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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lehre vom unbewußten Schaffen des künstlerischen Genius, die jede Absicht,
anch die aus die Schönheit, dem Künstler abspricht. Etwas muß der Künstler
immer mit seinem Werke beabsichtigen; jede menschliche Thätigkeit hat ein Ziel,
einen Zweck, wenn sie überhaupt beachtenswert sein soll. Man schließt die
teleologische Betrachtungsweise aus der Naturwissenschaft aus; anch da geschieht
es aber schließlich nur scheinbar. Man hütet sich davor, von vornherein Zwecke
in den Mechanismus des Natnrschaffens hineinzutragen; um so eifriger sucht
mau aber empirisch seinen Zweck zu begreifen. Die Thätigkeit des Geistes
jedoch kann unmöglich als zwecklos angesehen werden, man darf nicht auch
den Geist mechanisiren, wenn man sich überhaupt noch seiner selbst bewußt
bleiben, wenn man nicht in Urteilslosigkeit, in grenzenlose Öde und Roheit
versinken Null. Die Unbewußtheit des künstlerischem Schaffens ist nur ein
Schein, der aus dem Gegensatz von Phantasie und Vernunft, von nuschnulicheu
Vorstellungen und begrifflichem Denken im Meuscheu entsteht. Nehmt ihm
die zweckbewußte Freiheit im Schaffen, das Lenken und Ordnen feines ge¬
schauten Bildes, und er wird zum Stammler; er hört auf, Künstler zu sein.
Er hat die Aufgabe, soviel als möglich sein absichtliches Handeln im Kunst¬
werk zu verbergen, aber doch nnr, um dessen Wirkung zu erhöhen, nicht um
sale Absichten aufzuheben. Nur die bemerkbare Absicht verstimmt, nicht die
Absicht an sich selbst, wenn sie sonst gut ist. Ans dem einen Extrem des nur
'lbfichten verratenden, künstlerisch ohnmächtigen Schaffens darf man nicht in
dessen Gegenteil verfallen: in die Verpönung aller Absicht. Damit würde man
Zügellosigkeit in der Kunst Thür und Thor öffnen, jeder Willkür würde
damit grundsätzliche Geltung zugestanden werdeu, und indem man den Geist
öUr Maschine herabdrückt, denselben Geist, der sich die Maschinen zur leichtern
Erreichung seiner Zwecke geschaffen hat, würde eine unglaubliche Verflachung
Platz greifen.

Wir find also grundsätzlich nicht gegen Tendenz in der Kunst. Es haben
"und große Dichter, nicht bloß Dickens, auch Jeremias Gotthelf, Tendenz ans
^)rer Kunst nicht ausgeschlossen. Es kommt nnr auf den Wert dieser Tendenz
"u, der rein dichterische Wert ihrer Schöpfungen hängt von dein Maße ab,
^vrii, sie ihre Absichten im Bilde haben aufgehen lassen können. Von einer
^stimmten Weltanschnunng muß schließlich jeder Künstler ausgehen, nur ist
^ einen diese Weltanschauung mehr, dem andern weniger bewußt. Dem
^Um ist sie "och ganz Gemüts- und Gefühlssache, sie äußert sich naiv im
^nnittelbaren Ausdruck für den empfangenen seelischen Eindruck; beim andern
1 sie ein durchgebildetes Ganze von Ideen. Ohne eine solche Weltanschauung
>t kein
Diedichterisches Schaffen möglich, denn es ist ohne Urteil nicht möglich.
"?^ische Wertbestimmung der Eindrücke und Erfahrungen aus der Außen-
nn Gemüte des Dichters ist ein sittliches Urteilen. Der Phantasiemensch
M ^vrgänge und Handlungen und Zustände der Welt schon in jenem


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Lehre vom unbewußten Schaffen des künstlerischen Genius, die jede Absicht,
anch die aus die Schönheit, dem Künstler abspricht. Etwas muß der Künstler
immer mit seinem Werke beabsichtigen; jede menschliche Thätigkeit hat ein Ziel,
einen Zweck, wenn sie überhaupt beachtenswert sein soll. Man schließt die
teleologische Betrachtungsweise aus der Naturwissenschaft aus; anch da geschieht
es aber schließlich nur scheinbar. Man hütet sich davor, von vornherein Zwecke
in den Mechanismus des Natnrschaffens hineinzutragen; um so eifriger sucht
mau aber empirisch seinen Zweck zu begreifen. Die Thätigkeit des Geistes
jedoch kann unmöglich als zwecklos angesehen werden, man darf nicht auch
den Geist mechanisiren, wenn man sich überhaupt noch seiner selbst bewußt
bleiben, wenn man nicht in Urteilslosigkeit, in grenzenlose Öde und Roheit
versinken Null. Die Unbewußtheit des künstlerischem Schaffens ist nur ein
Schein, der aus dem Gegensatz von Phantasie und Vernunft, von nuschnulicheu
Vorstellungen und begrifflichem Denken im Meuscheu entsteht. Nehmt ihm
die zweckbewußte Freiheit im Schaffen, das Lenken und Ordnen feines ge¬
schauten Bildes, und er wird zum Stammler; er hört auf, Künstler zu sein.
Er hat die Aufgabe, soviel als möglich sein absichtliches Handeln im Kunst¬
werk zu verbergen, aber doch nnr, um dessen Wirkung zu erhöhen, nicht um
sale Absichten aufzuheben. Nur die bemerkbare Absicht verstimmt, nicht die
Absicht an sich selbst, wenn sie sonst gut ist. Ans dem einen Extrem des nur
'lbfichten verratenden, künstlerisch ohnmächtigen Schaffens darf man nicht in
dessen Gegenteil verfallen: in die Verpönung aller Absicht. Damit würde man
Zügellosigkeit in der Kunst Thür und Thor öffnen, jeder Willkür würde
damit grundsätzliche Geltung zugestanden werdeu, und indem man den Geist
öUr Maschine herabdrückt, denselben Geist, der sich die Maschinen zur leichtern
Erreichung seiner Zwecke geschaffen hat, würde eine unglaubliche Verflachung
Platz greifen.

Wir find also grundsätzlich nicht gegen Tendenz in der Kunst. Es haben
"und große Dichter, nicht bloß Dickens, auch Jeremias Gotthelf, Tendenz ans
^)rer Kunst nicht ausgeschlossen. Es kommt nnr auf den Wert dieser Tendenz
"u, der rein dichterische Wert ihrer Schöpfungen hängt von dein Maße ab,
^vrii, sie ihre Absichten im Bilde haben aufgehen lassen können. Von einer
^stimmten Weltanschnunng muß schließlich jeder Künstler ausgehen, nur ist
^ einen diese Weltanschauung mehr, dem andern weniger bewußt. Dem
^Um ist sie „och ganz Gemüts- und Gefühlssache, sie äußert sich naiv im
^nnittelbaren Ausdruck für den empfangenen seelischen Eindruck; beim andern
1 sie ein durchgebildetes Ganze von Ideen. Ohne eine solche Weltanschauung
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Diedichterisches Schaffen möglich, denn es ist ohne Urteil nicht möglich.
"?^ische Wertbestimmung der Eindrücke und Erfahrungen aus der Außen-
nn Gemüte des Dichters ist ein sittliches Urteilen. Der Phantasiemensch
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[0041] Lehre vom unbewußten Schaffen des künstlerischen Genius, die jede Absicht, anch die aus die Schönheit, dem Künstler abspricht. Etwas muß der Künstler immer mit seinem Werke beabsichtigen; jede menschliche Thätigkeit hat ein Ziel, einen Zweck, wenn sie überhaupt beachtenswert sein soll. Man schließt die teleologische Betrachtungsweise aus der Naturwissenschaft aus; anch da geschieht es aber schließlich nur scheinbar. Man hütet sich davor, von vornherein Zwecke in den Mechanismus des Natnrschaffens hineinzutragen; um so eifriger sucht mau aber empirisch seinen Zweck zu begreifen. Die Thätigkeit des Geistes jedoch kann unmöglich als zwecklos angesehen werden, man darf nicht auch den Geist mechanisiren, wenn man sich überhaupt noch seiner selbst bewußt bleiben, wenn man nicht in Urteilslosigkeit, in grenzenlose Öde und Roheit versinken Null. Die Unbewußtheit des künstlerischem Schaffens ist nur ein Schein, der aus dem Gegensatz von Phantasie und Vernunft, von nuschnulicheu Vorstellungen und begrifflichem Denken im Meuscheu entsteht. Nehmt ihm die zweckbewußte Freiheit im Schaffen, das Lenken und Ordnen feines ge¬ schauten Bildes, und er wird zum Stammler; er hört auf, Künstler zu sein. Er hat die Aufgabe, soviel als möglich sein absichtliches Handeln im Kunst¬ werk zu verbergen, aber doch nnr, um dessen Wirkung zu erhöhen, nicht um sale Absichten aufzuheben. Nur die bemerkbare Absicht verstimmt, nicht die Absicht an sich selbst, wenn sie sonst gut ist. Ans dem einen Extrem des nur 'lbfichten verratenden, künstlerisch ohnmächtigen Schaffens darf man nicht in dessen Gegenteil verfallen: in die Verpönung aller Absicht. Damit würde man Zügellosigkeit in der Kunst Thür und Thor öffnen, jeder Willkür würde damit grundsätzliche Geltung zugestanden werdeu, und indem man den Geist öUr Maschine herabdrückt, denselben Geist, der sich die Maschinen zur leichtern Erreichung seiner Zwecke geschaffen hat, würde eine unglaubliche Verflachung Platz greifen. Wir find also grundsätzlich nicht gegen Tendenz in der Kunst. Es haben "und große Dichter, nicht bloß Dickens, auch Jeremias Gotthelf, Tendenz ans ^)rer Kunst nicht ausgeschlossen. Es kommt nnr auf den Wert dieser Tendenz "u, der rein dichterische Wert ihrer Schöpfungen hängt von dein Maße ab, ^vrii, sie ihre Absichten im Bilde haben aufgehen lassen können. Von einer ^stimmten Weltanschnunng muß schließlich jeder Künstler ausgehen, nur ist ^ einen diese Weltanschauung mehr, dem andern weniger bewußt. Dem ^Um ist sie „och ganz Gemüts- und Gefühlssache, sie äußert sich naiv im ^nnittelbaren Ausdruck für den empfangenen seelischen Eindruck; beim andern 1 sie ein durchgebildetes Ganze von Ideen. Ohne eine solche Weltanschauung >t kein Diedichterisches Schaffen möglich, denn es ist ohne Urteil nicht möglich. "?^ische Wertbestimmung der Eindrücke und Erfahrungen aus der Außen- nn Gemüte des Dichters ist ein sittliches Urteilen. Der Phantasiemensch M ^vrgänge und Handlungen und Zustände der Welt schon in jenem ^nzbvte» >1 1890 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/41>, abgerufen am 22.07.2024.