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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Militärpflicht der Mediziner

von denen, die nicht gleich wissen, wohin sie sich wenden sollen, geneigt, von
dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, und damit wäre wieder zweien ge¬
holfen: erstens den Aktiven, die eine Arbeitserleichterung hätten, sodann den
Unterärzten, deren Fähigkeiten als Militärärzte je länger je mehr wachsen
würde. Auch habe ich die Überzeugung, daß das aktive Sanitätsoffizierkorps
in umfangreicherer Weise als bisher aus diesen Unterärzten Ergänzung sinden
würde.

4. Vor der Beförderung zum Neservestabsarzt werden die Betreffenden
jetzt zu einem dreiwöchentlicher Operationskurs nach der Universität ihres
Korpsbezirks kommandirt. Diese Art Übung genügt mir nicht. Zwar tragen
die Herren während der Zeit ihr militärisches Kleid, aber sie haben sonst
-- abgesehen von dem zuweilen ausfallenden Vortrage des Oberstabsarztes
der Garnison über Kriegs- und Friedenslazareth u. s. w. -- keine Beziehung
zur Truppe. Beim Reserveoffizier ist das anders: er wird nicht etwa während
seiner Übung nur im Schießen ausgebildet, sondern er macht allen Dienst
seiner Charge mit, und so kommt es, daß man den Hauptmnnn der Landwehr
ini Ernstfall wirklich als Hauptmnnn wird verwenden können, während es
beim Stabsarzt der Landwehr, wie er jetzt ist, nicht gelingen wird, ihn als
Oberarzt beim Truppenteil zu verwenden. Unter den praktischen Ärzten herrscht
nämlich im allgemeinen eine großartige Verachtung gegen alles, was Ordnung,
Listenführung, Journale, überhaupt Statistik heißt, und nur ein kleiner Teil
-- ein ganz kleiner -- ist imstande, sich am Ende eines Jahres oder eines
andern Zeitabschnittes vor Augen und Sinn zu führen, was er in seinein
Berufe wissenschaftlich geleistet hat. Ihre Thätigkeit in Mark und Pfennige
ungerechnet zu sehen, damit begnügen sich die meisten. Für diese wäre es
an sich schon gut, wenn sie einmal wieder angehalten würden nach Vorschrift
zu verfahren, jedenfalls aber erscheint es nötig, daß sie, wenn sie Stabsarzt
werden wollen, auch das können und wissen, was ein Stabsarzt weiß. Jetzt
können sie es nicht, wenigstens kenne ich Stabsärzte der Landwehr, die weder
wissen, welches das niedrigste Maß für die Soldaten ist, noch welche An-
forderungen an ihre Sehleistung gestellt werden, und was dergleichen Kleinig¬
keiten mehr siud. Sie können das natürlich nur lernen dnrch Dienst beim
Truppenteil, der also meines Erachtens mit jenem Operationskurs verbunden
werden müßte. Drei Wochen würden dann allerdings nicht ausreichen, es
müßten gewiß acht sein. Der Hnupteinwand gegen diese Einrichtung Vonseiten
der praktischen Ärzte wird der sein, daß sie nicht in der Lage wären, ihre
Praxis auf so lange Zeit zu verlassen. Das muß auch für viele zugegeben
werden, aber es bleiben doch auch viele übrig, die fo stehen, daß sie nach
etwa zehnjähriger Praxis acht Wochen fortgehen können, ohne sich dadurch za
schädigen. Kommt noch dazu, daß diese Einziehung nicht obligatorisch gemacht
wird, sondern nur auf freiwillige Meldung erfolgt, so ist ihr überhaupt jede


Die Militärpflicht der Mediziner

von denen, die nicht gleich wissen, wohin sie sich wenden sollen, geneigt, von
dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, und damit wäre wieder zweien ge¬
holfen: erstens den Aktiven, die eine Arbeitserleichterung hätten, sodann den
Unterärzten, deren Fähigkeiten als Militärärzte je länger je mehr wachsen
würde. Auch habe ich die Überzeugung, daß das aktive Sanitätsoffizierkorps
in umfangreicherer Weise als bisher aus diesen Unterärzten Ergänzung sinden
würde.

4. Vor der Beförderung zum Neservestabsarzt werden die Betreffenden
jetzt zu einem dreiwöchentlicher Operationskurs nach der Universität ihres
Korpsbezirks kommandirt. Diese Art Übung genügt mir nicht. Zwar tragen
die Herren während der Zeit ihr militärisches Kleid, aber sie haben sonst
— abgesehen von dem zuweilen ausfallenden Vortrage des Oberstabsarztes
der Garnison über Kriegs- und Friedenslazareth u. s. w. — keine Beziehung
zur Truppe. Beim Reserveoffizier ist das anders: er wird nicht etwa während
seiner Übung nur im Schießen ausgebildet, sondern er macht allen Dienst
seiner Charge mit, und so kommt es, daß man den Hauptmnnn der Landwehr
ini Ernstfall wirklich als Hauptmnnn wird verwenden können, während es
beim Stabsarzt der Landwehr, wie er jetzt ist, nicht gelingen wird, ihn als
Oberarzt beim Truppenteil zu verwenden. Unter den praktischen Ärzten herrscht
nämlich im allgemeinen eine großartige Verachtung gegen alles, was Ordnung,
Listenführung, Journale, überhaupt Statistik heißt, und nur ein kleiner Teil
— ein ganz kleiner — ist imstande, sich am Ende eines Jahres oder eines
andern Zeitabschnittes vor Augen und Sinn zu führen, was er in seinein
Berufe wissenschaftlich geleistet hat. Ihre Thätigkeit in Mark und Pfennige
ungerechnet zu sehen, damit begnügen sich die meisten. Für diese wäre es
an sich schon gut, wenn sie einmal wieder angehalten würden nach Vorschrift
zu verfahren, jedenfalls aber erscheint es nötig, daß sie, wenn sie Stabsarzt
werden wollen, auch das können und wissen, was ein Stabsarzt weiß. Jetzt
können sie es nicht, wenigstens kenne ich Stabsärzte der Landwehr, die weder
wissen, welches das niedrigste Maß für die Soldaten ist, noch welche An-
forderungen an ihre Sehleistung gestellt werden, und was dergleichen Kleinig¬
keiten mehr siud. Sie können das natürlich nur lernen dnrch Dienst beim
Truppenteil, der also meines Erachtens mit jenem Operationskurs verbunden
werden müßte. Drei Wochen würden dann allerdings nicht ausreichen, es
müßten gewiß acht sein. Der Hnupteinwand gegen diese Einrichtung Vonseiten
der praktischen Ärzte wird der sein, daß sie nicht in der Lage wären, ihre
Praxis auf so lange Zeit zu verlassen. Das muß auch für viele zugegeben
werden, aber es bleiben doch auch viele übrig, die fo stehen, daß sie nach
etwa zehnjähriger Praxis acht Wochen fortgehen können, ohne sich dadurch za
schädigen. Kommt noch dazu, daß diese Einziehung nicht obligatorisch gemacht
wird, sondern nur auf freiwillige Meldung erfolgt, so ist ihr überhaupt jede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/560>, abgerufen am 26.06.2024.