Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.ces, Reichtum, ein schönes Schloß und sonstiges Zubehör, sind nämlich eben¬ . Selbst der unstreitig größte unsrer lebenden Novellisten, Gottfried Keller, hat u"d '"^ ^ unabsichtliche (naive) Obszönität werden von der Polizei ^"zi-oder U 18W 42
ces, Reichtum, ein schönes Schloß und sonstiges Zubehör, sind nämlich eben¬ . Selbst der unstreitig größte unsrer lebenden Novellisten, Gottfried Keller, hat u»d '"^ ^ unabsichtliche (naive) Obszönität werden von der Polizei ^"zi-oder U 18W 42
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207632"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_926" prev="#ID_925"> ces, Reichtum, ein schönes Schloß und sonstiges Zubehör, sind nämlich eben¬<lb/> falls reichlich vorhanden. Nachdem die Leutchen schon einen mehrjährigen Sohn<lb/> h/>ben, wird die edle Gräfin vou dem Manne, den sie vor ihrer Verheiratung ge-<lb/> "^>t hat, in eine Falle gelockt, und läßt sich von ihm einen falschen Majoratserben<lb/> mchcingen. Majoratserbe soll der Junge nämlich werden, nachdem sein älterer<lb/> Bruder samt dem Vater ertrunken ist. Die Gefallene büßt ihren Fehltritt vom<lb/> echa Augenblick an bis zum Tode aufs schwerste. Poetische Gerechtigkeit hat<lb/> ^>e Verfasserin überdies ja schon durch den Titel geübt, indem sie an ihrer Heldin<lb/> "Uusnhnbar" nennt, was sie an einem Helden vielleicht nicht so genannt haben<lb/> ^'urbe. Aber die Heldin ist unmöglich, und darin bestellt der unsühnbare ästhe¬<lb/> tische Fehler des Romans, der doch auch ins moralische Gebiet schlägt. Nehmen<lb/> ^ir an, die Gräfin wäre wirklich so schwach gewesen, beim Anblick ihres frühern<lb/> Liebhabers eine Regung der Zärtlichkeit p, spüren in dem Augenblicke, wo er<lb/> "Neue machte, die Grenzen des Auslandes zu überschreiten, würde sich die Zärtlich¬<lb/> st in Unwillen verwandelt haben, und das Höchste, was der gewissenlose Lebe¬<lb/> mann (denn als ein solcher, nicht als ein liebeglühender, unschuldiger Jüngling<lb/> ^ geschildert) davongetragen hätte, wäre „n Watschn" gewesen. Daß<lb/> - Wurm ihren Männern untreu werden, kommt ja vor, aber daß eine körperlich<lb/> und geistig starke Frau von hoher Bildung, klarem Verstände und edelm Charakter<lb/> unter solchen Umständen der Versuchung erliegen sollte, halten wir für un¬<lb/> möglich- „ut daß unsre Mädchen und Frauen lesen, wie man eine bis zur Engel-<lb/> ^stlgteit erhabene und tugendhafte Gattin und Mutter sein und doch eine solche<lb/> ummheit begehen könne, halten nur nicht für besonders nützlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_927"> . Selbst der unstreitig größte unsrer lebenden Novellisten, Gottfried Keller, hat<lb/> ">>ers Erachtens einen ' ähnlichen (eine andre Region des sittlichen Lebens be¬<lb/> llenden) Fehler begangen, noch dazu in seinem bedeutendsten Werke. Der grüne<lb/> '-einrieb wird uus als ein zwar wunderlicher und leichtsinniger, aber im Grunde<lb/> - uoinmeu guter und edler Junge dargestellt. Nun halten nur es für ganz un-<lb/> >u> guter und edler Junge so schlecht an seiner Mutter handeln könne,<lb/> Heinrich Lee es thut. Daß er sie um seinetwillen jahrelang Hunger leiden<lb/> M, mochte noch hingehen; Studenten halten es meistens für selbstverständlich, daß<lb/> Gr s ^ ""^ Geschwister für sie aufopfern, Aber daß er monatelang auf dem<lb/> schloß herrlich und in Freuden lebt und ein Tnusenguldenpacket nach dem<lb/> „. empfängt, ohne einen Geldbrief, ohne auch nur eine Zeile Geschriebenes<lb/> er .-,>^"^e zu schicken, das ist einfach niederträchtig; das ist schlimmer, als wenn<lb/> ^^^"^Miitterlein im Zorne totgeschlagen hätte. Was wir wissen, das weiß Gott-<lb/> jst' Keller natürlich schon lange; er weiß also mich, daß das gar nicht möglich<lb/> Lee s""^ ^ geschrieben hat; er hebt diesen Widerspruch im Charakter seines<lb/> ^ sogar geflissentlich hervor, als wollte er sagen: Dummes Publikum, wirst<lb/> Lu,/^ ""H dieses aufbinden lassen? War es vielleicht nur eine solche übermütige<lb/> der'!»' ihn. zu dieser Sonderbarkeit bewog? Für den geistesschwachen Teil<lb/> ^rin ^feumM sind und bleiben nun einmal solche Verzeichnungen gefährlich. Nicht<lb/> ' U"i. das noch einmal zu sagen, liegt der Fehler, daß Heinrich schlecht an<lb/> also "leer handelt, alle Arten von Schlechtigkeiten kommen im Leben vor, müssen<lb/> es in Romanen vorkommen; sondern darin, daß Keller uns überreden will,<lb/> dieiw^ edler Mensch sein und die volle Sympathie seiner Freunde ver-<lb/> "kund dabei schlecht an seiner Mutter hseiner Mu handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_928" next="#ID_929"> u»d '"^ ^ unabsichtliche (naive) Obszönität werden von der Polizei<lb/> em Strafrichter aus der Öffentlichkeit verdrängt, und mit Recht verdrängt,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ^"zi-oder U 18W 42</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
ces, Reichtum, ein schönes Schloß und sonstiges Zubehör, sind nämlich eben¬
falls reichlich vorhanden. Nachdem die Leutchen schon einen mehrjährigen Sohn
h/>ben, wird die edle Gräfin vou dem Manne, den sie vor ihrer Verheiratung ge-
"^>t hat, in eine Falle gelockt, und läßt sich von ihm einen falschen Majoratserben
mchcingen. Majoratserbe soll der Junge nämlich werden, nachdem sein älterer
Bruder samt dem Vater ertrunken ist. Die Gefallene büßt ihren Fehltritt vom
echa Augenblick an bis zum Tode aufs schwerste. Poetische Gerechtigkeit hat
^>e Verfasserin überdies ja schon durch den Titel geübt, indem sie an ihrer Heldin
"Uusnhnbar" nennt, was sie an einem Helden vielleicht nicht so genannt haben
^'urbe. Aber die Heldin ist unmöglich, und darin bestellt der unsühnbare ästhe¬
tische Fehler des Romans, der doch auch ins moralische Gebiet schlägt. Nehmen
^ir an, die Gräfin wäre wirklich so schwach gewesen, beim Anblick ihres frühern
Liebhabers eine Regung der Zärtlichkeit p, spüren in dem Augenblicke, wo er
"Neue machte, die Grenzen des Auslandes zu überschreiten, würde sich die Zärtlich¬
st in Unwillen verwandelt haben, und das Höchste, was der gewissenlose Lebe¬
mann (denn als ein solcher, nicht als ein liebeglühender, unschuldiger Jüngling
^ geschildert) davongetragen hätte, wäre „n Watschn" gewesen. Daß
- Wurm ihren Männern untreu werden, kommt ja vor, aber daß eine körperlich
und geistig starke Frau von hoher Bildung, klarem Verstände und edelm Charakter
unter solchen Umständen der Versuchung erliegen sollte, halten wir für un¬
möglich- „ut daß unsre Mädchen und Frauen lesen, wie man eine bis zur Engel-
^stlgteit erhabene und tugendhafte Gattin und Mutter sein und doch eine solche
ummheit begehen könne, halten nur nicht für besonders nützlich.
. Selbst der unstreitig größte unsrer lebenden Novellisten, Gottfried Keller, hat
">>ers Erachtens einen ' ähnlichen (eine andre Region des sittlichen Lebens be¬
llenden) Fehler begangen, noch dazu in seinem bedeutendsten Werke. Der grüne
'-einrieb wird uus als ein zwar wunderlicher und leichtsinniger, aber im Grunde
- uoinmeu guter und edler Junge dargestellt. Nun halten nur es für ganz un-
>u> guter und edler Junge so schlecht an seiner Mutter handeln könne,
Heinrich Lee es thut. Daß er sie um seinetwillen jahrelang Hunger leiden
M, mochte noch hingehen; Studenten halten es meistens für selbstverständlich, daß
Gr s ^ ""^ Geschwister für sie aufopfern, Aber daß er monatelang auf dem
schloß herrlich und in Freuden lebt und ein Tnusenguldenpacket nach dem
„. empfängt, ohne einen Geldbrief, ohne auch nur eine Zeile Geschriebenes
er .-,>^"^e zu schicken, das ist einfach niederträchtig; das ist schlimmer, als wenn
^^^"^Miitterlein im Zorne totgeschlagen hätte. Was wir wissen, das weiß Gott-
jst' Keller natürlich schon lange; er weiß also mich, daß das gar nicht möglich
Lee s""^ ^ geschrieben hat; er hebt diesen Widerspruch im Charakter seines
^ sogar geflissentlich hervor, als wollte er sagen: Dummes Publikum, wirst
Lu,/^ ""H dieses aufbinden lassen? War es vielleicht nur eine solche übermütige
der'!»' ihn. zu dieser Sonderbarkeit bewog? Für den geistesschwachen Teil
^rin ^feumM sind und bleiben nun einmal solche Verzeichnungen gefährlich. Nicht
' U"i. das noch einmal zu sagen, liegt der Fehler, daß Heinrich schlecht an
also "leer handelt, alle Arten von Schlechtigkeiten kommen im Leben vor, müssen
es in Romanen vorkommen; sondern darin, daß Keller uns überreden will,
dieiw^ edler Mensch sein und die volle Sympathie seiner Freunde ver-
"kund dabei schlecht an seiner Mutter hseiner Mu handeln.
u»d '"^ ^ unabsichtliche (naive) Obszönität werden von der Polizei
em Strafrichter aus der Öffentlichkeit verdrängt, und mit Recht verdrängt,
^"zi-oder U 18W 42
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