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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

Und sein Geist sah weit, und sein Heiz war stark,
Das war Bismarck.

Daß es so kommen wird, daß einst, und vielleicht in gar nicht langer Zeit,
die Welt das Urteil des Lona^ra begründet finden wird: "Es mag größere
Diplomaten gegeben haben als Fürst Bismarck, jedenfalls hat es niemals eine"
bessern Administrator, einen weisern Nationalökonomen und einen geschickteren
Finanzmann gegeben," daß die Worte, die der Vorsitzende des Vereins zur
Währung der gemeinsamen Wirtschaftsinteressen für Rheinland und Westfalen
vor kurzem sprach: "Die Verdienste, die sich Fürst Bismarck nicht allein um
die politische Wiedergeburt des deutschen Reiches, sondern auch um die wirt¬
schaftliche Erstarkung des deutschen Erwerbslebens erworben hat, sind so groß,
sie leben noch so frisch und unverwelklich im Gedächtnis aller, sie werden
noch tagtäglich von den Millionen der im Erwerbsleben stehenden Deutschen
so tief empfunden, daß es überflüssig ist, sie im einzelnen darzulegen," daß
diese Worte die reine Wahrheit enthalten, geht für jeden Unbefangnen ans den
Aktenstücken zur Wirtschaftspolitik des Fürsten Bismarck hervor, die
v. Poschinger kürzlich herausgegeben hat, nachdem sie bereits in seinem Buche
"Fürst Bismarck als Volkswirt" verwertet wordeu waren. Diese Aktenstücke
wollen wir uus hier daraufhin etwas näher ansehen, welche leitenden Gesichts¬
punkte sie uns zeigen, denen Fürst Bismarck bei der von ihm ins Werk ge¬
setzten sozialpolitischen Gesetzgebung gefolgt ist. Wir haben da drei Aktenstücke
ins Auge zu fassen, die für unsre svzialreformatvrische Gesetzgebung von dem¬
selben Werte sind, wie es einst der sogenannte "Prachtbericht" und das "kleine
Buch" auf dem politischen Gebiete gewesen sind.

Das erste ist ein Schreiben Bismarcks an den Handelsminister Grafen
Jtzeuplitz, datirt vom 21. Oktober 1871, das die Maßregeln gegen die
soziale Arbeiterbewegung betrifft. Es führt uns in die Zeit zurück, wo
die sozialen Agitationen aufhörten, bloß örtlicher Natur zu sein und sich
aus mehr oder weniger gerechtfertigten und begreiflichen Wünschen der
arbeitenden Klassen erklären zu lassen, sondern wo sie bereits eine prinzipiell
feindselige Stellung zur bestehenden Gesellschaftsform annahmen und in hohem
Grade ftaatsgeführlich wurden. Darauf weist das Schreiben auch zunächst
hin, indem es von dein Bestehen eines über ganz Europa verbreiteten
Arbeitervereins redet, der eine einheitliche Leitung habe, die er von einer
Zentralbehörde in London empfange; durch die Veröffentlichungen dieser Be¬
hörde und noch mehr durch die Thätigkeit ihrer Sendlinge in der Pariser
Kommune sei ein Licht über die Ziele dieser Agitation, über ihre Gemeinsamkeit
und den Ernst der Gefahr für die bestehenden Staatseinrichtungen verbreitet
worden, das den größern europäischen Regierungen den Gedanken nahe legen
müsse, sich über ihr Verhalten gegenüber diesen Erscheinungen zu verständigen.
Der Kanzler habe bereits bei einer Begegnung mit dem österreichischen Reichs-


Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

Und sein Geist sah weit, und sein Heiz war stark,
Das war Bismarck.

Daß es so kommen wird, daß einst, und vielleicht in gar nicht langer Zeit,
die Welt das Urteil des Lona^ra begründet finden wird: „Es mag größere
Diplomaten gegeben haben als Fürst Bismarck, jedenfalls hat es niemals eine»
bessern Administrator, einen weisern Nationalökonomen und einen geschickteren
Finanzmann gegeben," daß die Worte, die der Vorsitzende des Vereins zur
Währung der gemeinsamen Wirtschaftsinteressen für Rheinland und Westfalen
vor kurzem sprach: „Die Verdienste, die sich Fürst Bismarck nicht allein um
die politische Wiedergeburt des deutschen Reiches, sondern auch um die wirt¬
schaftliche Erstarkung des deutschen Erwerbslebens erworben hat, sind so groß,
sie leben noch so frisch und unverwelklich im Gedächtnis aller, sie werden
noch tagtäglich von den Millionen der im Erwerbsleben stehenden Deutschen
so tief empfunden, daß es überflüssig ist, sie im einzelnen darzulegen," daß
diese Worte die reine Wahrheit enthalten, geht für jeden Unbefangnen ans den
Aktenstücken zur Wirtschaftspolitik des Fürsten Bismarck hervor, die
v. Poschinger kürzlich herausgegeben hat, nachdem sie bereits in seinem Buche
„Fürst Bismarck als Volkswirt" verwertet wordeu waren. Diese Aktenstücke
wollen wir uus hier daraufhin etwas näher ansehen, welche leitenden Gesichts¬
punkte sie uns zeigen, denen Fürst Bismarck bei der von ihm ins Werk ge¬
setzten sozialpolitischen Gesetzgebung gefolgt ist. Wir haben da drei Aktenstücke
ins Auge zu fassen, die für unsre svzialreformatvrische Gesetzgebung von dem¬
selben Werte sind, wie es einst der sogenannte „Prachtbericht" und das „kleine
Buch" auf dem politischen Gebiete gewesen sind.

Das erste ist ein Schreiben Bismarcks an den Handelsminister Grafen
Jtzeuplitz, datirt vom 21. Oktober 1871, das die Maßregeln gegen die
soziale Arbeiterbewegung betrifft. Es führt uns in die Zeit zurück, wo
die sozialen Agitationen aufhörten, bloß örtlicher Natur zu sein und sich
aus mehr oder weniger gerechtfertigten und begreiflichen Wünschen der
arbeitenden Klassen erklären zu lassen, sondern wo sie bereits eine prinzipiell
feindselige Stellung zur bestehenden Gesellschaftsform annahmen und in hohem
Grade ftaatsgeführlich wurden. Darauf weist das Schreiben auch zunächst
hin, indem es von dein Bestehen eines über ganz Europa verbreiteten
Arbeitervereins redet, der eine einheitliche Leitung habe, die er von einer
Zentralbehörde in London empfange; durch die Veröffentlichungen dieser Be¬
hörde und noch mehr durch die Thätigkeit ihrer Sendlinge in der Pariser
Kommune sei ein Licht über die Ziele dieser Agitation, über ihre Gemeinsamkeit
und den Ernst der Gefahr für die bestehenden Staatseinrichtungen verbreitet
worden, das den größern europäischen Regierungen den Gedanken nahe legen
müsse, sich über ihr Verhalten gegenüber diesen Erscheinungen zu verständigen.
Der Kanzler habe bereits bei einer Begegnung mit dem österreichischen Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/346>, abgerufen am 28.09.2024.