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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

Fürsten und die Bedürfnisse ihrer Völker. An die Stelle der ersehnten leben¬
digen und greifbaren Einheit trat ein "trauriges Surrogat, an die Stelle des
Kaisers eine permanente Diplomateukonferenz. Nur mit Widerstreben fügten
sich einzelne Regierungen, wie die bairische, den Anforderungen, welche selbst
dieses lose Einheitsband an des Grafen Montgelas Souveränitntsschwindcl
stellte." Die Julirevolution, die in England eine Umgestaltung der alten Ver¬
fassung einleitete, ging am deutschen Bunde scheinbar spurlos vorüber. In
allen europäischem Fragen fuhr Friedrich Wilhelm III. fort, sich Rußland und
Osterreich unterzuordnen, und so kam 1833 zu Münchengrätz das geheime
Bündnis der drei nordischen Mächte gegen die Revolution zu stände, wobei
Zar Nikolaus die europäische Hegemonie befestigte, die er bis zum Krimkriege
ausübte. Achtzehn Jahre lang gingen die deutschen Dinge dann im gewohnten
Geleise fort, und nur einmal, als der kleine Thiers Miene machte, große Politik
zu treiben, woran ihn die Friedensliebe des "Bürgerkönigs" alsbald verhinderte,
rauschte das deutsche Nationalgefühl, der Geist von 1813, in einer für Öster¬
reich um so bedenklicheren Weise auf, als gleichzeitig in Berlin ein schwer zu
berechnender Romantiker den Thron bestieg, und als Preußen inzwischen den
Zollverein gestiftet und dadurch den Einfluß Österreichs, soweit er sich durch
deu Bundestag geltend machte, folgenschwer gelähmt hatte. Er war "die
einzige praktische politische That, die im Interesse Gesamtdeutschlands in dem
Zeitraume vou 1815 bis 1848 in die Annalen unsrer Geschichte zu verzeichnen
ist." Die Februarrevolution wirkte zerstörend auf die Staatseinrichtungen in
allen deutschen Ländern. Metternich und der Bundestag verschwanden von
der Bühne, in Wien und Berlin herrschte mehr oder weniger gemütliche
Anarchie, in Frankfurt versammelte sich ein Prvfessorenparlament, um eine
ganz unpraktische Verfassung zu beschließen, einen österreichischen Erzherzog zum
Reichsverweser zu bestellen und dann mit geringer Mehrheit den König von
Preußen zum erblichen Kaiser zu wählen. Als dieser die Krone wohlweislich
ablehnte, stieg die Verwirrung aufs höchste. Endlich ernannten sich die Armeen,
"und der revolutionäre Teufelsspuk machte ernstern Verwicklungen Platz. Der
Kaiser von Österreich hatte auf Grund des Münchengrcitzer Vertrages zur Her¬
stellung der Ordnung in Ungarn russische Hilfe annehmen müssen, und als
mit dieser das Werk gelungen war, hielt es der Zar für an der Zeit, auch
in Deutschland Frieden zu gebieten, und in Olmütz beugte sich nicht bloß
Preußen, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern auch Österreich seinem
Machtspruche." Letzteres ging nach Olmütz, statt Radetzky gegen das ungerttstete
Preußen zu senden und in Berlin den Frieden zu diktiren. Die damalige
preußische Armee Hütte den Marsch des Siegers von Custozza und Novara
nicht aufhalten können. "Aber einmal in Berlin, was dann? Österreich
konnte im November 1850 auch nach einem noch so siegreichen Feldzuge nicht
daran denken, ein einiges Deutschland ohne Preußen wieder herzustellen. Die


Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

Fürsten und die Bedürfnisse ihrer Völker. An die Stelle der ersehnten leben¬
digen und greifbaren Einheit trat ein „trauriges Surrogat, an die Stelle des
Kaisers eine permanente Diplomateukonferenz. Nur mit Widerstreben fügten
sich einzelne Regierungen, wie die bairische, den Anforderungen, welche selbst
dieses lose Einheitsband an des Grafen Montgelas Souveränitntsschwindcl
stellte." Die Julirevolution, die in England eine Umgestaltung der alten Ver¬
fassung einleitete, ging am deutschen Bunde scheinbar spurlos vorüber. In
allen europäischem Fragen fuhr Friedrich Wilhelm III. fort, sich Rußland und
Osterreich unterzuordnen, und so kam 1833 zu Münchengrätz das geheime
Bündnis der drei nordischen Mächte gegen die Revolution zu stände, wobei
Zar Nikolaus die europäische Hegemonie befestigte, die er bis zum Krimkriege
ausübte. Achtzehn Jahre lang gingen die deutschen Dinge dann im gewohnten
Geleise fort, und nur einmal, als der kleine Thiers Miene machte, große Politik
zu treiben, woran ihn die Friedensliebe des „Bürgerkönigs" alsbald verhinderte,
rauschte das deutsche Nationalgefühl, der Geist von 1813, in einer für Öster¬
reich um so bedenklicheren Weise auf, als gleichzeitig in Berlin ein schwer zu
berechnender Romantiker den Thron bestieg, und als Preußen inzwischen den
Zollverein gestiftet und dadurch den Einfluß Österreichs, soweit er sich durch
deu Bundestag geltend machte, folgenschwer gelähmt hatte. Er war „die
einzige praktische politische That, die im Interesse Gesamtdeutschlands in dem
Zeitraume vou 1815 bis 1848 in die Annalen unsrer Geschichte zu verzeichnen
ist." Die Februarrevolution wirkte zerstörend auf die Staatseinrichtungen in
allen deutschen Ländern. Metternich und der Bundestag verschwanden von
der Bühne, in Wien und Berlin herrschte mehr oder weniger gemütliche
Anarchie, in Frankfurt versammelte sich ein Prvfessorenparlament, um eine
ganz unpraktische Verfassung zu beschließen, einen österreichischen Erzherzog zum
Reichsverweser zu bestellen und dann mit geringer Mehrheit den König von
Preußen zum erblichen Kaiser zu wählen. Als dieser die Krone wohlweislich
ablehnte, stieg die Verwirrung aufs höchste. Endlich ernannten sich die Armeen,
„und der revolutionäre Teufelsspuk machte ernstern Verwicklungen Platz. Der
Kaiser von Österreich hatte auf Grund des Münchengrcitzer Vertrages zur Her¬
stellung der Ordnung in Ungarn russische Hilfe annehmen müssen, und als
mit dieser das Werk gelungen war, hielt es der Zar für an der Zeit, auch
in Deutschland Frieden zu gebieten, und in Olmütz beugte sich nicht bloß
Preußen, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern auch Österreich seinem
Machtspruche." Letzteres ging nach Olmütz, statt Radetzky gegen das ungerttstete
Preußen zu senden und in Berlin den Frieden zu diktiren. Die damalige
preußische Armee Hütte den Marsch des Siegers von Custozza und Novara
nicht aufhalten können. „Aber einmal in Berlin, was dann? Österreich
konnte im November 1850 auch nach einem noch so siegreichen Feldzuge nicht
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[0088] Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten Fürsten und die Bedürfnisse ihrer Völker. An die Stelle der ersehnten leben¬ digen und greifbaren Einheit trat ein „trauriges Surrogat, an die Stelle des Kaisers eine permanente Diplomateukonferenz. Nur mit Widerstreben fügten sich einzelne Regierungen, wie die bairische, den Anforderungen, welche selbst dieses lose Einheitsband an des Grafen Montgelas Souveränitntsschwindcl stellte." Die Julirevolution, die in England eine Umgestaltung der alten Ver¬ fassung einleitete, ging am deutschen Bunde scheinbar spurlos vorüber. In allen europäischem Fragen fuhr Friedrich Wilhelm III. fort, sich Rußland und Osterreich unterzuordnen, und so kam 1833 zu Münchengrätz das geheime Bündnis der drei nordischen Mächte gegen die Revolution zu stände, wobei Zar Nikolaus die europäische Hegemonie befestigte, die er bis zum Krimkriege ausübte. Achtzehn Jahre lang gingen die deutschen Dinge dann im gewohnten Geleise fort, und nur einmal, als der kleine Thiers Miene machte, große Politik zu treiben, woran ihn die Friedensliebe des „Bürgerkönigs" alsbald verhinderte, rauschte das deutsche Nationalgefühl, der Geist von 1813, in einer für Öster¬ reich um so bedenklicheren Weise auf, als gleichzeitig in Berlin ein schwer zu berechnender Romantiker den Thron bestieg, und als Preußen inzwischen den Zollverein gestiftet und dadurch den Einfluß Österreichs, soweit er sich durch deu Bundestag geltend machte, folgenschwer gelähmt hatte. Er war „die einzige praktische politische That, die im Interesse Gesamtdeutschlands in dem Zeitraume vou 1815 bis 1848 in die Annalen unsrer Geschichte zu verzeichnen ist." Die Februarrevolution wirkte zerstörend auf die Staatseinrichtungen in allen deutschen Ländern. Metternich und der Bundestag verschwanden von der Bühne, in Wien und Berlin herrschte mehr oder weniger gemütliche Anarchie, in Frankfurt versammelte sich ein Prvfessorenparlament, um eine ganz unpraktische Verfassung zu beschließen, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser zu bestellen und dann mit geringer Mehrheit den König von Preußen zum erblichen Kaiser zu wählen. Als dieser die Krone wohlweislich ablehnte, stieg die Verwirrung aufs höchste. Endlich ernannten sich die Armeen, „und der revolutionäre Teufelsspuk machte ernstern Verwicklungen Platz. Der Kaiser von Österreich hatte auf Grund des Münchengrcitzer Vertrages zur Her¬ stellung der Ordnung in Ungarn russische Hilfe annehmen müssen, und als mit dieser das Werk gelungen war, hielt es der Zar für an der Zeit, auch in Deutschland Frieden zu gebieten, und in Olmütz beugte sich nicht bloß Preußen, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern auch Österreich seinem Machtspruche." Letzteres ging nach Olmütz, statt Radetzky gegen das ungerttstete Preußen zu senden und in Berlin den Frieden zu diktiren. Die damalige preußische Armee Hütte den Marsch des Siegers von Custozza und Novara nicht aufhalten können. „Aber einmal in Berlin, was dann? Österreich konnte im November 1850 auch nach einem noch so siegreichen Feldzuge nicht daran denken, ein einiges Deutschland ohne Preußen wieder herzustellen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/88>, abgerufen am 23.07.2024.