeigen. Er scheint jetzt verschwunden zu
sein. Es verlohnt sich, die kleinern Ortschaften auch außerhalb Straßburgs zu
besuchen. Vom Schwarzwald, vou der Schweiz und dem Jura aus sind die
Blicke nach deu Vogesen gerichtet. Die Reisenden sehen das Gebirge vor sich
liegen, mögen aber nicht ins Innere eindringen. Ohne Zweifel find die Vo-
gesen dem Schwarzwald nicht gleichwertig in der Naturschönheit, in der Auf¬
nahme und Verpflegung der Fremden durch die nicht immer gastfreundlichen
Bewohner. Auch find die Wege nicht so leicht und bequem. Erst nach dem
Kriege, seit der "Schwabenzeit" ist das Interesse für die Besteigung der Berge
erwacht. Aber nach dem Schwarzwald sind die Vogesen gewiß das herrlichste
deutsche Mittelgebirge, und sie können es an Fernsicht auf die Alpen von den
Höhen der beiden Welchen und des Roßberg mit diesem aufnehmen. Und um
die alten Burgruinen und Bergeshnlden schwebt die deutsche Sage und Er¬
zählung, die von den Niesen bei Niedeck, von dein Kampfe Walters von Aaui-
tauien, dem Waltariliede und von ruhmvollen Geschlechtern berichtet. Das
Se. Amariner und das Wesserlinger Thal, das waldumkrnnzte Zabern laden
jeden ein, der sich vom Lärm in die Einsamkeit zurückziehen will. Sollte
überhaupt erst einmal ein regerer Verkehr in den Vogesen stattfinden, dann
wird es mich dem Furchtsamern minder bedenklich erscheinen, auf den Kamm¬
partien den französischen Boden zu betreten. Niederbronn, ein Bad, dessen


Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen

mutig geworden. Ein mächtiger Rückhalt würde ihm an der großen Beamten¬
zahl gewährt werden; denn mir allzu sehr wird von dieser das fehlende kaus-
müuuische Element, werden die Großgrundbesitzer vermißt, die in die Einseitig¬
keit und Einförmigkeit des Beamtenlebeus Abwechslung bringen könnten. Man
stelle die Mitgliederzahl der Nichtbeamten und Nichtstudirten in den deutschen
Kasinos, die, von Straßburg abgesehen, deu Mittelpunkt des geselligen Ver¬
kehrs bilden, zusammen, und man wird über ihre geringe Zahl erstaunt sein.
Ein lebhafter Zuzug der Gewerbe- und Handeltreibenden aus Altdeutschland
würde auch auf die öffentlichen Angelegenheiten eine günstige Einwirkung nicht
verfehlen. Man könnte daran denken, unter der Mitarbeit solcher Kräfte in
die Gemeindeverwaltungeu, die jetzt auf der Grundlage der französischen Gesetz¬
gebung in vollster Abhängigkeit vom Staate stehen, das deutsche Prinzip der
Selbstverwaltung hineinzutragen. Denn anders als der Franzose, der seinen
Beamten zwar mit gewaltigen staatlichen Machtbefugnissen ausstattet, aber ihn
doch wieder in jedem Augenblick aus seiner Stellung entfernt, bethätigt der
deutsche Bürger im öffentlichen Leben seine Teilnahme an der Einrichtung selbst
und übt seine Kontrolle in der Mitwirkung.

Insbesondere aber möge es dem altdeutschen Publikum ans Herz gelegt
sein, Elsaß-Lothringen zahlreicher, als es bisher geschehen ist, aufzusuchen und
Land und Leute kennen zu lernen. Ein solcher Anreiz bestand bis in das
Ende des vorigen Jahrhunderts, wie es die Beispiele Goethes, Herders und
der um sie versammelten Gesellschaft zeigen. Er scheint jetzt verschwunden zu
sein. Es verlohnt sich, die kleinern Ortschaften auch außerhalb Straßburgs zu
besuchen. Vom Schwarzwald, vou der Schweiz und dem Jura aus sind die
Blicke nach deu Vogesen gerichtet. Die Reisenden sehen das Gebirge vor sich
liegen, mögen aber nicht ins Innere eindringen. Ohne Zweifel find die Vo-
gesen dem Schwarzwald nicht gleichwertig in der Naturschönheit, in der Auf¬
nahme und Verpflegung der Fremden durch die nicht immer gastfreundlichen
Bewohner. Auch find die Wege nicht so leicht und bequem. Erst nach dem
Kriege, seit der „Schwabenzeit" ist das Interesse für die Besteigung der Berge
erwacht. Aber nach dem Schwarzwald sind die Vogesen gewiß das herrlichste
deutsche Mittelgebirge, und sie können es an Fernsicht auf die Alpen von den
Höhen der beiden Welchen und des Roßberg mit diesem aufnehmen. Und um
die alten Burgruinen und Bergeshnlden schwebt die deutsche Sage und Er¬
zählung, die von den Niesen bei Niedeck, von dein Kampfe Walters von Aaui-
tauien, dem Waltariliede und von ruhmvollen Geschlechtern berichtet. Das
Se. Amariner und das Wesserlinger Thal, das waldumkrnnzte Zabern laden
jeden ein, der sich vom Lärm in die Einsamkeit zurückziehen will. Sollte
überhaupt erst einmal ein regerer Verkehr in den Vogesen stattfinden, dann
wird es mich dem Furchtsamern minder bedenklich erscheinen, auf den Kamm¬
partien den französischen Boden zu betreten. Niederbronn, ein Bad, dessen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208051"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_303" prev="#ID_302"> mutig geworden. Ein mächtiger Rückhalt würde ihm an der großen Beamten¬<lb/>
zahl gewährt werden; denn mir allzu sehr wird von dieser das fehlende kaus-<lb/>
müuuische Element, werden die Großgrundbesitzer vermißt, die in die Einseitig¬<lb/>
keit und Einförmigkeit des Beamtenlebeus Abwechslung bringen könnten. Man<lb/>
stelle die Mitgliederzahl der Nichtbeamten und Nichtstudirten in den deutschen<lb/>
Kasinos, die, von Straßburg abgesehen, deu Mittelpunkt des geselligen Ver¬<lb/>
kehrs bilden, zusammen, und man wird über ihre geringe Zahl erstaunt sein.<lb/>
Ein lebhafter Zuzug der Gewerbe- und Handeltreibenden aus Altdeutschland<lb/>
würde auch auf die öffentlichen Angelegenheiten eine günstige Einwirkung nicht<lb/>
verfehlen. Man könnte daran denken, unter der Mitarbeit solcher Kräfte in<lb/>
die Gemeindeverwaltungeu, die jetzt auf der Grundlage der französischen Gesetz¬<lb/>
gebung in vollster Abhängigkeit vom Staate stehen, das deutsche Prinzip der<lb/>
Selbstverwaltung hineinzutragen. Denn anders als der Franzose, der seinen<lb/>
Beamten zwar mit gewaltigen staatlichen Machtbefugnissen ausstattet, aber ihn<lb/>
doch wieder in jedem Augenblick aus seiner Stellung entfernt, bethätigt der<lb/>
deutsche Bürger im öffentlichen Leben seine Teilnahme an der Einrichtung selbst<lb/>
und übt seine Kontrolle in der Mitwirkung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_304" next="#ID_305"> Insbesondere aber möge es dem altdeutschen Publikum ans Herz gelegt<lb/>
sein, Elsaß-Lothringen zahlreicher, als es bisher geschehen ist, aufzusuchen und<lb/>
Land und Leute kennen zu lernen. Ein solcher Anreiz bestand bis in das<lb/>
Ende des vorigen Jahrhunderts, wie es die Beispiele Goethes, Herders und<lb/>
der um sie versammelten Gesellschaft zeigen. Er scheint jetzt verschwunden zu<lb/>
sein. Es verlohnt sich, die kleinern Ortschaften auch außerhalb Straßburgs zu<lb/>
besuchen. Vom Schwarzwald, vou der Schweiz und dem Jura aus sind die<lb/>
Blicke nach deu Vogesen gerichtet. Die Reisenden sehen das Gebirge vor sich<lb/>
liegen, mögen aber nicht ins Innere eindringen. Ohne Zweifel find die Vo-<lb/>
gesen dem Schwarzwald nicht gleichwertig in der Naturschönheit, in der Auf¬<lb/>
nahme und Verpflegung der Fremden durch die nicht immer gastfreundlichen<lb/>
Bewohner. Auch find die Wege nicht so leicht und bequem. Erst nach dem<lb/>
Kriege, seit der &#x201E;Schwabenzeit" ist das Interesse für die Besteigung der Berge<lb/>
erwacht. Aber nach dem Schwarzwald sind die Vogesen gewiß das herrlichste<lb/>
deutsche Mittelgebirge, und sie können es an Fernsicht auf die Alpen von den<lb/>
Höhen der beiden Welchen und des Roßberg mit diesem aufnehmen. Und um<lb/>
die alten Burgruinen und Bergeshnlden schwebt die deutsche Sage und Er¬<lb/>
zählung, die von den Niesen bei Niedeck, von dein Kampfe Walters von Aaui-<lb/>
tauien, dem Waltariliede und von ruhmvollen Geschlechtern berichtet. Das<lb/>
Se. Amariner und das Wesserlinger Thal, das waldumkrnnzte Zabern laden<lb/>
jeden ein, der sich vom Lärm in die Einsamkeit zurückziehen will. Sollte<lb/>
überhaupt erst einmal ein regerer Verkehr in den Vogesen stattfinden, dann<lb/>
wird es mich dem Furchtsamern minder bedenklich erscheinen, auf den Kamm¬<lb/>
partien den französischen Boden zu betreten.  Niederbronn, ein Bad, dessen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen mutig geworden. Ein mächtiger Rückhalt würde ihm an der großen Beamten¬ zahl gewährt werden; denn mir allzu sehr wird von dieser das fehlende kaus- müuuische Element, werden die Großgrundbesitzer vermißt, die in die Einseitig¬ keit und Einförmigkeit des Beamtenlebeus Abwechslung bringen könnten. Man stelle die Mitgliederzahl der Nichtbeamten und Nichtstudirten in den deutschen Kasinos, die, von Straßburg abgesehen, deu Mittelpunkt des geselligen Ver¬ kehrs bilden, zusammen, und man wird über ihre geringe Zahl erstaunt sein. Ein lebhafter Zuzug der Gewerbe- und Handeltreibenden aus Altdeutschland würde auch auf die öffentlichen Angelegenheiten eine günstige Einwirkung nicht verfehlen. Man könnte daran denken, unter der Mitarbeit solcher Kräfte in die Gemeindeverwaltungeu, die jetzt auf der Grundlage der französischen Gesetz¬ gebung in vollster Abhängigkeit vom Staate stehen, das deutsche Prinzip der Selbstverwaltung hineinzutragen. Denn anders als der Franzose, der seinen Beamten zwar mit gewaltigen staatlichen Machtbefugnissen ausstattet, aber ihn doch wieder in jedem Augenblick aus seiner Stellung entfernt, bethätigt der deutsche Bürger im öffentlichen Leben seine Teilnahme an der Einrichtung selbst und übt seine Kontrolle in der Mitwirkung. Insbesondere aber möge es dem altdeutschen Publikum ans Herz gelegt sein, Elsaß-Lothringen zahlreicher, als es bisher geschehen ist, aufzusuchen und Land und Leute kennen zu lernen. Ein solcher Anreiz bestand bis in das Ende des vorigen Jahrhunderts, wie es die Beispiele Goethes, Herders und der um sie versammelten Gesellschaft zeigen. Er scheint jetzt verschwunden zu sein. Es verlohnt sich, die kleinern Ortschaften auch außerhalb Straßburgs zu besuchen. Vom Schwarzwald, vou der Schweiz und dem Jura aus sind die Blicke nach deu Vogesen gerichtet. Die Reisenden sehen das Gebirge vor sich liegen, mögen aber nicht ins Innere eindringen. Ohne Zweifel find die Vo- gesen dem Schwarzwald nicht gleichwertig in der Naturschönheit, in der Auf¬ nahme und Verpflegung der Fremden durch die nicht immer gastfreundlichen Bewohner. Auch find die Wege nicht so leicht und bequem. Erst nach dem Kriege, seit der „Schwabenzeit" ist das Interesse für die Besteigung der Berge erwacht. Aber nach dem Schwarzwald sind die Vogesen gewiß das herrlichste deutsche Mittelgebirge, und sie können es an Fernsicht auf die Alpen von den Höhen der beiden Welchen und des Roßberg mit diesem aufnehmen. Und um die alten Burgruinen und Bergeshnlden schwebt die deutsche Sage und Er¬ zählung, die von den Niesen bei Niedeck, von dein Kampfe Walters von Aaui- tauien, dem Waltariliede und von ruhmvollen Geschlechtern berichtet. Das Se. Amariner und das Wesserlinger Thal, das waldumkrnnzte Zabern laden jeden ein, der sich vom Lärm in die Einsamkeit zurückziehen will. Sollte überhaupt erst einmal ein regerer Verkehr in den Vogesen stattfinden, dann wird es mich dem Furchtsamern minder bedenklich erscheinen, auf den Kamm¬ partien den französischen Boden zu betreten. Niederbronn, ein Bad, dessen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/114>, abgerufen am 28.09.2024.