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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Börsengeschäften mit dem Auslande nach Möglichkeit hüten (das preußische
Handelsministerium kommt, den von Bismarck gegebenen Anregungen entsprechend,
durch seine Mahnung vom 13. Mai an die Gemeinden, bei Geldbedarf das
inländische Kapital zu bevorzugen, diesem Gesnndungsprvzesse entgegen), und
man wird schließlich auch dem Schuldenmachen des eignen Staates Einhalt
thun. Das Volk wird sich sagen, daß es ja doch die Zinsen, die ihm der
Staat bezahlt, selbst aufbringen muß. Den Bürgern eines Staates sind nur
die Schulden vorteilhaft, die der andre macht, und dessen Gläubiger sie werden.
Bei der gegenwärtigen internationalen Pnmpwirtschaft weiß kein Mensch mehr,
wer eigentlich die Kosten des babylonischen Turmes der goldnen Internationale
bezahlt; schließlich werden die soliden unter den Staaten doch einmal auf eine
Liquidation dringen müssen. Kommen doch beim jetzigen Zustande, wie die
Bimetallisten so oft hervorheben, die Staaten am besten weg, die das schlechteste
Geld haben. (Nicht bei der Verzinsung der Staatsschulden erwachsen ihnen
Vorteile aus dem Disagio, sondern beim Auslandshandel; die Sache gehört
also streng genommen nicht in diesen Zusammenhang, aber doch in die Klasse
der unrechtmäßigen Gewinne.)

Aber wo soll der Rentner seine Ersparnisse anlegen, wenn sich die Zahl
der zinstragenden Papiere vermindert? Nun, wie macht es der Bauer alten
Schlages? Er legt seinen Mehrerwerb in einem verbesserten Acker und einer
vergrößerten Viehherde an, und wenn er nicht mehr arbeiten mag, läßt er sich
vom Sohne den Auszug geben. Warum soll es der Handwerker, der Kauf¬
mann nicht ähnlich machen? Warum soll sich ein deutscher Vater nicht lieber
auf seinen Sohn verlassen als auf ein südamerikanisches Bergwerk, das vielleicht
nur im Prospekt einer Schwindlerbande vorhanden ist?

Wenden wir uns von dem Diebstahl im großen zu jenem Diebstahl im
kleinen, der unter dem wohlklingenden Namen der Kreditwirtschaft sein Un¬
wesen treibt. Rodbertus und Schlüssle halten es für möglich, nicht allein den
Kredit, sondern anch das Geld selbst abzuschaffen. Rodbertus hat ausführlich
gezeigt, wie der Wert der Arbeitsleistung jedes Einzelnen ermittelt und ihm
von einer dafür einzusetzenden Behörde in Form einer Anweisung auf eine be¬
stimmte Menge beliebiger Waren ausgehändigt werden könne. In diesem
Punkte stimme ich jedoch den kapitalistischen Vvlkswirtschastslehrern bei, die,
abgesehen von dem Widerspruch gegen die dabei vorauszusetzende sozialistische
Stnntscinrichtung, es für unmöglich erklären, zu ermitteln, wie viel der Anteil
eines jeden der verschiednen Gewerbetreibenden beträgt, die z. B. an einem
Stiefel gearbeitet haben (Landwirt, Fleischer, Gerber, Lederhändler, Schuster,
Lohmüller und die an der Herstellung von Zwirn, Draht, Pech, Strippen,
Nägeln beteiligten). Man wird die Verteilung, wie bisher, dem natürlichen
Spiel der nach einem Gleichgewichtszustände strebenden verschiednen Kräfte
überlassen müssen. Eins aber könnte und sollte geschehen: der sich zwischen


Die soziale Frage

Börsengeschäften mit dem Auslande nach Möglichkeit hüten (das preußische
Handelsministerium kommt, den von Bismarck gegebenen Anregungen entsprechend,
durch seine Mahnung vom 13. Mai an die Gemeinden, bei Geldbedarf das
inländische Kapital zu bevorzugen, diesem Gesnndungsprvzesse entgegen), und
man wird schließlich auch dem Schuldenmachen des eignen Staates Einhalt
thun. Das Volk wird sich sagen, daß es ja doch die Zinsen, die ihm der
Staat bezahlt, selbst aufbringen muß. Den Bürgern eines Staates sind nur
die Schulden vorteilhaft, die der andre macht, und dessen Gläubiger sie werden.
Bei der gegenwärtigen internationalen Pnmpwirtschaft weiß kein Mensch mehr,
wer eigentlich die Kosten des babylonischen Turmes der goldnen Internationale
bezahlt; schließlich werden die soliden unter den Staaten doch einmal auf eine
Liquidation dringen müssen. Kommen doch beim jetzigen Zustande, wie die
Bimetallisten so oft hervorheben, die Staaten am besten weg, die das schlechteste
Geld haben. (Nicht bei der Verzinsung der Staatsschulden erwachsen ihnen
Vorteile aus dem Disagio, sondern beim Auslandshandel; die Sache gehört
also streng genommen nicht in diesen Zusammenhang, aber doch in die Klasse
der unrechtmäßigen Gewinne.)

Aber wo soll der Rentner seine Ersparnisse anlegen, wenn sich die Zahl
der zinstragenden Papiere vermindert? Nun, wie macht es der Bauer alten
Schlages? Er legt seinen Mehrerwerb in einem verbesserten Acker und einer
vergrößerten Viehherde an, und wenn er nicht mehr arbeiten mag, läßt er sich
vom Sohne den Auszug geben. Warum soll es der Handwerker, der Kauf¬
mann nicht ähnlich machen? Warum soll sich ein deutscher Vater nicht lieber
auf seinen Sohn verlassen als auf ein südamerikanisches Bergwerk, das vielleicht
nur im Prospekt einer Schwindlerbande vorhanden ist?

Wenden wir uns von dem Diebstahl im großen zu jenem Diebstahl im
kleinen, der unter dem wohlklingenden Namen der Kreditwirtschaft sein Un¬
wesen treibt. Rodbertus und Schlüssle halten es für möglich, nicht allein den
Kredit, sondern anch das Geld selbst abzuschaffen. Rodbertus hat ausführlich
gezeigt, wie der Wert der Arbeitsleistung jedes Einzelnen ermittelt und ihm
von einer dafür einzusetzenden Behörde in Form einer Anweisung auf eine be¬
stimmte Menge beliebiger Waren ausgehändigt werden könne. In diesem
Punkte stimme ich jedoch den kapitalistischen Vvlkswirtschastslehrern bei, die,
abgesehen von dem Widerspruch gegen die dabei vorauszusetzende sozialistische
Stnntscinrichtung, es für unmöglich erklären, zu ermitteln, wie viel der Anteil
eines jeden der verschiednen Gewerbetreibenden beträgt, die z. B. an einem
Stiefel gearbeitet haben (Landwirt, Fleischer, Gerber, Lederhändler, Schuster,
Lohmüller und die an der Herstellung von Zwirn, Draht, Pech, Strippen,
Nägeln beteiligten). Man wird die Verteilung, wie bisher, dem natürlichen
Spiel der nach einem Gleichgewichtszustände strebenden verschiednen Kräfte
überlassen müssen. Eins aber könnte und sollte geschehen: der sich zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/600>, abgerufen am 28.12.2024.