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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Wagner

der wirklich in ihm badet oder aus ihm trinkt, was man trinken nennt, d. h.
wer Schopenhauer nicht bloß liest. Mit einer glühenden Phantasie, einem
starken Willen, hohen, ehrgeizigen Zielen und wenig geschulten Denken war
Wagner gegen diese Wirkung wehrlos und verfiel ganz und gar dem Banne
der Schopenhauerischeu Metaphysik und des Pessimismus. Das erste war
nun, dem Tage und seinem Lichte, als der Werkstatt dieses "Willens zum
Leben" zu fluchen, er war zum "Tristnn" geworden, denn er war immer ganz,
war immer, was er schrieb. Und die Musik? Nun, jetzt hatte sie ja keinen
höhern Beruf mehr, als ihrer metaphysischen Bedeutung entsprechend jede Art
des n"l)>0;, zu deutsch Leide" oder tiefes oder hochgespanntes Gefühl auszu-
drttcken! Die Heiterkeit war kein Gipfel mehr, sie mußte für Physisch, weltlich,
nur zu bald flach gelten, und es galt ja nun, hinabzutauchen in Urtiefen der
Dinge und des Leidens!

Zum Unglück wandte Wagner den Begriff des Metaphysischen in dem
völligen System, das er als Kmnpvnist darauf ballte, nun noch falsch an!
Wenn vor dem Hörer Wotan tief über die Ursache des Unterganges der Götter
nachsann, und es ertönte um dumpf aus dem Orchester das Motiv, dem die
Vertretung der Idee des gekränkten Ehercchtes anvertraut war, der Rhythmus
(der Pauke p.). der der Nachklang der Hundings-Worte ist, so galt Wagnern



dies als eine Bethätigung der metaphysischen Kraft der Tonkunst, weil es dem
Hörer das Bewußtsein von dem gab, was die gegenwärtige Wirklichkeit (näm¬
lich die Bühnenwirklichkeit) weder zu sehen, noch in Wotans Worten zu hören
gab -- um dies eine Beispiel sür tausend gleichartige anzuführen. Und was
hatte dein Motiv diese Bedeutung erteilt? -- da doch wohl niemand umge¬
kehrt aus seinen Tönen heraus, z. B. aus seinem Rhythmus, auf die Idee des
gekränkten Eherechtes zu kommen vermag? Eine fehr vorsichtig, sehr allmählich
herbeigeführte Gewöhnung des Hörers, sich dies dabei zu denken, eine Allmäh¬
lichkeit, die auch sehr nötig war, in" den Hörer über die vollkommene Äußer¬
lichkeit der Konvention, daß jene Töne diese Vorstellung bedeuten sollten, zu
täuschen. Gewöhnung aber und wiederholte Erfahrung sind das Gegenteil aller
angebliche-, metaphysischen Kraft. Und welcher Kraft wurde das Festhalten
dieser Bedeutung bis in die fernste Anwendung (z. B. vom ersten Stück bis
in das vierte) aufgetragen? Notwendig dem Gedächtnis, das wiederum absolut
nicht metaphysisch, sondern nach Schopenhauers eignem Ausdruck eine "Flächen¬
kraft" ist, niemals in die Tiefe führend. Wie also kann die nach Wagners
Mister Meinung hellseherische, metaphysische, über alle "Erfahrung" erhabene
Wirkung zu stände, daß uns die Musik dort in das Herz Wotans und in den
Gedanken der Erbsünde blicken ließ? ("Ich will die Sünde" der Väter Heiin-


Grenzvoten II 1890 64
Schopenhauer und Richard Wagner

der wirklich in ihm badet oder aus ihm trinkt, was man trinken nennt, d. h.
wer Schopenhauer nicht bloß liest. Mit einer glühenden Phantasie, einem
starken Willen, hohen, ehrgeizigen Zielen und wenig geschulten Denken war
Wagner gegen diese Wirkung wehrlos und verfiel ganz und gar dem Banne
der Schopenhauerischeu Metaphysik und des Pessimismus. Das erste war
nun, dem Tage und seinem Lichte, als der Werkstatt dieses „Willens zum
Leben" zu fluchen, er war zum „Tristnn" geworden, denn er war immer ganz,
war immer, was er schrieb. Und die Musik? Nun, jetzt hatte sie ja keinen
höhern Beruf mehr, als ihrer metaphysischen Bedeutung entsprechend jede Art
des n«l)>0;, zu deutsch Leide» oder tiefes oder hochgespanntes Gefühl auszu-
drttcken! Die Heiterkeit war kein Gipfel mehr, sie mußte für Physisch, weltlich,
nur zu bald flach gelten, und es galt ja nun, hinabzutauchen in Urtiefen der
Dinge und des Leidens!

Zum Unglück wandte Wagner den Begriff des Metaphysischen in dem
völligen System, das er als Kmnpvnist darauf ballte, nun noch falsch an!
Wenn vor dem Hörer Wotan tief über die Ursache des Unterganges der Götter
nachsann, und es ertönte um dumpf aus dem Orchester das Motiv, dem die
Vertretung der Idee des gekränkten Ehercchtes anvertraut war, der Rhythmus
(der Pauke p.). der der Nachklang der Hundings-Worte ist, so galt Wagnern



dies als eine Bethätigung der metaphysischen Kraft der Tonkunst, weil es dem
Hörer das Bewußtsein von dem gab, was die gegenwärtige Wirklichkeit (näm¬
lich die Bühnenwirklichkeit) weder zu sehen, noch in Wotans Worten zu hören
gab — um dies eine Beispiel sür tausend gleichartige anzuführen. Und was
hatte dein Motiv diese Bedeutung erteilt? — da doch wohl niemand umge¬
kehrt aus seinen Tönen heraus, z. B. aus seinem Rhythmus, auf die Idee des
gekränkten Eherechtes zu kommen vermag? Eine fehr vorsichtig, sehr allmählich
herbeigeführte Gewöhnung des Hörers, sich dies dabei zu denken, eine Allmäh¬
lichkeit, die auch sehr nötig war, in» den Hörer über die vollkommene Äußer¬
lichkeit der Konvention, daß jene Töne diese Vorstellung bedeuten sollten, zu
täuschen. Gewöhnung aber und wiederholte Erfahrung sind das Gegenteil aller
angebliche-, metaphysischen Kraft. Und welcher Kraft wurde das Festhalten
dieser Bedeutung bis in die fernste Anwendung (z. B. vom ersten Stück bis
in das vierte) aufgetragen? Notwendig dem Gedächtnis, das wiederum absolut
nicht metaphysisch, sondern nach Schopenhauers eignem Ausdruck eine „Flächen¬
kraft" ist, niemals in die Tiefe führend. Wie also kann die nach Wagners
Mister Meinung hellseherische, metaphysische, über alle „Erfahrung" erhabene
Wirkung zu stände, daß uns die Musik dort in das Herz Wotans und in den
Gedanken der Erbsünde blicken ließ? („Ich will die Sünde» der Väter Heiin-


Grenzvoten II 1890 64
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[0513] Schopenhauer und Richard Wagner der wirklich in ihm badet oder aus ihm trinkt, was man trinken nennt, d. h. wer Schopenhauer nicht bloß liest. Mit einer glühenden Phantasie, einem starken Willen, hohen, ehrgeizigen Zielen und wenig geschulten Denken war Wagner gegen diese Wirkung wehrlos und verfiel ganz und gar dem Banne der Schopenhauerischeu Metaphysik und des Pessimismus. Das erste war nun, dem Tage und seinem Lichte, als der Werkstatt dieses „Willens zum Leben" zu fluchen, er war zum „Tristnn" geworden, denn er war immer ganz, war immer, was er schrieb. Und die Musik? Nun, jetzt hatte sie ja keinen höhern Beruf mehr, als ihrer metaphysischen Bedeutung entsprechend jede Art des n«l)>0;, zu deutsch Leide» oder tiefes oder hochgespanntes Gefühl auszu- drttcken! Die Heiterkeit war kein Gipfel mehr, sie mußte für Physisch, weltlich, nur zu bald flach gelten, und es galt ja nun, hinabzutauchen in Urtiefen der Dinge und des Leidens! Zum Unglück wandte Wagner den Begriff des Metaphysischen in dem völligen System, das er als Kmnpvnist darauf ballte, nun noch falsch an! Wenn vor dem Hörer Wotan tief über die Ursache des Unterganges der Götter nachsann, und es ertönte um dumpf aus dem Orchester das Motiv, dem die Vertretung der Idee des gekränkten Ehercchtes anvertraut war, der Rhythmus (der Pauke p.). der der Nachklang der Hundings-Worte ist, so galt Wagnern [Abbildung] dies als eine Bethätigung der metaphysischen Kraft der Tonkunst, weil es dem Hörer das Bewußtsein von dem gab, was die gegenwärtige Wirklichkeit (näm¬ lich die Bühnenwirklichkeit) weder zu sehen, noch in Wotans Worten zu hören gab — um dies eine Beispiel sür tausend gleichartige anzuführen. Und was hatte dein Motiv diese Bedeutung erteilt? — da doch wohl niemand umge¬ kehrt aus seinen Tönen heraus, z. B. aus seinem Rhythmus, auf die Idee des gekränkten Eherechtes zu kommen vermag? Eine fehr vorsichtig, sehr allmählich herbeigeführte Gewöhnung des Hörers, sich dies dabei zu denken, eine Allmäh¬ lichkeit, die auch sehr nötig war, in» den Hörer über die vollkommene Äußer¬ lichkeit der Konvention, daß jene Töne diese Vorstellung bedeuten sollten, zu täuschen. Gewöhnung aber und wiederholte Erfahrung sind das Gegenteil aller angebliche-, metaphysischen Kraft. Und welcher Kraft wurde das Festhalten dieser Bedeutung bis in die fernste Anwendung (z. B. vom ersten Stück bis in das vierte) aufgetragen? Notwendig dem Gedächtnis, das wiederum absolut nicht metaphysisch, sondern nach Schopenhauers eignem Ausdruck eine „Flächen¬ kraft" ist, niemals in die Tiefe führend. Wie also kann die nach Wagners Mister Meinung hellseherische, metaphysische, über alle „Erfahrung" erhabene Wirkung zu stände, daß uns die Musik dort in das Herz Wotans und in den Gedanken der Erbsünde blicken ließ? („Ich will die Sünde» der Väter Heiin- Grenzvoten II 1890 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/513>, abgerufen am 22.07.2024.