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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die antiken Sarkophage

menschen Gedichte beweise" doch nur, daß zu ihrer Zeit und in ihrer Heimat,
also in Kleinasien, die Sitte der Feuerbestattnng allgemein üblich war. Auf
das Mutterland und für spätere Zeiten gestatten sie keine Rückschlüsse. In
Griechenland selbst -- dafür sind die Gräberfunde aus allen Jahrhunderten
unanfechtbare Zeugnisse -- stand in geschichtlicher Zeit die Sitte des Beer-
digens völlig gleichwertig neben der des Verbrennens. Es lassen sich auch keine
bestimmten Grundsätze aufstelle", nach denen man verfahren wäre. Nur so
viel etwa kann man sagen: allgemein üblich war die Feuerbestattnng für die
fern vom Vaterland in einer Schlacht gefallenen oder zu Zeiten eines großen
Sterbens, wie bei der athenischen Pest. Abgesehen von derartigen Ausnahme-
fällen aber war es jedem Einzelnen überlassen, ob er seine Augehörigen be¬
erdigen oder verbrennen wollte. An einigen Orten, wie in Sparta, überwog
das Verbrennen, an andern, wie in Athen, das Beerdigen. Und man blieb
sich auch, wenigstens in Athen, dessen bewußt, daß diese Sitte die ältere und
ursprüngliche war. Die Athener beriefen sich darauf, bereits Kekrops habe in
ihrer Stadt die Sitte des Beerdigens eingeführt. Und zu allen Zeiten dachten
sich die Griechen die Überreste ihrer göttlich verehrten und von den Dichtern
besungenen Heroen, eines Theseus. Orestes und Pelops, als Gebeine, trotz
allein, was Homer von der Bestattung seiner Helden erzählt. Und war wirklich
die Feuerbestattung, wie die epischen Dichter es schildern, zu ihrer Zeit in
Kleinasien ausschließlich in Geltung, so müssen sich die kleinasiatischen Griechen
wenigstens sehr bald davon freigemacht haben; denn schon aus dein sechsten
vorchristlichen Jahrhundert stammen die bemalten Thonsarkophage ans Klazv-
menü, für uns die ersten erhaltenen Beispiele griechischer Sarkophage.

Das gebräuchliche griechische Wort für Sarg ist uicht Sarkophagos,
sondern Soros. Erst sehr spät kommt das Wort Sarkophagos aus, d. h.
Fleischfresser. So nannte man eine Steinart, die im nördlichem Kleinasien
brach und die Eigenschaft besitzen sollte, die Verwesung zu beschleunigen und
den Körper rasch zu verzehren. Als Bruchstätte wird die Stadt Assos in der
Troas genannt. Man vermutet, daß der Stein jener Alaunschiefer sei, aus
dem die in Assos gefundenen spätgriechischen Sarkophage gearbeitet sind. Doch
wie der Name Sarkophag nicht der älteste, so ist gewiß auch Stein nicht der
Stoff gewesen, ans dem man die ersten Särge fertigte. Das Ursprüngliche
war wohl, daß man die Leiche, nnr in ein Tuch geschlagen, der Grabkammer
oder dem Boden übergab; Vasenbilder zeigen uns, daß diese einfachste Art des
Beerdigens auch noch in späterer Zeit in Griechenland üblich war, und in
den ausgedehnten Totenstädten Etruriens sehen wir neben zahlreichen Aschen¬
urnen und Thonsarkophagen noch Hunderte von Leichenbänken, ans denen die
Körper im Schmucke der Erzrüstnng ausgestreckt lagen. Als man dann in
Griechenland -- wir wissen nicht, seit wann -- den Verstorbenen in einen
Sarg legte, wählte man hierzu zunächst die um leichtesten zu bearbeitenden


Die antiken Sarkophage

menschen Gedichte beweise» doch nur, daß zu ihrer Zeit und in ihrer Heimat,
also in Kleinasien, die Sitte der Feuerbestattnng allgemein üblich war. Auf
das Mutterland und für spätere Zeiten gestatten sie keine Rückschlüsse. In
Griechenland selbst — dafür sind die Gräberfunde aus allen Jahrhunderten
unanfechtbare Zeugnisse — stand in geschichtlicher Zeit die Sitte des Beer-
digens völlig gleichwertig neben der des Verbrennens. Es lassen sich auch keine
bestimmten Grundsätze aufstelle», nach denen man verfahren wäre. Nur so
viel etwa kann man sagen: allgemein üblich war die Feuerbestattnng für die
fern vom Vaterland in einer Schlacht gefallenen oder zu Zeiten eines großen
Sterbens, wie bei der athenischen Pest. Abgesehen von derartigen Ausnahme-
fällen aber war es jedem Einzelnen überlassen, ob er seine Augehörigen be¬
erdigen oder verbrennen wollte. An einigen Orten, wie in Sparta, überwog
das Verbrennen, an andern, wie in Athen, das Beerdigen. Und man blieb
sich auch, wenigstens in Athen, dessen bewußt, daß diese Sitte die ältere und
ursprüngliche war. Die Athener beriefen sich darauf, bereits Kekrops habe in
ihrer Stadt die Sitte des Beerdigens eingeführt. Und zu allen Zeiten dachten
sich die Griechen die Überreste ihrer göttlich verehrten und von den Dichtern
besungenen Heroen, eines Theseus. Orestes und Pelops, als Gebeine, trotz
allein, was Homer von der Bestattung seiner Helden erzählt. Und war wirklich
die Feuerbestattung, wie die epischen Dichter es schildern, zu ihrer Zeit in
Kleinasien ausschließlich in Geltung, so müssen sich die kleinasiatischen Griechen
wenigstens sehr bald davon freigemacht haben; denn schon aus dein sechsten
vorchristlichen Jahrhundert stammen die bemalten Thonsarkophage ans Klazv-
menü, für uns die ersten erhaltenen Beispiele griechischer Sarkophage.

Das gebräuchliche griechische Wort für Sarg ist uicht Sarkophagos,
sondern Soros. Erst sehr spät kommt das Wort Sarkophagos aus, d. h.
Fleischfresser. So nannte man eine Steinart, die im nördlichem Kleinasien
brach und die Eigenschaft besitzen sollte, die Verwesung zu beschleunigen und
den Körper rasch zu verzehren. Als Bruchstätte wird die Stadt Assos in der
Troas genannt. Man vermutet, daß der Stein jener Alaunschiefer sei, aus
dem die in Assos gefundenen spätgriechischen Sarkophage gearbeitet sind. Doch
wie der Name Sarkophag nicht der älteste, so ist gewiß auch Stein nicht der
Stoff gewesen, ans dem man die ersten Särge fertigte. Das Ursprüngliche
war wohl, daß man die Leiche, nnr in ein Tuch geschlagen, der Grabkammer
oder dem Boden übergab; Vasenbilder zeigen uns, daß diese einfachste Art des
Beerdigens auch noch in späterer Zeit in Griechenland üblich war, und in
den ausgedehnten Totenstädten Etruriens sehen wir neben zahlreichen Aschen¬
urnen und Thonsarkophagen noch Hunderte von Leichenbänken, ans denen die
Körper im Schmucke der Erzrüstnng ausgestreckt lagen. Als man dann in
Griechenland — wir wissen nicht, seit wann — den Verstorbenen in einen
Sarg legte, wählte man hierzu zunächst die um leichtesten zu bearbeitenden


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[0565] Die antiken Sarkophage menschen Gedichte beweise» doch nur, daß zu ihrer Zeit und in ihrer Heimat, also in Kleinasien, die Sitte der Feuerbestattnng allgemein üblich war. Auf das Mutterland und für spätere Zeiten gestatten sie keine Rückschlüsse. In Griechenland selbst — dafür sind die Gräberfunde aus allen Jahrhunderten unanfechtbare Zeugnisse — stand in geschichtlicher Zeit die Sitte des Beer- digens völlig gleichwertig neben der des Verbrennens. Es lassen sich auch keine bestimmten Grundsätze aufstelle», nach denen man verfahren wäre. Nur so viel etwa kann man sagen: allgemein üblich war die Feuerbestattnng für die fern vom Vaterland in einer Schlacht gefallenen oder zu Zeiten eines großen Sterbens, wie bei der athenischen Pest. Abgesehen von derartigen Ausnahme- fällen aber war es jedem Einzelnen überlassen, ob er seine Augehörigen be¬ erdigen oder verbrennen wollte. An einigen Orten, wie in Sparta, überwog das Verbrennen, an andern, wie in Athen, das Beerdigen. Und man blieb sich auch, wenigstens in Athen, dessen bewußt, daß diese Sitte die ältere und ursprüngliche war. Die Athener beriefen sich darauf, bereits Kekrops habe in ihrer Stadt die Sitte des Beerdigens eingeführt. Und zu allen Zeiten dachten sich die Griechen die Überreste ihrer göttlich verehrten und von den Dichtern besungenen Heroen, eines Theseus. Orestes und Pelops, als Gebeine, trotz allein, was Homer von der Bestattung seiner Helden erzählt. Und war wirklich die Feuerbestattung, wie die epischen Dichter es schildern, zu ihrer Zeit in Kleinasien ausschließlich in Geltung, so müssen sich die kleinasiatischen Griechen wenigstens sehr bald davon freigemacht haben; denn schon aus dein sechsten vorchristlichen Jahrhundert stammen die bemalten Thonsarkophage ans Klazv- menü, für uns die ersten erhaltenen Beispiele griechischer Sarkophage. Das gebräuchliche griechische Wort für Sarg ist uicht Sarkophagos, sondern Soros. Erst sehr spät kommt das Wort Sarkophagos aus, d. h. Fleischfresser. So nannte man eine Steinart, die im nördlichem Kleinasien brach und die Eigenschaft besitzen sollte, die Verwesung zu beschleunigen und den Körper rasch zu verzehren. Als Bruchstätte wird die Stadt Assos in der Troas genannt. Man vermutet, daß der Stein jener Alaunschiefer sei, aus dem die in Assos gefundenen spätgriechischen Sarkophage gearbeitet sind. Doch wie der Name Sarkophag nicht der älteste, so ist gewiß auch Stein nicht der Stoff gewesen, ans dem man die ersten Särge fertigte. Das Ursprüngliche war wohl, daß man die Leiche, nnr in ein Tuch geschlagen, der Grabkammer oder dem Boden übergab; Vasenbilder zeigen uns, daß diese einfachste Art des Beerdigens auch noch in späterer Zeit in Griechenland üblich war, und in den ausgedehnten Totenstädten Etruriens sehen wir neben zahlreichen Aschen¬ urnen und Thonsarkophagen noch Hunderte von Leichenbänken, ans denen die Körper im Schmucke der Erzrüstnng ausgestreckt lagen. Als man dann in Griechenland — wir wissen nicht, seit wann — den Verstorbenen in einen Sarg legte, wählte man hierzu zunächst die um leichtesten zu bearbeitenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/565>, abgerufen am 01.07.2024.