Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Und doch: ist die "Ehre/' die unter den verschiednen Völkern der Erde,
bei den einzelnen Stünden so mannichfache Deutungen erfährt, wirklich nnr
ein Begriff ohne festen Kern, wirklich nur ein Luxus? Graf Trask ist dieser
Ansicht, und die einzelnen Fälle, die uns der Dichter vorführt, scheinen sie zu
rechtfertigen, sie erwecken den Eindrnck, als ob Ehre nichts andres sei als
Staudesvorurteil. Aber ist sie das wirklich immer? -- Graf Trask ist ein
Philosoph, aber ein Sophist, und mit ihm ist es der Dichter.

Man betrachtet es wohl als einen Fehlgriff, daß zum Vertreter der das
Stück beherrschenden Anschauungen ein Mann gewählt ist, der selbst gegen die
Ehre verstoße" hat. Aber nur einem solchen konnte man solche Anschauungen,
ohne die pshchvlvgische Wahrheit zu verletzen, in den Mund legen. Daß aber
diese Anschauungen in dem Stücke den Sieg behaupten, beruht nicht auf ihrer
Nichtigkeit, auch nicht auf der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeit ihres
Vertreters, sondern auf den außer" Umstanden, in die dieser so geschickt
hineingestellt ist, und das eben ist sophistisch.

Graf Trask ist der Kaffeekvnig; die Leute, die er so beschämend zurecht¬
weist und mit deren Zurechtweisung er einen, großen Teile des Publikums
unponirt, sind jämmerlich unbedeutend und schon dnrch ihr eignes Auftreten
ni den Unger dieses selben Publikums mit Recht gerichtet. Ihnen kann er
freilich unter Beifallsrufen erklären, daß er ihres Grußes nicht bedürfe -- zu
ihnen darf er sagen: "Ich habe also nicht die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen,
sondern das Vergnügen -- und dieses Vergnügen ist groß." Hätte er mit
denselben Worten einem kriegserprobten, charakterfester Offizier gegenüber den
gleichen Erfolg gehabt? Es ist ein Unterschied, ob mau auf etwas verzichtet,
über dessen Genuß mau verfügt, oder ob mau Verzicht leistet, wo man nichts
verlangen kann, nichts beanspruchen darf, und in dem letztern Falle befindet
!>es Graf Trost, und er würde sich in demselben Falle befinden, wenn er statt
jener Simpel, die deu Geist unsers Heeres gar nicht in sich aufgenommen
haben, einem echten Soldaten gegenüberstünde, und wäre dies selbst ein blut¬
junger Leutnant. Er bliebe in dessen Augen trotz seines Kaffeetvnigtnms doch
unmer nur der wortbrüchige Offizier, und mit Recht.

Denn worin hat eigentlich sein Vergehen bestanden? Nicht darin, daß er
^nie schuldige Summe Geldes nicht bezahlt, sondern darin, daß er in leidenschaft¬
licher Gewinnsucht sein Ehrenwort verspielt hat. Ist die Verbindlichkeit, die
Heiligkeit dieses Wortes nur ein Standesvorurtcil? Schillers "Bürgschaft"
sollte auch den Mann aus dem Volke und seine beredten Sachwalter eines
^esseru belehren. Freilich, der Römer Tcicitus wundert sich darüber, daß bei
den Germanen der Spieler, der nach Verlust von Haus und Hof zuletzt in
wilder Leidenschaft seine eigne Person auf einen Wurf gesetzt hat, sich ohne
widerstand fesseln und verknusen lasse; aber unverkennbar mischt sich in das
Gefühl des Staunens anch das der Bewunderung: "So weit geht in einer


Und doch: ist die „Ehre/' die unter den verschiednen Völkern der Erde,
bei den einzelnen Stünden so mannichfache Deutungen erfährt, wirklich nnr
ein Begriff ohne festen Kern, wirklich nur ein Luxus? Graf Trask ist dieser
Ansicht, und die einzelnen Fälle, die uns der Dichter vorführt, scheinen sie zu
rechtfertigen, sie erwecken den Eindrnck, als ob Ehre nichts andres sei als
Staudesvorurteil. Aber ist sie das wirklich immer? — Graf Trask ist ein
Philosoph, aber ein Sophist, und mit ihm ist es der Dichter.

Man betrachtet es wohl als einen Fehlgriff, daß zum Vertreter der das
Stück beherrschenden Anschauungen ein Mann gewählt ist, der selbst gegen die
Ehre verstoße» hat. Aber nur einem solchen konnte man solche Anschauungen,
ohne die pshchvlvgische Wahrheit zu verletzen, in den Mund legen. Daß aber
diese Anschauungen in dem Stücke den Sieg behaupten, beruht nicht auf ihrer
Nichtigkeit, auch nicht auf der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeit ihres
Vertreters, sondern auf den außer» Umstanden, in die dieser so geschickt
hineingestellt ist, und das eben ist sophistisch.

Graf Trask ist der Kaffeekvnig; die Leute, die er so beschämend zurecht¬
weist und mit deren Zurechtweisung er einen, großen Teile des Publikums
unponirt, sind jämmerlich unbedeutend und schon dnrch ihr eignes Auftreten
ni den Unger dieses selben Publikums mit Recht gerichtet. Ihnen kann er
freilich unter Beifallsrufen erklären, daß er ihres Grußes nicht bedürfe — zu
ihnen darf er sagen: „Ich habe also nicht die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen,
sondern das Vergnügen — und dieses Vergnügen ist groß." Hätte er mit
denselben Worten einem kriegserprobten, charakterfester Offizier gegenüber den
gleichen Erfolg gehabt? Es ist ein Unterschied, ob mau auf etwas verzichtet,
über dessen Genuß mau verfügt, oder ob mau Verzicht leistet, wo man nichts
verlangen kann, nichts beanspruchen darf, und in dem letztern Falle befindet
!>es Graf Trost, und er würde sich in demselben Falle befinden, wenn er statt
jener Simpel, die deu Geist unsers Heeres gar nicht in sich aufgenommen
haben, einem echten Soldaten gegenüberstünde, und wäre dies selbst ein blut¬
junger Leutnant. Er bliebe in dessen Augen trotz seines Kaffeetvnigtnms doch
unmer nur der wortbrüchige Offizier, und mit Recht.

Denn worin hat eigentlich sein Vergehen bestanden? Nicht darin, daß er
^nie schuldige Summe Geldes nicht bezahlt, sondern darin, daß er in leidenschaft¬
licher Gewinnsucht sein Ehrenwort verspielt hat. Ist die Verbindlichkeit, die
Heiligkeit dieses Wortes nur ein Standesvorurtcil? Schillers „Bürgschaft"
sollte auch den Mann aus dem Volke und seine beredten Sachwalter eines
^esseru belehren. Freilich, der Römer Tcicitus wundert sich darüber, daß bei
den Germanen der Spieler, der nach Verlust von Haus und Hof zuletzt in
wilder Leidenschaft seine eigne Person auf einen Wurf gesetzt hat, sich ohne
widerstand fesseln und verknusen lasse; aber unverkennbar mischt sich in das
Gefühl des Staunens anch das der Bewunderung: „So weit geht in einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207614"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_887"> Und doch: ist die &#x201E;Ehre/' die unter den verschiednen Völkern der Erde,<lb/>
bei den einzelnen Stünden so mannichfache Deutungen erfährt, wirklich nnr<lb/>
ein Begriff ohne festen Kern, wirklich nur ein Luxus? Graf Trask ist dieser<lb/>
Ansicht, und die einzelnen Fälle, die uns der Dichter vorführt, scheinen sie zu<lb/>
rechtfertigen, sie erwecken den Eindrnck, als ob Ehre nichts andres sei als<lb/>
Staudesvorurteil. Aber ist sie das wirklich immer? &#x2014; Graf Trask ist ein<lb/>
Philosoph, aber ein Sophist, und mit ihm ist es der Dichter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888"> Man betrachtet es wohl als einen Fehlgriff, daß zum Vertreter der das<lb/>
Stück beherrschenden Anschauungen ein Mann gewählt ist, der selbst gegen die<lb/>
Ehre verstoße» hat. Aber nur einem solchen konnte man solche Anschauungen,<lb/>
ohne die pshchvlvgische Wahrheit zu verletzen, in den Mund legen. Daß aber<lb/>
diese Anschauungen in dem Stücke den Sieg behaupten, beruht nicht auf ihrer<lb/>
Nichtigkeit, auch nicht auf der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeit ihres<lb/>
Vertreters, sondern auf den außer» Umstanden, in die dieser so geschickt<lb/>
hineingestellt ist, und das eben ist sophistisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_889"> Graf Trask ist der Kaffeekvnig; die Leute, die er so beschämend zurecht¬<lb/>
weist und mit deren Zurechtweisung er einen, großen Teile des Publikums<lb/>
unponirt, sind jämmerlich unbedeutend und schon dnrch ihr eignes Auftreten<lb/>
ni den Unger dieses selben Publikums mit Recht gerichtet. Ihnen kann er<lb/>
freilich unter Beifallsrufen erklären, daß er ihres Grußes nicht bedürfe &#x2014; zu<lb/>
ihnen darf er sagen: &#x201E;Ich habe also nicht die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen,<lb/>
sondern das Vergnügen &#x2014; und dieses Vergnügen ist groß." Hätte er mit<lb/>
denselben Worten einem kriegserprobten, charakterfester Offizier gegenüber den<lb/>
gleichen Erfolg gehabt? Es ist ein Unterschied, ob mau auf etwas verzichtet,<lb/>
über dessen Genuß mau verfügt, oder ob mau Verzicht leistet, wo man nichts<lb/>
verlangen kann, nichts beanspruchen darf, und in dem letztern Falle befindet<lb/>
!&gt;es Graf Trost, und er würde sich in demselben Falle befinden, wenn er statt<lb/>
jener Simpel, die deu Geist unsers Heeres gar nicht in sich aufgenommen<lb/>
haben, einem echten Soldaten gegenüberstünde, und wäre dies selbst ein blut¬<lb/>
junger Leutnant. Er bliebe in dessen Augen trotz seines Kaffeetvnigtnms doch<lb/>
unmer nur der wortbrüchige Offizier, und mit Recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> Denn worin hat eigentlich sein Vergehen bestanden? Nicht darin, daß er<lb/>
^nie schuldige Summe Geldes nicht bezahlt, sondern darin, daß er in leidenschaft¬<lb/>
licher Gewinnsucht sein Ehrenwort verspielt hat. Ist die Verbindlichkeit, die<lb/>
Heiligkeit dieses Wortes nur ein Standesvorurtcil? Schillers &#x201E;Bürgschaft"<lb/>
sollte auch den Mann aus dem Volke und seine beredten Sachwalter eines<lb/>
^esseru belehren. Freilich, der Römer Tcicitus wundert sich darüber, daß bei<lb/>
den Germanen der Spieler, der nach Verlust von Haus und Hof zuletzt in<lb/>
wilder Leidenschaft seine eigne Person auf einen Wurf gesetzt hat, sich ohne<lb/>
widerstand fesseln und verknusen lasse; aber unverkennbar mischt sich in das<lb/>
Gefühl des Staunens anch das der Bewunderung: &#x201E;So weit geht in einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] Und doch: ist die „Ehre/' die unter den verschiednen Völkern der Erde, bei den einzelnen Stünden so mannichfache Deutungen erfährt, wirklich nnr ein Begriff ohne festen Kern, wirklich nur ein Luxus? Graf Trask ist dieser Ansicht, und die einzelnen Fälle, die uns der Dichter vorführt, scheinen sie zu rechtfertigen, sie erwecken den Eindrnck, als ob Ehre nichts andres sei als Staudesvorurteil. Aber ist sie das wirklich immer? — Graf Trask ist ein Philosoph, aber ein Sophist, und mit ihm ist es der Dichter. Man betrachtet es wohl als einen Fehlgriff, daß zum Vertreter der das Stück beherrschenden Anschauungen ein Mann gewählt ist, der selbst gegen die Ehre verstoße» hat. Aber nur einem solchen konnte man solche Anschauungen, ohne die pshchvlvgische Wahrheit zu verletzen, in den Mund legen. Daß aber diese Anschauungen in dem Stücke den Sieg behaupten, beruht nicht auf ihrer Nichtigkeit, auch nicht auf der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeit ihres Vertreters, sondern auf den außer» Umstanden, in die dieser so geschickt hineingestellt ist, und das eben ist sophistisch. Graf Trask ist der Kaffeekvnig; die Leute, die er so beschämend zurecht¬ weist und mit deren Zurechtweisung er einen, großen Teile des Publikums unponirt, sind jämmerlich unbedeutend und schon dnrch ihr eignes Auftreten ni den Unger dieses selben Publikums mit Recht gerichtet. Ihnen kann er freilich unter Beifallsrufen erklären, daß er ihres Grußes nicht bedürfe — zu ihnen darf er sagen: „Ich habe also nicht die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen, sondern das Vergnügen — und dieses Vergnügen ist groß." Hätte er mit denselben Worten einem kriegserprobten, charakterfester Offizier gegenüber den gleichen Erfolg gehabt? Es ist ein Unterschied, ob mau auf etwas verzichtet, über dessen Genuß mau verfügt, oder ob mau Verzicht leistet, wo man nichts verlangen kann, nichts beanspruchen darf, und in dem letztern Falle befindet !>es Graf Trost, und er würde sich in demselben Falle befinden, wenn er statt jener Simpel, die deu Geist unsers Heeres gar nicht in sich aufgenommen haben, einem echten Soldaten gegenüberstünde, und wäre dies selbst ein blut¬ junger Leutnant. Er bliebe in dessen Augen trotz seines Kaffeetvnigtnms doch unmer nur der wortbrüchige Offizier, und mit Recht. Denn worin hat eigentlich sein Vergehen bestanden? Nicht darin, daß er ^nie schuldige Summe Geldes nicht bezahlt, sondern darin, daß er in leidenschaft¬ licher Gewinnsucht sein Ehrenwort verspielt hat. Ist die Verbindlichkeit, die Heiligkeit dieses Wortes nur ein Standesvorurtcil? Schillers „Bürgschaft" sollte auch den Mann aus dem Volke und seine beredten Sachwalter eines ^esseru belehren. Freilich, der Römer Tcicitus wundert sich darüber, daß bei den Germanen der Spieler, der nach Verlust von Haus und Hof zuletzt in wilder Leidenschaft seine eigne Person auf einen Wurf gesetzt hat, sich ohne widerstand fesseln und verknusen lasse; aber unverkennbar mischt sich in das Gefühl des Staunens anch das der Bewunderung: „So weit geht in einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/319>, abgerufen am 01.07.2024.