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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Germanisinmg in Llsaß-Lothringen

Aber damals überwogen die Empfindungen, daß die Verlornen Brüder lediglich
durch die Liebe wiedergewonnen werden könnten, und niemand verdient deshalb
einen Vorwurf.

Im Innern ist man gleichzeitig bestrebt gewesen, die Durchführung der
deutschen Sprache in den französischen Sprachgebieten energischer zu betreiben.
Vor deu Gerichten wird auch in diesen Kantonen in deutscher Sprache ver¬
handelt, die Urteile werden deutsch abgefaßt, und die Notare müssen ihre Akte
in deutscher Sprache aufnehmen. Die Buchführungen der Kaufleute, zumal
der Großkaufleute, sind allerdings meist noch französisch gehalten und lauten
sogar vielfach auf Franken und Centimes. Die Behörden sind aber darauf
hingewiesen, solche Urkunden nicht zu berücksichtigen. Übrigens ist das fran¬
zösische Sprachgebiet im Elsaß von sehr geringer Ausdehnung. Zum Laud-
gerichtsbezirk Straßburg gehört nicht eine einzige französisch redende Gemeinde.
Lediglich die dicht an der französischen Grenze belegenen Kantone bei Schirmeck,
Markirch und Dammerkirch siud dem fremden Sprachgebiet überwiesen. Es
ist dies der beste Beweis, wie wenig es den Franzosen gelungen ist, das Land
für ihre Kultur zu gewinnen. Der Dialekt des Volkes ist deutsch, im Süden
nähert er sich der badischen und schweizerischen, im Norden der pfälzischem
Mundart. Mau hat deu Eindruck, als ob die deutsche Kultur seit zwei Jahr¬
hunderten im Lande unverändert geblieben wäre. Wie die Anrede von Person
zu Person nicht Sie, sondern Ihr lautet, so erinnert sogar der Stil und die
Schriftform der Bevölkerung an die Formen, wie sie in Altdeutschland im
siebzehnten Jahrhundert verbreitet gewesen sind. Umfangreicher ist das fran¬
zösische Sprachgebiet in Lothringen, obwohl hier der bei weitem größere Teil
des Volkes eine deutsche, an das Pfälzische anklingende Mundart redet. Bei
Falkenberg wird der Übergang durch ein französisches Patois gebildet.
In Metz ist bereits der französische Charakter zum vollen Durchbruch gelangt,
hier wird die Germanisirung, wenn nicht etwa, wie es den Anschein hat, die
Eingewanderten die Mehrheit erlangen und die Eingebornen ersetzen, natürlich
längere Zeit währen. Aber wir wissen von sachverständiger Seite, daß die
Annexion von Metz für Deutschland eine militärische Notwendigkeit war, daß
sie Frankreich gegenüber eine Armee von 100000 Mann bedeutete.

Da die Schule ohne Zweifel das berufene Organ ist, das heranwachsende
Geschlecht für die deutsche Sache zu gewinnen, so müßten in dieser Hinsicht
noch strengere Bestimmungen zur Durchführung der Schulpflicht ergehen.
Insbesondre sollte es den bessergestellten Familien nicht ermöglicht werden,
ihre Kinder durch häuslichen Unterricht dem allgemeinen Schulbesuch und so
auch dem Verkehr mit den Kindern aus altdeutschen Familien zu entziehen.
Eine von der Verwaltungsbehörde etwa ausgeübte Aufsicht bei der Wahl
des Hauslehrers kaun nicht als geeignetes Gegenmittel erachtet werden. Bei
der niedern Grenze des schulpflichtigen Alters sind gerade diese Gesellschafts-


Die Germanisinmg in Llsaß-Lothringen

Aber damals überwogen die Empfindungen, daß die Verlornen Brüder lediglich
durch die Liebe wiedergewonnen werden könnten, und niemand verdient deshalb
einen Vorwurf.

Im Innern ist man gleichzeitig bestrebt gewesen, die Durchführung der
deutschen Sprache in den französischen Sprachgebieten energischer zu betreiben.
Vor deu Gerichten wird auch in diesen Kantonen in deutscher Sprache ver¬
handelt, die Urteile werden deutsch abgefaßt, und die Notare müssen ihre Akte
in deutscher Sprache aufnehmen. Die Buchführungen der Kaufleute, zumal
der Großkaufleute, sind allerdings meist noch französisch gehalten und lauten
sogar vielfach auf Franken und Centimes. Die Behörden sind aber darauf
hingewiesen, solche Urkunden nicht zu berücksichtigen. Übrigens ist das fran¬
zösische Sprachgebiet im Elsaß von sehr geringer Ausdehnung. Zum Laud-
gerichtsbezirk Straßburg gehört nicht eine einzige französisch redende Gemeinde.
Lediglich die dicht an der französischen Grenze belegenen Kantone bei Schirmeck,
Markirch und Dammerkirch siud dem fremden Sprachgebiet überwiesen. Es
ist dies der beste Beweis, wie wenig es den Franzosen gelungen ist, das Land
für ihre Kultur zu gewinnen. Der Dialekt des Volkes ist deutsch, im Süden
nähert er sich der badischen und schweizerischen, im Norden der pfälzischem
Mundart. Mau hat deu Eindruck, als ob die deutsche Kultur seit zwei Jahr¬
hunderten im Lande unverändert geblieben wäre. Wie die Anrede von Person
zu Person nicht Sie, sondern Ihr lautet, so erinnert sogar der Stil und die
Schriftform der Bevölkerung an die Formen, wie sie in Altdeutschland im
siebzehnten Jahrhundert verbreitet gewesen sind. Umfangreicher ist das fran¬
zösische Sprachgebiet in Lothringen, obwohl hier der bei weitem größere Teil
des Volkes eine deutsche, an das Pfälzische anklingende Mundart redet. Bei
Falkenberg wird der Übergang durch ein französisches Patois gebildet.
In Metz ist bereits der französische Charakter zum vollen Durchbruch gelangt,
hier wird die Germanisirung, wenn nicht etwa, wie es den Anschein hat, die
Eingewanderten die Mehrheit erlangen und die Eingebornen ersetzen, natürlich
längere Zeit währen. Aber wir wissen von sachverständiger Seite, daß die
Annexion von Metz für Deutschland eine militärische Notwendigkeit war, daß
sie Frankreich gegenüber eine Armee von 100000 Mann bedeutete.

Da die Schule ohne Zweifel das berufene Organ ist, das heranwachsende
Geschlecht für die deutsche Sache zu gewinnen, so müßten in dieser Hinsicht
noch strengere Bestimmungen zur Durchführung der Schulpflicht ergehen.
Insbesondre sollte es den bessergestellten Familien nicht ermöglicht werden,
ihre Kinder durch häuslichen Unterricht dem allgemeinen Schulbesuch und so
auch dem Verkehr mit den Kindern aus altdeutschen Familien zu entziehen.
Eine von der Verwaltungsbehörde etwa ausgeübte Aufsicht bei der Wahl
des Hauslehrers kaun nicht als geeignetes Gegenmittel erachtet werden. Bei
der niedern Grenze des schulpflichtigen Alters sind gerade diese Gesellschafts-


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[0112] Die Germanisinmg in Llsaß-Lothringen Aber damals überwogen die Empfindungen, daß die Verlornen Brüder lediglich durch die Liebe wiedergewonnen werden könnten, und niemand verdient deshalb einen Vorwurf. Im Innern ist man gleichzeitig bestrebt gewesen, die Durchführung der deutschen Sprache in den französischen Sprachgebieten energischer zu betreiben. Vor deu Gerichten wird auch in diesen Kantonen in deutscher Sprache ver¬ handelt, die Urteile werden deutsch abgefaßt, und die Notare müssen ihre Akte in deutscher Sprache aufnehmen. Die Buchführungen der Kaufleute, zumal der Großkaufleute, sind allerdings meist noch französisch gehalten und lauten sogar vielfach auf Franken und Centimes. Die Behörden sind aber darauf hingewiesen, solche Urkunden nicht zu berücksichtigen. Übrigens ist das fran¬ zösische Sprachgebiet im Elsaß von sehr geringer Ausdehnung. Zum Laud- gerichtsbezirk Straßburg gehört nicht eine einzige französisch redende Gemeinde. Lediglich die dicht an der französischen Grenze belegenen Kantone bei Schirmeck, Markirch und Dammerkirch siud dem fremden Sprachgebiet überwiesen. Es ist dies der beste Beweis, wie wenig es den Franzosen gelungen ist, das Land für ihre Kultur zu gewinnen. Der Dialekt des Volkes ist deutsch, im Süden nähert er sich der badischen und schweizerischen, im Norden der pfälzischem Mundart. Mau hat deu Eindruck, als ob die deutsche Kultur seit zwei Jahr¬ hunderten im Lande unverändert geblieben wäre. Wie die Anrede von Person zu Person nicht Sie, sondern Ihr lautet, so erinnert sogar der Stil und die Schriftform der Bevölkerung an die Formen, wie sie in Altdeutschland im siebzehnten Jahrhundert verbreitet gewesen sind. Umfangreicher ist das fran¬ zösische Sprachgebiet in Lothringen, obwohl hier der bei weitem größere Teil des Volkes eine deutsche, an das Pfälzische anklingende Mundart redet. Bei Falkenberg wird der Übergang durch ein französisches Patois gebildet. In Metz ist bereits der französische Charakter zum vollen Durchbruch gelangt, hier wird die Germanisirung, wenn nicht etwa, wie es den Anschein hat, die Eingewanderten die Mehrheit erlangen und die Eingebornen ersetzen, natürlich längere Zeit währen. Aber wir wissen von sachverständiger Seite, daß die Annexion von Metz für Deutschland eine militärische Notwendigkeit war, daß sie Frankreich gegenüber eine Armee von 100000 Mann bedeutete. Da die Schule ohne Zweifel das berufene Organ ist, das heranwachsende Geschlecht für die deutsche Sache zu gewinnen, so müßten in dieser Hinsicht noch strengere Bestimmungen zur Durchführung der Schulpflicht ergehen. Insbesondre sollte es den bessergestellten Familien nicht ermöglicht werden, ihre Kinder durch häuslichen Unterricht dem allgemeinen Schulbesuch und so auch dem Verkehr mit den Kindern aus altdeutschen Familien zu entziehen. Eine von der Verwaltungsbehörde etwa ausgeübte Aufsicht bei der Wahl des Hauslehrers kaun nicht als geeignetes Gegenmittel erachtet werden. Bei der niedern Grenze des schulpflichtigen Alters sind gerade diese Gesellschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/112>, abgerufen am 29.06.2024.