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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Emailleverziernngen stellt Professor Schirm in Berlin auf photographischem
Wege her u, s. w. Gegen diese Übel, wenn es solche sind, giebt es aber zwei
Heilmittel, die allerdings verbunden wirken müßten: stetige Hebung des Ge¬
schmacks und Verbreitung des Reichtums. Je mehr Personen sähig sind, die
künstlerische Handarbeit von der Fabrikware zu unterscheiden und zu würdigen,
und zugleich die Mittel haben, teure Gegenstände zu kaufen, desto mehr ver¬
bessern sich die Aussichten des Kunsthaudwerkers. In ähnlicher Lage wie die
eigentlichen Knnsthandwerke befinden sich manche Industrien, die daran grenzen,
wie die Spielwaren- und Galanteriewarenfabrikation. Diese wurden auch
früher schon insofern fabrikmäßig betrieben, als die darin beschäftigten Hand¬
werker kolonienweise beisammen wohnten, teils in armen Gebirgsgegenden, teils
in großen Städten (Paris!) und der Absatz ihrer Erzeugnisse durch Gro߬
händler oder Unternehmer vermittelt wurde. In neuerer Zeit bemächtigt sich
aber die Großindustrie mehr und mehr dieser Gegenstände und drückt den
Hansindustriellen, der früher dem Abnehmer als selbständiger Verkäufer gegen¬
überstand, in das Verhältnis eines Arbeiters herab, der vom Prinzipal die
Rohstoffe und Aufträge empfängt und mit Stücklohn bezahlt wird. Hie und
da ist er auch genötigt, die häusliche Fabrikation aufzugeben und in die Fabrik
zu gehn. Der Klempner verwandelt sich, soweit er nicht Vauarbeit ausführt,
mehr und mehr in einen Händler, der im übrigen nur Reparaturen besorgt.
Doch darf man die Lichtseite dieser Umwandlung nicht übersehen. Der heutige
Klempner fertigt zwar die schönen Lampen, die sein Schaufenster zieren, nicht
selbst an. Allein die geschickteren Arbeiter der großen Lampenfabriken verdienen
wahrscheinlich mehr und erfreuen sich eines behaglichem Daseins als mancher
der Klempner, die vor fünfzig Jahren Öllampen mit grünen Blechschirmen
anfertigten.

Nur zwei Klassen von Handwerken sind es, die wirklich durch das Gro߬
kapital und die Dampfmaschine teils geschädigt, teils vernichtet werden: die
Textilgewerbe durch die Dampfmaschine, die Bekleidungsgewerbe dnrch das
Kapital. Was das Verhältnis der Weber zum Kapital anlangt, so war das
schon im Mittelalter hie und da ähnlich wie hente. Während es allerdings
den Tuchmacherzünften in Deutschland gelang, durch gesetzliche Beschränkung
der Znhl der Webstuhle, die ein Meister aufstellen, und der Gesellen, die er
beschäftigen durfte, die Fortentwicklung der wohlhabenderen, geschickteren und
unternehmeuderen Meister zu Fabrikanten zu verhindern, wurde in Florenz die
Tuchmacherei schon im vierzehnten Jahrhundert ganz fabrikmäßig mit obligaten
Arbeiteraufständen betrieben. In einigen Gegenden Englands gelang es den
Tuchmachern, sich als Korporationen bis in den Anfang unsers Jahrhunderts
herein zu behaupten. Die Dampfmaschine hat nun das Spinnrad vernichtet
und steht im Begriff, auch deu Webstuhl zu vernichten. Doch ist die Mög¬
lichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Webstuhl auf dem von Siemers bezeich-


Die soziale Frage

Emailleverziernngen stellt Professor Schirm in Berlin auf photographischem
Wege her u, s. w. Gegen diese Übel, wenn es solche sind, giebt es aber zwei
Heilmittel, die allerdings verbunden wirken müßten: stetige Hebung des Ge¬
schmacks und Verbreitung des Reichtums. Je mehr Personen sähig sind, die
künstlerische Handarbeit von der Fabrikware zu unterscheiden und zu würdigen,
und zugleich die Mittel haben, teure Gegenstände zu kaufen, desto mehr ver¬
bessern sich die Aussichten des Kunsthaudwerkers. In ähnlicher Lage wie die
eigentlichen Knnsthandwerke befinden sich manche Industrien, die daran grenzen,
wie die Spielwaren- und Galanteriewarenfabrikation. Diese wurden auch
früher schon insofern fabrikmäßig betrieben, als die darin beschäftigten Hand¬
werker kolonienweise beisammen wohnten, teils in armen Gebirgsgegenden, teils
in großen Städten (Paris!) und der Absatz ihrer Erzeugnisse durch Gro߬
händler oder Unternehmer vermittelt wurde. In neuerer Zeit bemächtigt sich
aber die Großindustrie mehr und mehr dieser Gegenstände und drückt den
Hansindustriellen, der früher dem Abnehmer als selbständiger Verkäufer gegen¬
überstand, in das Verhältnis eines Arbeiters herab, der vom Prinzipal die
Rohstoffe und Aufträge empfängt und mit Stücklohn bezahlt wird. Hie und
da ist er auch genötigt, die häusliche Fabrikation aufzugeben und in die Fabrik
zu gehn. Der Klempner verwandelt sich, soweit er nicht Vauarbeit ausführt,
mehr und mehr in einen Händler, der im übrigen nur Reparaturen besorgt.
Doch darf man die Lichtseite dieser Umwandlung nicht übersehen. Der heutige
Klempner fertigt zwar die schönen Lampen, die sein Schaufenster zieren, nicht
selbst an. Allein die geschickteren Arbeiter der großen Lampenfabriken verdienen
wahrscheinlich mehr und erfreuen sich eines behaglichem Daseins als mancher
der Klempner, die vor fünfzig Jahren Öllampen mit grünen Blechschirmen
anfertigten.

Nur zwei Klassen von Handwerken sind es, die wirklich durch das Gro߬
kapital und die Dampfmaschine teils geschädigt, teils vernichtet werden: die
Textilgewerbe durch die Dampfmaschine, die Bekleidungsgewerbe dnrch das
Kapital. Was das Verhältnis der Weber zum Kapital anlangt, so war das
schon im Mittelalter hie und da ähnlich wie hente. Während es allerdings
den Tuchmacherzünften in Deutschland gelang, durch gesetzliche Beschränkung
der Znhl der Webstuhle, die ein Meister aufstellen, und der Gesellen, die er
beschäftigen durfte, die Fortentwicklung der wohlhabenderen, geschickteren und
unternehmeuderen Meister zu Fabrikanten zu verhindern, wurde in Florenz die
Tuchmacherei schon im vierzehnten Jahrhundert ganz fabrikmäßig mit obligaten
Arbeiteraufständen betrieben. In einigen Gegenden Englands gelang es den
Tuchmachern, sich als Korporationen bis in den Anfang unsers Jahrhunderts
herein zu behaupten. Die Dampfmaschine hat nun das Spinnrad vernichtet
und steht im Begriff, auch deu Webstuhl zu vernichten. Doch ist die Mög¬
lichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Webstuhl auf dem von Siemers bezeich-


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[0373] Die soziale Frage Emailleverziernngen stellt Professor Schirm in Berlin auf photographischem Wege her u, s. w. Gegen diese Übel, wenn es solche sind, giebt es aber zwei Heilmittel, die allerdings verbunden wirken müßten: stetige Hebung des Ge¬ schmacks und Verbreitung des Reichtums. Je mehr Personen sähig sind, die künstlerische Handarbeit von der Fabrikware zu unterscheiden und zu würdigen, und zugleich die Mittel haben, teure Gegenstände zu kaufen, desto mehr ver¬ bessern sich die Aussichten des Kunsthaudwerkers. In ähnlicher Lage wie die eigentlichen Knnsthandwerke befinden sich manche Industrien, die daran grenzen, wie die Spielwaren- und Galanteriewarenfabrikation. Diese wurden auch früher schon insofern fabrikmäßig betrieben, als die darin beschäftigten Hand¬ werker kolonienweise beisammen wohnten, teils in armen Gebirgsgegenden, teils in großen Städten (Paris!) und der Absatz ihrer Erzeugnisse durch Gro߬ händler oder Unternehmer vermittelt wurde. In neuerer Zeit bemächtigt sich aber die Großindustrie mehr und mehr dieser Gegenstände und drückt den Hansindustriellen, der früher dem Abnehmer als selbständiger Verkäufer gegen¬ überstand, in das Verhältnis eines Arbeiters herab, der vom Prinzipal die Rohstoffe und Aufträge empfängt und mit Stücklohn bezahlt wird. Hie und da ist er auch genötigt, die häusliche Fabrikation aufzugeben und in die Fabrik zu gehn. Der Klempner verwandelt sich, soweit er nicht Vauarbeit ausführt, mehr und mehr in einen Händler, der im übrigen nur Reparaturen besorgt. Doch darf man die Lichtseite dieser Umwandlung nicht übersehen. Der heutige Klempner fertigt zwar die schönen Lampen, die sein Schaufenster zieren, nicht selbst an. Allein die geschickteren Arbeiter der großen Lampenfabriken verdienen wahrscheinlich mehr und erfreuen sich eines behaglichem Daseins als mancher der Klempner, die vor fünfzig Jahren Öllampen mit grünen Blechschirmen anfertigten. Nur zwei Klassen von Handwerken sind es, die wirklich durch das Gro߬ kapital und die Dampfmaschine teils geschädigt, teils vernichtet werden: die Textilgewerbe durch die Dampfmaschine, die Bekleidungsgewerbe dnrch das Kapital. Was das Verhältnis der Weber zum Kapital anlangt, so war das schon im Mittelalter hie und da ähnlich wie hente. Während es allerdings den Tuchmacherzünften in Deutschland gelang, durch gesetzliche Beschränkung der Znhl der Webstuhle, die ein Meister aufstellen, und der Gesellen, die er beschäftigen durfte, die Fortentwicklung der wohlhabenderen, geschickteren und unternehmeuderen Meister zu Fabrikanten zu verhindern, wurde in Florenz die Tuchmacherei schon im vierzehnten Jahrhundert ganz fabrikmäßig mit obligaten Arbeiteraufständen betrieben. In einigen Gegenden Englands gelang es den Tuchmachern, sich als Korporationen bis in den Anfang unsers Jahrhunderts herein zu behaupten. Die Dampfmaschine hat nun das Spinnrad vernichtet und steht im Begriff, auch deu Webstuhl zu vernichten. Doch ist die Mög¬ lichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Webstuhl auf dem von Siemers bezeich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/373>, abgerufen am 28.12.2024.