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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Arbeitsämter

Vorkommnisse der benachbarten Stadt oder des verwandten Jndustriezweiges,
und die Wissenschaft bietet nur selten die außerordentlich mühseligen ver¬
gleichenden Zusammenstellungen, die eine sachgemäße Aufklärung erleichtern,
lind doch liegt es auf der Hand, wie notwendig diese ist, wenn Maßregeln
zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes ersonnen werden sollen.

Diesem Bedürfnis nach Aufklärung sind die Erhebungen entsprungen, die
gelegentlich vou Reichs wegen unternommen wurden über die Frauen- und
Kinderarbeit in den Fabriken, über die Verhältnisse der Lehrlinge, Gesellen
und Fabrikarbeiter, über die Sonntagsarbeit, über die Lage der Arbeiterinnen
in der Wäschfnbrikation und im Kleidergeschäft, mich die vom Verein für
Sozialpolitik in die Hand genommenen Materialsammlnngen über die Wohnungs¬
not der ärmern Klassen und über die Hausindustrie. Aber derartige Ver¬
öffentlichungen geben mir Angenblicksbilder. Sie lassen erkennen, wie im
Augenblick der Aufnahme die Zustände beschaffen waren, aber es fehlt ihnen
die Regelmäßigkeit der Wiederholung, die allein in den Stand setzen würde,
zu beurteilen, ob sich eine Änderung in gutem oder schlechtem Sinne vollzogen
habe. Wie viel anch in den letzten Jahren auf diesem Wege enthüllt worden
ist, jede neue Schrift über irgend eine Industrie im deutscheu Reiche bringt
eine ungeahnte Erweiterung unsrer Kenntnisse. Mag sich die Forschung auf
die großartige oberelsässischc Banmwollenindnstrie, auf die ansehnliche Metall¬
schlägerei in Fürth oder die schlesische Glasindustrie erstrecken, Industrien,
über die uns erst kürzlich ausführliche Mitteilung geworden ist, immer lernt
man aus solchen Schilderungen das Leben der Arbeiter, ihre wirtschaftliche
Lage, ihre sittlichen Zustände, ihre Aussichten und Hoffnungen von einer neuen
Seite kennen.

Gerade diese Vielgestnltigkcit der Erscheinungen erfordert, daß in ihre
Erforschung und Aufdeckung Plan und Zusammenhang gebracht werde. Das
aber streben die Arbeitsämter an. Ihre Untersuchungen müßten sich nach
dem gesagten etwa auf Folgendes ausdehne". Sie hätten die Zahl der i"
den verschiednen Unternehmungen beschäftigten Arbeiterklassen: verheiratete,
ledige, männliche, weibliche, Kinder, festzustellen. Es müßte ferner die
Arbeitszeit ermittelt werden, die Dauer derselben am Tage, das Vorkomme"
von Sonntags- und Nachtarbeit, die Häufigkeit der Pausen. Nicht weniger
Aufmerksamkeit verdient die Lvhnstatistik. Lohnhöhe und Lohnart, Stück-,
Zeit-, Akkordlohn, Lohnschwnnkuugeu, Verbesserungen des herrschenden Lohn-
systems durch Tantieme, Gewinnbeteiligung oder Prämien, Lohnabzüge und
dergleichen mehr müßten regelmäßig aufgezeichnet werden. Auch die Statistik
der Arbeitslosen fordert Berücksichtigung, d. h. in dem Sinne, daß man z"
erfahren sucht, wie viel Arbeiter keine Beschäftigung finden können, wann
und wie oft das geschieht, sowie ob sich derartige Zustände in regelmäßiger
Wiederkehr zeigen. Daß dem Familienleben der Arbeiter, der Zahl der Kinder


Arbeitsämter

Vorkommnisse der benachbarten Stadt oder des verwandten Jndustriezweiges,
und die Wissenschaft bietet nur selten die außerordentlich mühseligen ver¬
gleichenden Zusammenstellungen, die eine sachgemäße Aufklärung erleichtern,
lind doch liegt es auf der Hand, wie notwendig diese ist, wenn Maßregeln
zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes ersonnen werden sollen.

Diesem Bedürfnis nach Aufklärung sind die Erhebungen entsprungen, die
gelegentlich vou Reichs wegen unternommen wurden über die Frauen- und
Kinderarbeit in den Fabriken, über die Verhältnisse der Lehrlinge, Gesellen
und Fabrikarbeiter, über die Sonntagsarbeit, über die Lage der Arbeiterinnen
in der Wäschfnbrikation und im Kleidergeschäft, mich die vom Verein für
Sozialpolitik in die Hand genommenen Materialsammlnngen über die Wohnungs¬
not der ärmern Klassen und über die Hausindustrie. Aber derartige Ver¬
öffentlichungen geben mir Angenblicksbilder. Sie lassen erkennen, wie im
Augenblick der Aufnahme die Zustände beschaffen waren, aber es fehlt ihnen
die Regelmäßigkeit der Wiederholung, die allein in den Stand setzen würde,
zu beurteilen, ob sich eine Änderung in gutem oder schlechtem Sinne vollzogen
habe. Wie viel anch in den letzten Jahren auf diesem Wege enthüllt worden
ist, jede neue Schrift über irgend eine Industrie im deutscheu Reiche bringt
eine ungeahnte Erweiterung unsrer Kenntnisse. Mag sich die Forschung auf
die großartige oberelsässischc Banmwollenindnstrie, auf die ansehnliche Metall¬
schlägerei in Fürth oder die schlesische Glasindustrie erstrecken, Industrien,
über die uns erst kürzlich ausführliche Mitteilung geworden ist, immer lernt
man aus solchen Schilderungen das Leben der Arbeiter, ihre wirtschaftliche
Lage, ihre sittlichen Zustände, ihre Aussichten und Hoffnungen von einer neuen
Seite kennen.

Gerade diese Vielgestnltigkcit der Erscheinungen erfordert, daß in ihre
Erforschung und Aufdeckung Plan und Zusammenhang gebracht werde. Das
aber streben die Arbeitsämter an. Ihre Untersuchungen müßten sich nach
dem gesagten etwa auf Folgendes ausdehne». Sie hätten die Zahl der i»
den verschiednen Unternehmungen beschäftigten Arbeiterklassen: verheiratete,
ledige, männliche, weibliche, Kinder, festzustellen. Es müßte ferner die
Arbeitszeit ermittelt werden, die Dauer derselben am Tage, das Vorkomme»
von Sonntags- und Nachtarbeit, die Häufigkeit der Pausen. Nicht weniger
Aufmerksamkeit verdient die Lvhnstatistik. Lohnhöhe und Lohnart, Stück-,
Zeit-, Akkordlohn, Lohnschwnnkuugeu, Verbesserungen des herrschenden Lohn-
systems durch Tantieme, Gewinnbeteiligung oder Prämien, Lohnabzüge und
dergleichen mehr müßten regelmäßig aufgezeichnet werden. Auch die Statistik
der Arbeitslosen fordert Berücksichtigung, d. h. in dem Sinne, daß man z»
erfahren sucht, wie viel Arbeiter keine Beschäftigung finden können, wann
und wie oft das geschieht, sowie ob sich derartige Zustände in regelmäßiger
Wiederkehr zeigen. Daß dem Familienleben der Arbeiter, der Zahl der Kinder


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[0106] Arbeitsämter Vorkommnisse der benachbarten Stadt oder des verwandten Jndustriezweiges, und die Wissenschaft bietet nur selten die außerordentlich mühseligen ver¬ gleichenden Zusammenstellungen, die eine sachgemäße Aufklärung erleichtern, lind doch liegt es auf der Hand, wie notwendig diese ist, wenn Maßregeln zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes ersonnen werden sollen. Diesem Bedürfnis nach Aufklärung sind die Erhebungen entsprungen, die gelegentlich vou Reichs wegen unternommen wurden über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken, über die Verhältnisse der Lehrlinge, Gesellen und Fabrikarbeiter, über die Sonntagsarbeit, über die Lage der Arbeiterinnen in der Wäschfnbrikation und im Kleidergeschäft, mich die vom Verein für Sozialpolitik in die Hand genommenen Materialsammlnngen über die Wohnungs¬ not der ärmern Klassen und über die Hausindustrie. Aber derartige Ver¬ öffentlichungen geben mir Angenblicksbilder. Sie lassen erkennen, wie im Augenblick der Aufnahme die Zustände beschaffen waren, aber es fehlt ihnen die Regelmäßigkeit der Wiederholung, die allein in den Stand setzen würde, zu beurteilen, ob sich eine Änderung in gutem oder schlechtem Sinne vollzogen habe. Wie viel anch in den letzten Jahren auf diesem Wege enthüllt worden ist, jede neue Schrift über irgend eine Industrie im deutscheu Reiche bringt eine ungeahnte Erweiterung unsrer Kenntnisse. Mag sich die Forschung auf die großartige oberelsässischc Banmwollenindnstrie, auf die ansehnliche Metall¬ schlägerei in Fürth oder die schlesische Glasindustrie erstrecken, Industrien, über die uns erst kürzlich ausführliche Mitteilung geworden ist, immer lernt man aus solchen Schilderungen das Leben der Arbeiter, ihre wirtschaftliche Lage, ihre sittlichen Zustände, ihre Aussichten und Hoffnungen von einer neuen Seite kennen. Gerade diese Vielgestnltigkcit der Erscheinungen erfordert, daß in ihre Erforschung und Aufdeckung Plan und Zusammenhang gebracht werde. Das aber streben die Arbeitsämter an. Ihre Untersuchungen müßten sich nach dem gesagten etwa auf Folgendes ausdehne». Sie hätten die Zahl der i» den verschiednen Unternehmungen beschäftigten Arbeiterklassen: verheiratete, ledige, männliche, weibliche, Kinder, festzustellen. Es müßte ferner die Arbeitszeit ermittelt werden, die Dauer derselben am Tage, das Vorkomme» von Sonntags- und Nachtarbeit, die Häufigkeit der Pausen. Nicht weniger Aufmerksamkeit verdient die Lvhnstatistik. Lohnhöhe und Lohnart, Stück-, Zeit-, Akkordlohn, Lohnschwnnkuugeu, Verbesserungen des herrschenden Lohn- systems durch Tantieme, Gewinnbeteiligung oder Prämien, Lohnabzüge und dergleichen mehr müßten regelmäßig aufgezeichnet werden. Auch die Statistik der Arbeitslosen fordert Berücksichtigung, d. h. in dem Sinne, daß man z» erfahren sucht, wie viel Arbeiter keine Beschäftigung finden können, wann und wie oft das geschieht, sowie ob sich derartige Zustände in regelmäßiger Wiederkehr zeigen. Daß dem Familienleben der Arbeiter, der Zahl der Kinder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/106>, abgerufen am 21.06.2024.