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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Beschränkung der Arbeit

gänzliche Verarmung der Nation, von der die Arbeiter nicht minder als
die bisher bemittelten Klassen betroffen werden würden.

Mit Einführung des achtstündigen Arbeitstages wird es nur freilich,
wenn wir nicht eine Revolution erleben sollten, noch seine guten Wege haben.
Aber eine Betrachtung der Wirkungen, die diese Einführung haben würde,
^ doch auch insofern von Interesse, als ähnliche Wirkungen, wenn auch
natürlich in verkleinerten Maße, sich an jede vom Staate erzwungene Minderung
der Arbeit knüpfen würden.

Wir sind weit entfernt, das Recht und die Pflicht des Staates zu be¬
izeiten, gewissen Extremen in der Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft ent¬
gegenzutreten. Aber man muß sich nur bewußt bleibe:,, daß alle solche Ma߬
regeln zweischneidig sind, daß jede Minderung der Arbeit eine Minderung der
^ütererzeugung und jede Minderung der Gütererzeugung eine Minderung des
Wohllebens, sei es auch nur Einzelner, herbeiführt. Wer ist es nun, der von
^ein Verluste betroffen werden wird? Zunächst wird es immer der Arbeiter
>eU,se sein, der entsprechend weniger Lohn erhält. Ob es ihm möglich ist, den
Verlust in andrer Weise wieder auszugleichen oder auf den Geschäftsherrn
überzuwälzcn, ist sehr fraglich. Mit dem Worte Humanität lassen sich solche
"ragen nicht einfach entscheiden. Es ist ja sehr leicht zu sagen: Die Huma¬
nität fordert, daß Frauen und Kiuder nicht durch übermäßige Arbeit mißbraucht
"erden. Gewiß! Unter Umständen kann die Frage aber auch so stehen: Ist
^ besser, daß Frauen und Kinder in der Fabrik arbeiten und etwas zu essen
laben, oder daß sie zu Hause feiern und Hunger leiden? Wo sich die Frage
stellt, da ist es sehr zweifelhaft, auf welcher Seite die größere Humanität
' "se- Unverkennbar ist übrigens das Drängen der Familienglieder nach ge¬
werblicher Arbeit eine Folge der starken Vermehrung der Familien. Ähnlich
'erhält es sich auch mit der Beschränkung der Sonntagsarbeit.

Ma" hat darauf hingewiesen, daß unsre Industrie durch eine größere
^schränkung in der Verwendung von Arbeitskräften Gefahr liefe, die Kvn-
rrenzfähigkeit mit dem Auslande einzubüßen und dadurch ihre Ausfuhr von
ndem zu verlieren. Dies ist insofern richtig, als, wenn bei uus teurer ge-
'ettet wird, das Ausland uns die teurer gewordenen Waren nicht mehr ab-
^ruine. l>,^ diesen Schaden von dem einzelnen Lande abzuwenden, hat man
für wünschenswert gehalten, daß alle Kulturländer sich gleichen Beschrän¬
kn
dir'"gen unterwerfen; und um dies anzubahnen, ist jüngst von unserm Kaiser
internationale Konferenz über die Arbeiterfrage berufen worden. Die Koü-
^ ^ hat eine Reihe von Beschränkungen der Industrie im Gebrauche der
rbeiterkräfte für wünschenswert erklärt. Wir nehmen an, daß dieses "Wünschens-
^'t' auch den Gedanken in sich schließen soll, daß die bezeichneten Beschrän-
selb^" anderweite Schädigung der Industrie, und namentlich der Arbeiter
möglich seien. Gerade in dieser Richtung ist aber die Frage außer-


Die Beschränkung der Arbeit

gänzliche Verarmung der Nation, von der die Arbeiter nicht minder als
die bisher bemittelten Klassen betroffen werden würden.

Mit Einführung des achtstündigen Arbeitstages wird es nur freilich,
wenn wir nicht eine Revolution erleben sollten, noch seine guten Wege haben.
Aber eine Betrachtung der Wirkungen, die diese Einführung haben würde,
^ doch auch insofern von Interesse, als ähnliche Wirkungen, wenn auch
natürlich in verkleinerten Maße, sich an jede vom Staate erzwungene Minderung
der Arbeit knüpfen würden.

Wir sind weit entfernt, das Recht und die Pflicht des Staates zu be¬
izeiten, gewissen Extremen in der Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft ent¬
gegenzutreten. Aber man muß sich nur bewußt bleibe:,, daß alle solche Ma߬
regeln zweischneidig sind, daß jede Minderung der Arbeit eine Minderung der
^ütererzeugung und jede Minderung der Gütererzeugung eine Minderung des
Wohllebens, sei es auch nur Einzelner, herbeiführt. Wer ist es nun, der von
^ein Verluste betroffen werden wird? Zunächst wird es immer der Arbeiter
>eU,se sein, der entsprechend weniger Lohn erhält. Ob es ihm möglich ist, den
Verlust in andrer Weise wieder auszugleichen oder auf den Geschäftsherrn
überzuwälzcn, ist sehr fraglich. Mit dem Worte Humanität lassen sich solche
»ragen nicht einfach entscheiden. Es ist ja sehr leicht zu sagen: Die Huma¬
nität fordert, daß Frauen und Kiuder nicht durch übermäßige Arbeit mißbraucht
"erden. Gewiß! Unter Umständen kann die Frage aber auch so stehen: Ist
^ besser, daß Frauen und Kinder in der Fabrik arbeiten und etwas zu essen
laben, oder daß sie zu Hause feiern und Hunger leiden? Wo sich die Frage
stellt, da ist es sehr zweifelhaft, auf welcher Seite die größere Humanität
' "se- Unverkennbar ist übrigens das Drängen der Familienglieder nach ge¬
werblicher Arbeit eine Folge der starken Vermehrung der Familien. Ähnlich
'erhält es sich auch mit der Beschränkung der Sonntagsarbeit.

Ma» hat darauf hingewiesen, daß unsre Industrie durch eine größere
^schränkung in der Verwendung von Arbeitskräften Gefahr liefe, die Kvn-
rrenzfähigkeit mit dem Auslande einzubüßen und dadurch ihre Ausfuhr von
ndem zu verlieren. Dies ist insofern richtig, als, wenn bei uus teurer ge-
'ettet wird, das Ausland uns die teurer gewordenen Waren nicht mehr ab-
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für wünschenswert gehalten, daß alle Kulturländer sich gleichen Beschrän¬
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dir'"gen unterwerfen; und um dies anzubahnen, ist jüngst von unserm Kaiser
internationale Konferenz über die Arbeiterfrage berufen worden. Die Koü-
^ ^ hat eine Reihe von Beschränkungen der Industrie im Gebrauche der
rbeiterkräfte für wünschenswert erklärt. Wir nehmen an, daß dieses „Wünschens-
^'t' auch den Gedanken in sich schließen soll, daß die bezeichneten Beschrän-
selb^" anderweite Schädigung der Industrie, und namentlich der Arbeiter
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[0299] Die Beschränkung der Arbeit gänzliche Verarmung der Nation, von der die Arbeiter nicht minder als die bisher bemittelten Klassen betroffen werden würden. Mit Einführung des achtstündigen Arbeitstages wird es nur freilich, wenn wir nicht eine Revolution erleben sollten, noch seine guten Wege haben. Aber eine Betrachtung der Wirkungen, die diese Einführung haben würde, ^ doch auch insofern von Interesse, als ähnliche Wirkungen, wenn auch natürlich in verkleinerten Maße, sich an jede vom Staate erzwungene Minderung der Arbeit knüpfen würden. Wir sind weit entfernt, das Recht und die Pflicht des Staates zu be¬ izeiten, gewissen Extremen in der Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft ent¬ gegenzutreten. Aber man muß sich nur bewußt bleibe:,, daß alle solche Ma߬ regeln zweischneidig sind, daß jede Minderung der Arbeit eine Minderung der ^ütererzeugung und jede Minderung der Gütererzeugung eine Minderung des Wohllebens, sei es auch nur Einzelner, herbeiführt. Wer ist es nun, der von ^ein Verluste betroffen werden wird? Zunächst wird es immer der Arbeiter >eU,se sein, der entsprechend weniger Lohn erhält. Ob es ihm möglich ist, den Verlust in andrer Weise wieder auszugleichen oder auf den Geschäftsherrn überzuwälzcn, ist sehr fraglich. Mit dem Worte Humanität lassen sich solche »ragen nicht einfach entscheiden. Es ist ja sehr leicht zu sagen: Die Huma¬ nität fordert, daß Frauen und Kiuder nicht durch übermäßige Arbeit mißbraucht "erden. Gewiß! Unter Umständen kann die Frage aber auch so stehen: Ist ^ besser, daß Frauen und Kinder in der Fabrik arbeiten und etwas zu essen laben, oder daß sie zu Hause feiern und Hunger leiden? Wo sich die Frage stellt, da ist es sehr zweifelhaft, auf welcher Seite die größere Humanität ' "se- Unverkennbar ist übrigens das Drängen der Familienglieder nach ge¬ werblicher Arbeit eine Folge der starken Vermehrung der Familien. Ähnlich 'erhält es sich auch mit der Beschränkung der Sonntagsarbeit. Ma» hat darauf hingewiesen, daß unsre Industrie durch eine größere ^schränkung in der Verwendung von Arbeitskräften Gefahr liefe, die Kvn- rrenzfähigkeit mit dem Auslande einzubüßen und dadurch ihre Ausfuhr von ndem zu verlieren. Dies ist insofern richtig, als, wenn bei uus teurer ge- 'ettet wird, das Ausland uns die teurer gewordenen Waren nicht mehr ab- ^ruine. l>,^ diesen Schaden von dem einzelnen Lande abzuwenden, hat man für wünschenswert gehalten, daß alle Kulturländer sich gleichen Beschrän¬ kn dir'"gen unterwerfen; und um dies anzubahnen, ist jüngst von unserm Kaiser internationale Konferenz über die Arbeiterfrage berufen worden. Die Koü- ^ ^ hat eine Reihe von Beschränkungen der Industrie im Gebrauche der rbeiterkräfte für wünschenswert erklärt. Wir nehmen an, daß dieses „Wünschens- ^'t' auch den Gedanken in sich schließen soll, daß die bezeichneten Beschrän- selb^" anderweite Schädigung der Industrie, und namentlich der Arbeiter möglich seien. Gerade in dieser Richtung ist aber die Frage außer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/299>, abgerufen am 28.09.2024.