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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Lekämpfmig der Socialdemokratie

keine Rede sein, und in diesen Fällen muß die Erlaubnis unbedingt versagt
werden. Hier wie in andern Fallen bedarf es keines neuen Gesetzes; es kommt
nur auf die Ausführung der bestehenden Bestimmungen an, und diese muß
kontrolirt werden.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Bestimmungen über die Sonntags¬
ruhe. Diese sind in den meiste" Regierungsbezirken durch die Regierungen
oder die Regierungspräsidenten in Form von Pvlizeiverordnungen erlassen,
aber leider werden sie nicht ausgeführt.

Wenn mau die Oder abwärts von Stettin befährt, sieht man in dem
Dorfe Züllchow die Mühlen auch nu Sonn- und Feiertagen dampfen und
arbeiten, obwohl die betreffende Negierungspolizeiverordnung die Arbeiten
in Fabriken und alle öffentlich auffälligen Arbeiten nnr in Notfällen gestattet. Ob
hier ein Notfall vorliegt, möge mau darnach beurteilen, daß z. V. die Walz¬
mühle in Züllchow den Aktionären im vergangenen Jahre eine Dividende von
dreißig Prozent eingebracht hat, und daß die Arbeit an Sonn- und Feiertagen
nicht ausnahmsweise, sondern jahrein jahraus betrieben wird. Wenn der
Schmied die Sonntagsruhe nicht stören darf, wenn der Frachtfuhrmann die
ihm anvertrauten Güter nicht auf- und abladen darf, wenn der Landmann an
Sonn- und Feiertagen seine Arbeit ruhen lassen soll, weshalb wird diesen
Mühlenbesitzern ein Recht gewährt, das offenbar deu bestehenden Bestimmungen
widerspricht und die Arbeiter zu Vergleichen veranlaßt, die unmöglich mit Zu¬
friedenheit enden können.

Auch zu dem sechsten Punkte des erwähnten Aufsatzes möchten wir eine Be¬
merkung machen. Es ist ganz richtig, daß der erste Grundsatz der Sozial¬
demokratie ist, die Religion zu untergraben, den Glauben an Gott als etwas
überflüssiges hinzustellen, das das Wohl der Menschheit störe, um dann auch
die weltliche Autorität zu beseitigen. Die sozialistischen Blätter "Freiheit",
i'Sozialdemokrat" u. s. w. predigen dergleichen in jeder Nummer. Ebenso richtig
^ es, daß das Beispiel der Städter sehr auf die Landbewohner einwirkt, daß
die in den Städten herrschende Unsittlichkeit und Religionslosigkeit sich den
^andleuteu, die in den Städten dienen, sich ihrer Geschäfte halber aufhalten u. s. w.,
mitteilt. Da scheint uns denn die Frage berechtigt: Thun hier wohl die Diener
der Kirche ihre Schuldigkeit, suchen sie durch treue Seelsorge zu ändern und
bessern?

So viel uns bekannt ist, sind Pfarrer, die nicht bloß in den SonntagS-
predigtm und andern vorgeschriebenen Amtshandlungen, sondern insbesondre
Ul den Hausbesuchen ihrer Gemeinde zu wirken suchen, in deu Städten des
Ostens der preußischen Monarchie eine Seltenheit. Pfarrer mit bedeutenden
^ehalten, ja mit Vermögen benutzeu ihre Zeit teilweise, um in Privatschulen
Legen Entgelt Unterricht zu erteilen; sie wenden also die Zeit, die der Gemeinde-
^elsorge gehören sollte, anderweitig an. Eine oft gehörte Klage der Kirche


Zur Lekämpfmig der Socialdemokratie

keine Rede sein, und in diesen Fällen muß die Erlaubnis unbedingt versagt
werden. Hier wie in andern Fallen bedarf es keines neuen Gesetzes; es kommt
nur auf die Ausführung der bestehenden Bestimmungen an, und diese muß
kontrolirt werden.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Bestimmungen über die Sonntags¬
ruhe. Diese sind in den meiste» Regierungsbezirken durch die Regierungen
oder die Regierungspräsidenten in Form von Pvlizeiverordnungen erlassen,
aber leider werden sie nicht ausgeführt.

Wenn mau die Oder abwärts von Stettin befährt, sieht man in dem
Dorfe Züllchow die Mühlen auch nu Sonn- und Feiertagen dampfen und
arbeiten, obwohl die betreffende Negierungspolizeiverordnung die Arbeiten
in Fabriken und alle öffentlich auffälligen Arbeiten nnr in Notfällen gestattet. Ob
hier ein Notfall vorliegt, möge mau darnach beurteilen, daß z. V. die Walz¬
mühle in Züllchow den Aktionären im vergangenen Jahre eine Dividende von
dreißig Prozent eingebracht hat, und daß die Arbeit an Sonn- und Feiertagen
nicht ausnahmsweise, sondern jahrein jahraus betrieben wird. Wenn der
Schmied die Sonntagsruhe nicht stören darf, wenn der Frachtfuhrmann die
ihm anvertrauten Güter nicht auf- und abladen darf, wenn der Landmann an
Sonn- und Feiertagen seine Arbeit ruhen lassen soll, weshalb wird diesen
Mühlenbesitzern ein Recht gewährt, das offenbar deu bestehenden Bestimmungen
widerspricht und die Arbeiter zu Vergleichen veranlaßt, die unmöglich mit Zu¬
friedenheit enden können.

Auch zu dem sechsten Punkte des erwähnten Aufsatzes möchten wir eine Be¬
merkung machen. Es ist ganz richtig, daß der erste Grundsatz der Sozial¬
demokratie ist, die Religion zu untergraben, den Glauben an Gott als etwas
überflüssiges hinzustellen, das das Wohl der Menschheit störe, um dann auch
die weltliche Autorität zu beseitigen. Die sozialistischen Blätter „Freiheit",
i'Sozialdemokrat" u. s. w. predigen dergleichen in jeder Nummer. Ebenso richtig
^ es, daß das Beispiel der Städter sehr auf die Landbewohner einwirkt, daß
die in den Städten herrschende Unsittlichkeit und Religionslosigkeit sich den
^andleuteu, die in den Städten dienen, sich ihrer Geschäfte halber aufhalten u. s. w.,
mitteilt. Da scheint uns denn die Frage berechtigt: Thun hier wohl die Diener
der Kirche ihre Schuldigkeit, suchen sie durch treue Seelsorge zu ändern und
bessern?

So viel uns bekannt ist, sind Pfarrer, die nicht bloß in den SonntagS-
predigtm und andern vorgeschriebenen Amtshandlungen, sondern insbesondre
Ul den Hausbesuchen ihrer Gemeinde zu wirken suchen, in deu Städten des
Ostens der preußischen Monarchie eine Seltenheit. Pfarrer mit bedeutenden
^ehalten, ja mit Vermögen benutzeu ihre Zeit teilweise, um in Privatschulen
Legen Entgelt Unterricht zu erteilen; sie wenden also die Zeit, die der Gemeinde-
^elsorge gehören sollte, anderweitig an. Eine oft gehörte Klage der Kirche


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[0157] Zur Lekämpfmig der Socialdemokratie keine Rede sein, und in diesen Fällen muß die Erlaubnis unbedingt versagt werden. Hier wie in andern Fallen bedarf es keines neuen Gesetzes; es kommt nur auf die Ausführung der bestehenden Bestimmungen an, und diese muß kontrolirt werden. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Bestimmungen über die Sonntags¬ ruhe. Diese sind in den meiste» Regierungsbezirken durch die Regierungen oder die Regierungspräsidenten in Form von Pvlizeiverordnungen erlassen, aber leider werden sie nicht ausgeführt. Wenn mau die Oder abwärts von Stettin befährt, sieht man in dem Dorfe Züllchow die Mühlen auch nu Sonn- und Feiertagen dampfen und arbeiten, obwohl die betreffende Negierungspolizeiverordnung die Arbeiten in Fabriken und alle öffentlich auffälligen Arbeiten nnr in Notfällen gestattet. Ob hier ein Notfall vorliegt, möge mau darnach beurteilen, daß z. V. die Walz¬ mühle in Züllchow den Aktionären im vergangenen Jahre eine Dividende von dreißig Prozent eingebracht hat, und daß die Arbeit an Sonn- und Feiertagen nicht ausnahmsweise, sondern jahrein jahraus betrieben wird. Wenn der Schmied die Sonntagsruhe nicht stören darf, wenn der Frachtfuhrmann die ihm anvertrauten Güter nicht auf- und abladen darf, wenn der Landmann an Sonn- und Feiertagen seine Arbeit ruhen lassen soll, weshalb wird diesen Mühlenbesitzern ein Recht gewährt, das offenbar deu bestehenden Bestimmungen widerspricht und die Arbeiter zu Vergleichen veranlaßt, die unmöglich mit Zu¬ friedenheit enden können. Auch zu dem sechsten Punkte des erwähnten Aufsatzes möchten wir eine Be¬ merkung machen. Es ist ganz richtig, daß der erste Grundsatz der Sozial¬ demokratie ist, die Religion zu untergraben, den Glauben an Gott als etwas überflüssiges hinzustellen, das das Wohl der Menschheit störe, um dann auch die weltliche Autorität zu beseitigen. Die sozialistischen Blätter „Freiheit", i'Sozialdemokrat" u. s. w. predigen dergleichen in jeder Nummer. Ebenso richtig ^ es, daß das Beispiel der Städter sehr auf die Landbewohner einwirkt, daß die in den Städten herrschende Unsittlichkeit und Religionslosigkeit sich den ^andleuteu, die in den Städten dienen, sich ihrer Geschäfte halber aufhalten u. s. w., mitteilt. Da scheint uns denn die Frage berechtigt: Thun hier wohl die Diener der Kirche ihre Schuldigkeit, suchen sie durch treue Seelsorge zu ändern und bessern? So viel uns bekannt ist, sind Pfarrer, die nicht bloß in den SonntagS- predigtm und andern vorgeschriebenen Amtshandlungen, sondern insbesondre Ul den Hausbesuchen ihrer Gemeinde zu wirken suchen, in deu Städten des Ostens der preußischen Monarchie eine Seltenheit. Pfarrer mit bedeutenden ^ehalten, ja mit Vermögen benutzeu ihre Zeit teilweise, um in Privatschulen Legen Entgelt Unterricht zu erteilen; sie wenden also die Zeit, die der Gemeinde- ^elsorge gehören sollte, anderweitig an. Eine oft gehörte Klage der Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/157>, abgerufen am 22.07.2024.