Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.lernen; denn wie, wenn er gestorben wiire? was ungefähr so verständig ist, wie lernen; denn wie, wenn er gestorben wiire? was ungefähr so verständig ist, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207583"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_793" prev="#ID_792" next="#ID_794"> lernen; denn wie, wenn er gestorben wiire? was ungefähr so verständig ist, wie<lb/> die dann ausgesprochenen Vermutungen über Ursachen des Rücktritts mit der<lb/> Wirklichkeit stimmen. Dann wird Bismarcks Bedeutung in der auswärtigen Politik<lb/> anerkannt, und zwar fast unbedingt und zuweilen in sehr reichlichem Maße. Wir<lb/> danken ihm einen zwanzigjährigen Frieden; denn die Völker glauben infolge der<lb/> Mäßigung, die sich gerade der starke Bismarck in auswärtigen Fragen auferlegt<lb/> hat, an die ehrliche Absicht unsrer Regierung, die gewonnene Machtfülle nicht Mi߬<lb/> bräuchen zu wollen. „Niemals hat eine eitle Regung im Busen dieses Mannes<lb/> Raum gehabt; er hat, und das reckt seine Figur zu historischer Größe, nur da in<lb/> kalter rücksichtsloser Energie seinen Weg verfolgt, wo es ein Etwas zu erreichen<lb/> galt, das unbedingt errungen werden mußte." Das und manches andre hört sich<lb/> recht gut an. Dann aber kommt der Politiker aus Wolkenknknksheim zum Vorschein<lb/> und zeigt uns die Kehrseite des Bildes, uach der wir den Rücktritt des Reichs<lb/> lauzlers nicht bloß als keinen Verlust, sondern als ein .Milet für das deutsche<lb/> Voll" betrachten sollen. Der nationale Bismarck ist ihm „eine fragwürdige ge¬<lb/> stalt" ; „und wenn die Spuren seiner innern Politik weniger dauernde sein werden,<lb/> wenn hier nur Scheiuerfolge und Mißerfolge zu sehen siud, wie in seiner Wirtschafts<lb/> Politik, im Kulturkampf und im Kampfe mit der Sozialdemokratie, so wird man<lb/> die Ursache wohl darin finden, daß er sich weit weniger mis deutscher Staatsmann,<lb/> denn (!) als der ergebene Diener des Hanfes Hohenzollern fühlte." Er hätte mit<lb/> kühner Hand die Trennung des Staates von der Kirche vollziehen, die nationale<lb/> Schule auf dem Felsen der freien Wissenschaft errichten müssen, bann hätte er in<lb/> dreißig Jahren den letzten Römer deutscher Nation zu Grabe sinken sehen. Aber<lb/> er kam über das römisch-christliche Gottesgnadentum nicht hinaus, und da er dieses<lb/> nicht gefährden wollte, schloß er Frieden mit der Kirche. Bismarck hätte ferner eine<lb/> gründliche Sozinlreform vornehmen müssen, die allein die Bestrebungen der Soziab<lb/> demotrateu hemmen konnte, welche bereits „ans eine Heeresfolge von anderthalb<lb/> Millionen blicken" und nicht bloß die stärkste Partei in Dentschland, sondern<lb/> innerlich eins siud, „beseelt von dem Gedanken an ein Friedens- und Freiheitsreich<lb/> der Zukunft." Er hat die Erkenntnis der Notwendigkeit solcher Maßregeln und die<lb/> Mittel und Wege zu ihnen nicht gefunden. „Man wird seine Sozialreform ein¬<lb/> werfen und in ihr einen Alt voransschanender Gesetzgebung erblicke» wollen, aber<lb/> daS mare sehr kurzsichtig. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie war mit dein<lb/> Blut- und Eisenrezept allein nicht zu sichren, man mußte auch mit einigen innern<lb/> Reformen hervortreten, umso mehr, als das ängstlich gewordene Philistertum ihnen<lb/> einige Heilkraft beimaß. Aber der Kanzler kannte genan den Wert der Sache und<lb/> suchte wie ein geriebener Knnfmann die höchsten Preise dafür herauszuschlage»-<lb/> Das Tabaksmonopol bewilligte man ihm zwar nicht, aber die Zollqnelle machte<lb/> man ihm ergiebiger, die indirekten Steuern ließ man ihm wachsen, den SpiritM'<lb/> ließ man hinten, daß eS nnr so eine Frende war." Man sieht, unser Kritik<lb/> drückt sich immer feiner ans, und schließlich entpuppt er sich vollständig mit dein<lb/> Satze: „Nix zu handeln! Das ist das Motto der ganzen innern Politik Bismarcks,<lb/> das ganze Geheimnis seiner Regierungskunst, mit allen Parteien fertig zu werde»-<lb/> Sie konnten alle etwas gebrauchen, und wie ein nüchterner Geschäftsmann richtete<lb/> er sich ganz uach der Konjunktur und machte heute in Knltnrkampfgesetzen, morge»<lb/> in Getreidezöllen, übermorgen in Arbeiterschntz. Daß aber der gute Geschäftsmann<lb/> ein guter Staatsmann gewesen sei, wird man schwer beweisen tonnen. Was mM^<lb/> denn' die Staatskunst ans? Ihr höchstes und einziges Ziel ist die Wohlfahrt de»<lb/> Volkes, das Problem, vor dein sie ewig sieht, läutet:' die höchste Summe von</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
lernen; denn wie, wenn er gestorben wiire? was ungefähr so verständig ist, wie
die dann ausgesprochenen Vermutungen über Ursachen des Rücktritts mit der
Wirklichkeit stimmen. Dann wird Bismarcks Bedeutung in der auswärtigen Politik
anerkannt, und zwar fast unbedingt und zuweilen in sehr reichlichem Maße. Wir
danken ihm einen zwanzigjährigen Frieden; denn die Völker glauben infolge der
Mäßigung, die sich gerade der starke Bismarck in auswärtigen Fragen auferlegt
hat, an die ehrliche Absicht unsrer Regierung, die gewonnene Machtfülle nicht Mi߬
bräuchen zu wollen. „Niemals hat eine eitle Regung im Busen dieses Mannes
Raum gehabt; er hat, und das reckt seine Figur zu historischer Größe, nur da in
kalter rücksichtsloser Energie seinen Weg verfolgt, wo es ein Etwas zu erreichen
galt, das unbedingt errungen werden mußte." Das und manches andre hört sich
recht gut an. Dann aber kommt der Politiker aus Wolkenknknksheim zum Vorschein
und zeigt uns die Kehrseite des Bildes, uach der wir den Rücktritt des Reichs
lauzlers nicht bloß als keinen Verlust, sondern als ein .Milet für das deutsche
Voll" betrachten sollen. Der nationale Bismarck ist ihm „eine fragwürdige ge¬
stalt" ; „und wenn die Spuren seiner innern Politik weniger dauernde sein werden,
wenn hier nur Scheiuerfolge und Mißerfolge zu sehen siud, wie in seiner Wirtschafts
Politik, im Kulturkampf und im Kampfe mit der Sozialdemokratie, so wird man
die Ursache wohl darin finden, daß er sich weit weniger mis deutscher Staatsmann,
denn (!) als der ergebene Diener des Hanfes Hohenzollern fühlte." Er hätte mit
kühner Hand die Trennung des Staates von der Kirche vollziehen, die nationale
Schule auf dem Felsen der freien Wissenschaft errichten müssen, bann hätte er in
dreißig Jahren den letzten Römer deutscher Nation zu Grabe sinken sehen. Aber
er kam über das römisch-christliche Gottesgnadentum nicht hinaus, und da er dieses
nicht gefährden wollte, schloß er Frieden mit der Kirche. Bismarck hätte ferner eine
gründliche Sozinlreform vornehmen müssen, die allein die Bestrebungen der Soziab
demotrateu hemmen konnte, welche bereits „ans eine Heeresfolge von anderthalb
Millionen blicken" und nicht bloß die stärkste Partei in Dentschland, sondern
innerlich eins siud, „beseelt von dem Gedanken an ein Friedens- und Freiheitsreich
der Zukunft." Er hat die Erkenntnis der Notwendigkeit solcher Maßregeln und die
Mittel und Wege zu ihnen nicht gefunden. „Man wird seine Sozialreform ein¬
werfen und in ihr einen Alt voransschanender Gesetzgebung erblicke» wollen, aber
daS mare sehr kurzsichtig. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie war mit dein
Blut- und Eisenrezept allein nicht zu sichren, man mußte auch mit einigen innern
Reformen hervortreten, umso mehr, als das ängstlich gewordene Philistertum ihnen
einige Heilkraft beimaß. Aber der Kanzler kannte genan den Wert der Sache und
suchte wie ein geriebener Knnfmann die höchsten Preise dafür herauszuschlage»-
Das Tabaksmonopol bewilligte man ihm zwar nicht, aber die Zollqnelle machte
man ihm ergiebiger, die indirekten Steuern ließ man ihm wachsen, den SpiritM'
ließ man hinten, daß eS nnr so eine Frende war." Man sieht, unser Kritik
drückt sich immer feiner ans, und schließlich entpuppt er sich vollständig mit dein
Satze: „Nix zu handeln! Das ist das Motto der ganzen innern Politik Bismarcks,
das ganze Geheimnis seiner Regierungskunst, mit allen Parteien fertig zu werde»-
Sie konnten alle etwas gebrauchen, und wie ein nüchterner Geschäftsmann richtete
er sich ganz uach der Konjunktur und machte heute in Knltnrkampfgesetzen, morge»
in Getreidezöllen, übermorgen in Arbeiterschntz. Daß aber der gute Geschäftsmann
ein guter Staatsmann gewesen sei, wird man schwer beweisen tonnen. Was mM^
denn' die Staatskunst ans? Ihr höchstes und einziges Ziel ist die Wohlfahrt de»
Volkes, das Problem, vor dein sie ewig sieht, läutet:' die höchste Summe von
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